Liebesfilme: Knuddelkino muss nicht kitschig

In „Punch Drunk Love“ fallen einander Adam Sandler und Emily Watson in die Arme.
In „Punch Drunk Love“ fallen einander Adam Sandler und Emily Watson in die Arme.Columbia
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Es ist gar nicht so einfach, eine flauschige Romanze zu erzählen, die trotzdem Ecken und Kanten hat. Dennoch gibt es Liebesfilme, die sich ihr Happy End redlich verdienen. Ein paar Empfehlungen, von „Before Sunrise“ bis „Take This Waltz“.

Liebesfilme gehören für viele ebenso zur Weihnachtszeit wie Christbäume und Punschstände. Auch sie tragen Licht in die Zimmer und Wärme in die Herzen, mit romantischen Wohlfühlfiktionen zum Hineinträumen und Sorgenvergessen. Und daran ist absolut nichts auszusetzen – nur lässt die glücksspendende Wirkung zu wünschen übrig, wenn man zum hundertsten Mal das Rom-Com-Schema F serviert bekommt. Um wirklich ins Schwärmen zu geraten, bedarf es zumindest eines Quäntchens Authentizität, und Fließbandkitsch hat meistens nicht einmal das zu bieten. Zugegeben: Es ist gar nicht so einfach, eine flauschige Romanze zu erzählen, die trotzdem Ecken und Kanten hat. Einen emotionalen Höhenflug zu bieten, der auch in tiefe Täler taucht. Zwischen süß und süßlich, rührend und rührselig liegt ein schmaler Grat. Dennoch gibt es immer wieder Filme, denen dieser prekäre Balanceakt gelingt, die sich ihr Happy End redlich verdienen und organischen Seelenbalsam bieten abseits der „Love Actually“-Klone dieser Welt.


Unvergessliches Bettgeflüster. In vielen Fällen geht die Rechnung aus einem sehr einfachen Grund auf: Die Figuren sind keine Abziehbilder aus dem Schmonzetten-Katalog, keine Märchenprinzen und -prinzessinnen, sondern unvollkommene, schwierige oder (Schreck lass nach!) verkorkste Menschen. Zum Beispiel sozial unverträgliche Kleinunternehmer. Einen solchen gibt der kultige Pennälerhumorist Adam Sandler in Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“. Über abstruse Umwege stolpert er in die titelgebende „Watschenkomaliebe“ zur stillen, aber resoluten Emily Watson. Das führt nicht nur zu unvergesslichem Bettgeflüster („Dein Gesicht ist so schön, ich will es mit dem Vorschlaghammer zertrümmern“), es hat auch stilistisch einiges zu bieten: Angetrieben vom Stakkato-Soundtrack und entfesselten Kamerafahrten purzeln die Szenen übereinander, als wären sie nur ein Trommelwirbel für die Katharsis des hemmungslosen In-die-Arme-Fallens.

Stotternder gestaltet sich das Verhältnis in „Die Liebenden von Pont-Neuf“, einer guten Alternative zur „fabelhaften Welt der Amélie“ – nicht minder exaltiert, aber ohne Zuckerglasur. Zwei junge Clochards (Juliette Binoche, Denis Lavant) wirbeln durch eine heftige Pariser Amour fou, deren Schlingern zwischen Ekstase und Selbstzerstörung von Regisseur Leos Carx in eine Abfolge großer Kinogesten übersetzt wird: Feuerwerke, Rauschzustände, Schnittgewitter. Am Ende steht, sechs Jahre vor „Titanic“, Freudentaumel am Bug eines Schiffes – was wiederum auf einen anderen französischen Liebesfilmklassiker verweist, Jean Vigos großartige Lastkahn-Ballade „L'Atalante“.


Remarriage comedies. Doch es müssen nicht immer explosive Leidenschaften sein. Ebenso ergreifend: eine alte Liebe auf die Probe gestellt zu sehen. In Hollywoods goldener Ära gab es dazu ein ganzes Genre. „Remarriage comedies“ wie „The Awful Truth“ oder „Adam's Rib“ werfen ebenbürtige Ehepartner in die Krise, damit sie sich auf hochunterhaltsame Weise wieder zusammenraufen können. Diese cleveren Klamotten leugnen nicht, dass Paare manchmal auseinanderdriften: Wie in Roberto Rossellinnis neorealistischem Meisterwerk „Viaggio in Italia“, wo Ingmar Bergman und George Sanders im Urlaub fast – aber nur fast – der Funken ihrer Beziehung abhandenkommt. Immer wieder aufs Neue verlieben müssen sich auch Ethan Hawke und Julie Delpy in Richard Linklaters Trilogie „Before Sunrise“, „Before Sunset“ und „Before Midnight“; sehenswert ist nicht nur der bekannteste, in Wien spielende erste Teil.

Wenn eine Kino-Ehe doch in die Brüche geht, fällt der Wohlfühlfaktor für gewöhnlich in den Keller. Eine Ausnahme bildet Sarah Polleys „Take This Waltz“: Der Film schildert eine Affäre samt anschließender Trennung emotional ausdifferenziert und ohne moralischen Zeigefinger. Dabei bleibt er ästhetisch knuddelig wie eine Kuscheldecke und ist somit vollkommen weihnachtstauglich – solang man ihn alleine anschaut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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