Leichtigkeit statt eherner Wotruba-Schwere

Typisch Kollnitz: „Liegende Figur“, 2017. In der klassischen Bildhauerei verstand man darunter anderes.
Typisch Kollnitz: „Liegende Figur“, 2017. In der klassischen Bildhauerei verstand man darunter anderes.(c) Belvedere
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Der Bildhauer Roland Kollnitz schafft das Kunststück, der Kunstgeschichte ein wenig Leben und Humor einzuhauchen: Mit einem leichtfüßigen Balanceakt zwischen dem Maler Hermann Bayer und Fritz Wotruba im "21er Haus".

Die Anekdote allein sichert schon Unverkennbarkeit in alle Ewigkeit, 21er-Haus-Kurator Harald Krejci erzählt sie mit einem gewissen diabolisch-kollegialen Vergnügen: 2012 hat das Leopold-Museum in der Ausstellung „The Excitement Continues“ ein abstraktes Bild des nahezu unbekannten Malers Hermann Bayer ausgestellt. Allerdings unter dem Namen des doch um einiges bekannteren, um einiges historischeren Herbert Bayer. Ein armer Kurator musste zu diesem stilistischen Irrsinn auch noch einen einordnenden Text verfassen. Eine kleine Lachnummer. Die immerhin zur postumen Wiederentdeckung des Bayer Hermann geführt hat – die sich jetzt allerdings nicht selbstironisch das Leopold-Museum auf die Fahnen heftet, sondern Krejci im „21er Haus“ des Belvedere.

Dabei wird kein Überblick über das Gesamtwerk dieses 1936 in Innsbruck geborenen und 2012 in Wien verstorbenen abstrakten Malers gegeben. Krejci entschied sich für die „postmoderne“ Phase dieses ewigen Angewandten-Lehrbeauftragten, der nur ein einziges Mal institutionell ernstzunehmend aufgeschienen ist, nämlich 1970 mit einer Einzelausstellung in der Secession. Aus dieser Zeit, den 1970er und 1980er Jahren, stammen auch die jetzt ausgegrabenen bunten Bilder, die so fröhlich daherkommen, angelehnt an die Farbwelt und den Witz der englischen Pop-Art der damaligen Zeit. Dabei hat es Bayer der Balanceakt zwischen Abstraktion und Gegenstand besonders angetan, sehr österreichisch übrigens: Ein Pinselstrich wird da etwa plötzlich vom flachen Strich zur dreidimensional wirkenden Röhre. Ein anderes Mal wird ein schlichtes Geviert erst zum Bilderrahmen und dann zum Fenster in eine andere Welt.

Dieser Balanceakt ist es vor allem, der eine (natürlich schwankende) Brücke bildet zu der „Zufallsbekanntschaft“, so der Ausstellungstitel, zum zeitgenössischen Konterpart, zum künstlerischen Kollaborateur über die Zeiten und den Tod hinaus, den Krejci dem No-Name-Maler zur wirkungsvolleren Reanimation zur Seite gestellt hat: Roland Kollnitz, 1972 in Kärnten geboren, ist Bildhauer per definitionem, hat er das doch studiert an der Akademie und lehrt das dort auch seit 2001 als Mitarbeiter von Heimo Zobernig, „Textuelle Bildhauerei“ heißt diese Klasse kryptisch. Dafür arbeitet Kollnitz doch ziemlich kontextuell und ziemlich klassisch, was einem vor allem in Nachbarschaft mit dem hier beheimateten Fritz-Wotruba-Archiv auffällt, das in den zumindest von außen einsehbaren Nebenräumen des unterirdischen Sonderausstellungsraums im „21er Haus“ angesiedelt ist.

Im Lichthof etwa steht ein an der Basis von Schlaufen umspielter, meterhoher Aluminiumstab, den Kollnitz vorwitzig ein Stockwerk hinauf an die Erdoberfläche lugen lässt. „Großer Stab“ bzw. „Großer Speer“ hätten das frühere Bildhauer-Generationen wohl genannt, bei Kollnitz heißt das jetzt „Form mit Geste“. Der lapidare Witz ist den oft minimalen, aber nie sterilen, immer irgendwie ein wenig lächerlich um Gleichgewicht, um ihre existenzielle Anerkennung als Kunst ringenden Skulpturen von Kollnitz nicht abzusprechen: Ein Keil aus Sperrholz, eine zusammengefaltete Zeitung, ein Stückchen Metall stecken meist unter den Sockeln und Platten seiner Konstruktionen. Das soll improvisiert wirken – ist allerdings schwer durchdacht und betont die Labilität als Daseinszustand. Da fallen einem jetzt viele Assoziationen dazu ein. Die schönsten ruft die (nicht so benannte) „Achse des Bösen“ hervor, die Kollnitz im großen Tiefhof eröffnet hat: zwischen Wotrubas „Großer Liegenden“ und seinem „Großen Stehenden“, der sich die letzten Jahrzehnte in der Säulenhalle des Parlaments versteckt hatte. Jetzt kann man zwischen den beiden Prinzipien der klassischen Bildhauerei, dem passiv Weiblichen und dem aufgerichtet Männlichen balancieren, tatsächlich – auf einer 24 Meter langen, dünnen Aluminium-Stange, die Kollnitz hier auf den Boden gelegt hat, in Kippe gehalten von unterschiedlichen Keilen natürlich. Let's play!

Und ganz oben hängt die Clownsnase

Spielerisch hat Kollnitz auch die ganze Ausstellungsgestaltung angelegt, das sogenannte „Display“, auf dem die 25 Bilder des Hermann Bayers aus der Versenkung geholt werden (übrigens vor allem aus einer Liechtensteinischen Sammlung): Mitten durch den Raum läuft eine Art tiefe Bank aus gelben Schalungsplatten, dahinter hat Kollnitz sein Ateliers-Arbeitspult aufgestellt, auf dem vielerlei Gerät (und leere Schokoladepackungen) herumkugeln. Ganz oben, auf einer Stange, hängt übrigens eine Clownsnase. Leichtigkeit statt bronzener Schwere. Zufall statt eherner Ewigkeit. Bayer Hermann statt Bayer Herbert. Und Kollnitz statt Wotruba. Für einen entrückten Moment der Schwebe zumindest reicht das durchaus.

Bis 25. Juni. Keller „21er Haus“, Mi. 11–21h, Do.–So. 11–18h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2017)

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