ImpulsTanz: Die Zitrone als Symbol für Fleisch und Blut

Ost und West. Tänzerin Takeya denkt in Gegensätzen.
Ost und West. Tänzerin Takeya denkt in Gegensätzen.Christine Pichler
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Lemonismus heißt Akemi Takeyas Antwort auf den Wiener Aktionismus. Ihre asiatischen Wurzeln sind recht dünn geworden.

Für ihre Serie "Lemonism" ist die vielseitige Bühnenkünstlerin Akemi Takeya zu einer regelrechten Expertin der europäischen Kunstgeschichte geworden. Ihre Forschungsarbeit begann 2015, als sie für das ImpulsTanz Festival eine Antwort auf die Mumok-Ausstellung "Mein Körper ist das Ereignis" versuchte und dem Wiener Aktionismus kurzerhand ihren eigenen ismus gegenüberstellte den Lemonismus nämlich. 72 Zitronen, regelmäßig in einem Kreis angeordnet, 72 poetische Begriffe, 72 Teilen ihres Körpers zugeordnet: "Das ist mein Kosmos. Ich stehe in der Mitte des Kreises. Das Fleisch der Zitrone ist mein Fleisch, der Saft ist das Blut. Der Planet Takeya." Takeyas Lemonismus taucht in die gesamte Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ein. Das Universum der 72 Zitronen dehnt sich aus, der schwarz bemalte Körper gehört nicht mehr der Tänzerin allein, reflektiert nicht nur den Aktionismus, sondern spielt mit Kubismus, Minimalismus, Surrealismus, Symbolismus, Dadaismus, Japonismus. Lemonismus ist überall.

Explosiv, ironisch, akribisch. Mit einer Arbeit, die im großen Bogen alle Teile von Takeyas Lemonismus-Serie zusammenfasst, wird sie auch heuer beim ImpulsTanz Festival auftreten. Sofern ihr Programm rechtzeitig fertig wird. Denn Takeya arbeitet akribisch an ihren Programmen, bevor sie ihren Körper damit auf die Bühne bringt. Dabei ist sie nicht nur Tänzerin und Choreografin, sie ist auch Dichterin und Denkerin, Intellektuelle und Poetin, deren Vorarbeiten und Konzepte aus aufwendigen Zeichnungen und grafischer Schrift bestehen und mitunter zu kunstvoll gestalteten Büchern werden. Takeya kann ernsthaft und zurückhaltend sein oder explosiv und ironisch, sie experimentiert mit der Stimme, spielt mit Wörtern und Begriffen, passt sich keiner der herrschenden Moden auf der Performance-Bühne an. Takeya denkt doppelt und in Gegensätzen, verbindet Ost und West und bleibt dabei immer sie selbst eine einzigartige und originelle Figur innerhalb der heimischen Tanzszene. "Lange Zeit war es mir wichtig, mich auf der Bühne darzustellen. Ich habe zwar gewusst, wer ich bin, aber wie konnte ich das anderen mitteilen? Manchmal", so erzählt sie, "habe ich mich geschämt, dass ich immer selbst im Mittelpunkt stehe. Immer dieses Ich, ich, ich . Diese One-Woman-Show war mir peinlich." Hat der Lemonismus sie verändert? "Ich fühle mich freier, ich bin 55, da hat sich vieles geändert. Ich bin auf einer neuen Ebene, mein Kosmos ist nun geschlossen." Ein Prozess, der vor etwa zehn Jahren begonnen hat etwa mit der eindrucksvollen Solo-Performance "ZZ". "Es war ein Stück in Stille und Licht, in dem das kaum Hörbare in Klang verwandelt wird." Auch damals war sie ganz in Schwarz gehüllt und schien sich in Licht und Nebel aufzulösen. "Für mich ist diese Performance ein unvergesslicher Wendepunkt bei der Etablierung meines Selbst." Vor 25 Jahren kam Takeya mit einem Österreicher, in den sie sich in New York verliebt hatte, nach Wien. "Ich war auf einem fremden Planeten gelandet, konnte kein Deutsch, hatte keine Ahnung von den Sitten und Gebräuchen. In meiner ersten Performance war ich ganz frech, ich musste festhalten, dass ich anders bin."

Japonismus ist nicht Japan. Eigentlich wollte sie nur ein Jahr bleiben, doch das Rückflugticket ließ sie verfallen. Sie blieb, gerade weil sie die Existenz zwischen den Kulturen, Europa und Japan, vor allem in den ersten Wiener Jahren, als besonders irritierend empfand. Mittlerweile sind die asiatischen Wurzeln dünn geworden, "ganz heimisch fühle ich mich hier aber noch nicht". Umso interessanter ist ihre Auseinandersetzung mit dem Japonismus, der Ende des 19. Jahrhunderts in der Kunst Mitteleuropas aufgeblüht ist: "Ich schaue mich in den Spiegel und sehe auch die Klischees. Japonismus ist nicht in Japan." In ihrer Bühnenarbeit sind die japanischen Wurzeln hingegen längst gekappt und das ImpulsTanz Festival warnt: "Performance für Personen unter 16 Jahren nicht geeignet!" Schließlich kleidet Takeyas Tanzkörper nur schwarze Farbe. "In Japan kann ich diese Serie nicht zeigen, meine Mutter weiß wenig von dem, was ich tue." Der Bruder ist Polizist: "Der darf nicht wissen, dass ich nackt auftrete." Ein kleiner Rest der asiatischen Zurückhaltung ist geblieben. "Ich habe im Lemonismus alle Körperteile benannt, auch innen, Herz, Leber, Nieren, Bauch. Vagina auch. Nur zur anderen Körperöffnung hinten ist mir kein Begriff eingefallen. Das habe ich ausgelassen." Die Warnung, die auch oft für die Auftritte des Performers Ivo Dimchev ausgesprochen wird, ist wohl eher ein Marketinggag. Einer, den Takeya nicht notwendig hat.

Tipp

Akemi Takeya erforscht Europas Kunstgeschichte beim Wiener ImpulsTanz Festival: Lemonism x Cubism/Surrealism/Minimalism/Symbolism, 14. + 16. 7, Leopold-Museum; Lemonism x Dadaism, Odeon, 19. + 21. 7. www.impulstanz.com

("Kultur Magazin", Print-Ausgabe, 14.4.2017)

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