Chet Baker Biopic: Der Musiker, den Heroin befreite

(C) Alamode Film
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Der Trompeter Chet Baker war einst die „weiße Hoffnung“ des Jazz. Das würdige Biopic „Born to Be Blue“ zeigt ihn am Scheideweg zwischen Virtuosität und Verfall.

Retrospektiv betrachtet waren die Fünfzigerjahre eine Blütezeit des Jazz, eine Ära des wüsten Drogenabusus. Alle, wirklich alle von Sonny Rollins bis Charlie Parker, von Miles Davis bis Chet Baker hingen an der Nadel. Die wenigen, die sich Heroin verkneifen konnten, konsumierten Amphetamine, Haschisch oder Alkohol. Jean-Louis Chautemps, ein ehemaliger Sideman von Chet Baker, sagte über den unmäßigen Drogenkonsum dieser Jahre Erstaunliches: „All diese Drogen – ich muss darauf bestehen – wurden niemals aus Jux oder Vergnügungssucht genommen. Es war rein für die Musik, für die Intelligenz der Musik.“

Chet Baker selbst war da schon ehrlicher. Er liebte es einfach, high zu sein. „Die Zeit wird dann breiter, nicht nur länger“, sagt er in einer Szene von „Born to Be Blue“. In der Eröffnungsszene des Films liegt Baker-Darsteller Ethan Hawke im Drogenstupor auf dem Boden einer Gefängniszelle in Italien. Irgendwann blickt er weltmüde in den Schalltrichter der vor ihm liegenden Trompete. Aus dem dunklen Loch stochert ihm dramatisch eine Tarantel entgegen. Dann tritt ein eleganter Halbschuh ins Bild. Er gehört dem Filmproduzenten Dino De Laurentiis, der den damals in Italien lebenden Trompeter auslöste. Er wollte einen Film über diesen tragischen Helden drehen.

In Wahrheit wurde der nie realisiert. Der kanadische Regisseur Robert Budreau bedient sich in „Born to Be Blue“ dieser Anekdote, um eine Metaperspektive einnehmen zu können. Und so wurde sein Streifen zum Biopic über einen Künstler, der ein Biopic über sein Leben dreht. In die von Carmen Ejogo sehr sinnlich gespielte Doppelfigur Jane/Elaine flossen Persönlichkeitsmerkmale von einigen von Bakers Frauen ein, allen voran Halema Alli, die er im April 1956 kennengelernt und schon im Mai geheiratet hat.

Spielen ohne Zähne

Der berühmte Jazzfotograf William Claxton hat das Paar oft fotografiert. Um Claxton kommt auch Regisseur Budreau nicht herum. Viele Szenen beginnen mit Bildern, die durch Claxtons Fotografien ikonisch geworden sind. Abgesehen von der Eingangsszene in der italienischen Gefängniszelle geht es im Film um Bakers Leben in den USA. Seinem Aufstieg als „King of Cool“, der massenhaft Platten an schwärmerische Frauen verkauft, folgt ein Absturz in die dunkle Welt der Drogen. Handlanger von Dealern schlagen ihm wegen ausstehender Rechnungen die Zähne aus. Normalerweise wäre das das Ende eines professionellen Trompeters. Baker kämpft sich mit Zahnprothese zurück.

Diese Phasen der Mühsal spielte Hawke besonders glaubwürdig. Bakers Trompetenspiel mimt er, der dafür eigens Unterricht nahm, perfekt. Zu hören ist allerdings der kanadische Trompeter Kevin Turcotte. Dafür durfte Hawke die steinerweichende Ballade „Blue Room“ singen. Er tat es mit viel Herzblut und ähnlicher Anmutung wie Baker selbst, der diesen zu Herzen gehenden, androgynen Balladenstil entwickelt hat. Dass Bakers Talent untrennbar mit Selbstzerstörung gepaart war, interessierte Hawke besonders. Diese Konstellation von Kreativität und Selbsthass ist zwar ein reichlich strapaziertes, romantisches Sujet, hat aber eine handfeste psychische Grundierung, wie die Freud-Schülerin Sabina Spielrein schon 1912 in ihrem Buch „Die Destruktion als Ursache des Werdens“ dargelegt hat.

Kein Verständnis für die dunkle Seite des Trompeters hatte hingegen Dick Bock, Chef des Pacific-Jazz-Labels, das mit den Virtuosität abstrahlenden Werken des frühen Chet Baker viel Geld gemacht hatte. Der von Callum Keith Rennie vielschichtig gespielte Labelboss schwankt im Film beständig zwischen Hilfsbereitschaft und Härte. „Vielleicht gibt die schlechte Technik seinem Sound mehr Charakter?“, fragt er, als Baker eine Aufnahme mit der Kommerzkombo The Mariachi Brass beinah verhaut. Mit Mühe widersteht Baker Damen, die ihn zu Drogen und Sex verführen wollen („Wenn Sie mal ein anderes Instrument ausprobieren wollen?“).

Wahrhaftige statt virtuoser Musik

Kurz vor seinem mühsam erkämpften Comeback im Birdland, dem prestigeträchtigsten New Yorker Club jener Tage, verfällt er wieder alten Gewohnheiten. Mit dem Mantra „Hello fear, hello death, fuck you!“ setzt er sich eine Nadel, um befreit aufspielen zu können. Das Urteil, ob dieser Abend das Ende oder der eigentliche Anfang dieses Künstlers war, überlässt „Born to Be Blue“ klugerweise dem Seher. Die Connaisseure unter den Jazzfans verstehen, dass Baker letztlich nur seine verwundete Seele möglichst unverstellt in seiner Musik zum Ausdruck bringen wollte. Und so schuf er ein melancholisches Paradies in den zweieinhalb Oktaven, in denen er sich wohlfühlte. Die Virtuosität überließ er anderen. Selbst schuf er hingegen mithilfe eines Gestus der Kaputtheit noch Jahrzehnte nach dem Konzert im Birdland, mit dem der Film endet, wahrhaftige Musik, die nicht jeden Ton mit dem nächsten überbieten will. Die Musik, die den langen, schmerzhaften Verfall Bakers begleitete, war jedenfalls weit interessanter als alles virtuose Getue. Sie verwandelte menschliches Versagen in hohe Kunst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2017)

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