Pop

Buntes Schlagertheater und böser Lärm

Ricky Shayne
Ricky Shayne(c) imago stock&people
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Tag fünf am Donaufestival in Krems.

Ricky Shayne landete wie ein UFO in der deutschen Schlagerszene. Vielleicht posierte er deshalb fürs Foto im Programmheft im Kaftan vor dem Futuro-Haus des unvergesslichen Weltraumkünstlers Charles Wilp. Ein Außenseiter, exotisch, fesch und wegen seiner Wortkargheit sogar geheimnisvoll. Praktisch über Nacht wurde der im Libanon aufgewachsene junge Mann zum Inbegriff des Schlagerstars mit dem Appeal eines Rock $?? n $?? Rollers. Ausgestattet mit einem niedlichen französischen Akzent, gewagten Dekolletés und diesem geheimnisvollen Blick ins Nichts, eroberte er ab 1967 die Gunst der Massen.

Dass der Erfolg eine Kehrseite hatte, wurde früh ins strategische Narrativ eingebaut. Über sein schleichendes Unbehagen darüber hat Shayne kaum Worte verloren. Und so schwebte über seinem Image beständig das große „eigentlich“. Das war auch bei berühmten anderen Kollegen so. Peter Alexander galt als klandestiner Jazzer, Roy Black als verhinderter Rock $?? n $?? Roller, Christian Anders als unausgegorener Soulsänger. Shayne, der mit „Ich sprenge alle Ketten“ berühmt wurde, wurde zur Idealbesetzung einer abermaligen Variation des von James Dean in den deutschen Mainstream eingeführten „Rebel without a cause“-Motivs.

Ganz im Sinne des heurigen Donaufestival-Leitthemas „Empathie“ nahm der deutsche Regisseur Stephan Geene die wild wuchernden Ambivalenzen dieser Karriere zum Ausgangspunkt eines knallbuntes Hybrids aus Schlagermusical und Essaytheater. In einer recht lockeren Mischung aus Musik, Filmsequenzen und Theaterszenen, die u. a. Ricky Shayne selbst und seine beiden Söhne tapfer stemmten, schraubten sich Geenes Thesen unwiderstehlich in die Hirne. Etwa der Traum von der Intransparenz, den Shayne angeblich auf dem Höhepunkt seines Ruhms hegte. Oder die Mühsal, den projektionslustigen Fans permanent Intimität vorgaukeln zu müssen, um ihre Leidenschaft am Laufen zu halten.


Höflicher Applaus. Der einleitende Film wuchtete mit seinen in einem Zuckerstreuer gefangenen Wespen ein Menetekel in die Köpfe: Das Schicksal schütze uns vor dem, was wir für uns wünschen. In der Folge wechselten existenzphilosophische Einsichten mit surreal wirkenden Interviewzitaten aus alten Bravo-Heften. Das geloopte Orgelmotiv von Shaynes Megahit „Mamy Blue“ drängte die Idee auf, das hier einer in den Versuchungen des Ruhms steckengeblieben war. Als raren Moment der Wahrhaftigkeit zelebrierte die Inszenierung das von Shayne innig live gesungene Beatles-Lied „The Long And Winding Road“. Am Ende gab es höflichen Applaus für ein doch eher konstruiert wirkendes Stück, dessen Musik der nette Techno-Onkel Justus Köhncke aufgepeppt hat.

Gar nicht lieb war dann das Noise-Duo Emptyset in der Minoritenkirche. Die Angst der Hörer, dass ihnen ob der gewaltigen Vibrationen inwendige Kabel reißen könnten, war berechtigt. Im Vergleich dazu richtig niedlich agierte Simeon Cox, in den Sechzigerjahren Pionier einer psychedelisch durchtränkten Elektronik. Angetan mit Cowboyhut und Hasibutz-Blue-Jeans drückte er seine patinierten Geräte. Für skurrile Songs wie „Lovefingers“ und „Oscillations“ flog ihm die Liebe der Nachgeborenen zu. Devianz muss eben nicht immer auf schirch tun. Sie kann durchaus von possierlicher Gestalt sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)

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