Jude Law brilliert bei den Wiener Festwochen in einem disparaten Psycho-Drama

Halina Reijn und Jude Law
Halina Reijn und Jude Law (c) Jan Versweyveld
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Ivo van Hove revitalisiert wenig überzeugend Viscontis Filmklassiker „Obsession“. Es fehlt an Italianità. Das mit Spannung erwartete Festival-Highlight begeisterte trotzdem.

 Jude Law, Halina Reijn
Jude Law, Halina Reijn(c) Jan Versweyveld

Auf dem Bahnhof Wien-Mitte fixiert die Polizei einen jungen Schwarzen, legt ihm Handschellen an und führt ihn ab. Du siehst zu. Fragst Du, was der Bursch verbrochen hat? Wir leben in Parallelwelten, von denen wir einige sehen, andere nicht und wieder andere wollen wir nicht sehen, außer sie springen uns an wie ein böser „Jack in the Box“. Auch „Obsession“ nach Luchino Viscontis Filmklassiker führt in eine Parallelwelt, jene der Leidenschaft.

Gino, der an einer Tankstelle die hübsche, junge, aber auch etwas biedere Hausfrau Hanna trifft und sich kurzfristig in sie verliebt, ist kein Migrant im heutigen Sinne. Visconti zeichnet einen Vagabunden, einen Gesetzlosen, einen virilen Verführer, der Opfer seiner eigenen Ausstrahlung, aber auch seines Freiheitsdranges wird. Gino tötet, erst Hannas Mann, dann diese selbst, weil er nicht vor Anker gehen kann und will. Nicht umsonst bringt Visconti das Matrosendasein für Gino ins Spiel, Matrosen, ein homoerotisches Symbol, aber auch eines für Ungebundenheit. In Gino kann man aber auch den Künstler sehen, der sich nicht fesseln lassen darf, weil er sonst in Gefahr gerät, seine Kreativität zu verlieren.

Historisch gesehen war Viscontis „Ossessione“, 1942 als vielleicht erstes Werk des Neorealismus entstanden, auf den Spuren des Krimis „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, ein Flop, die Zensur verbot das Werk, sie fand es wohl zu brutal und destruktiv. Erst 1959 kam der Film in die deutschen Kinos. Heute gilt er als Klassiker und wirkt wie eine Parabel. An diese knüpft Ivo van Hove an: Ein Mann liegt unter einem Autowrack, Landstreicher Gino verspricht es zu reparieren, der Tankstellenbesitzer geht weg, um mit dem Pfarrer zu fischen und auf dem Heimweg einen Keilriemen zu besorgen. Inzwischen fallen einander Gino und Hanna in die Arme.

Die Inszenierung hat allerlei Mängel: Die weitläufige MQ-Halle und Viscontis Schwarzweiß-Ambiente mit der engen Küche des Hauses bei der Tankstelle klaffen rein räumlich auseinander. Italianità ist hier nicht herzustellen, schon allein wegen der englischsprechenden Darsteller (es gibt deutsche Untertitel). Die Produktion wirkt teilweise viel zu kühl als würde man eine Kaschemme in ein Designer-Loft verfrachten: Und hier sehen sie das Modell einer Trattoria aus der Emilia Romagna um 1950 mit dem Kühlergrill eines Oldtimers. Jetzt kann nur noch Marlon Brando helfen. Wo bleibt er? Ah, hier ist Jude Law, der britische Muskelmann hat mit Brando aber schon gar nichts gemeinsam. Wo wird das enden? Jetzt kommt die Überraschung.

Sixpack und große Schauspielkunst

Jude Law feierte gestern nach der Vorstellung im Wiener X-Club, im Bild sieht man ihn mit Clubbetreiber und Gstronom Martin Ho.
Jude Law feierte gestern nach der Vorstellung im Wiener X-Club, im Bild sieht man ihn mit Clubbetreiber und Gstronom Martin Ho.(c) leisure communications

Es endet erfreulich. Law verfügt nicht nur über eine beeindruckende Bühnenpräsenz wie sie bei Filmschauspielern selten ist, er entfaltet auch in wohl abgemessener Steigerung immer mehr Charisma für seine Rolle. Hungrig, abgerissen, erschöpft und verzweifelt kommt dieser Gino an der Tankstelle an, er bekommt einen Teller Spaghetti, zahlt mit seinen wenigen Münzen und wird von der Frau angeschwärzt, dass er kein Geld für die karge Mahlzeit hergegeben hat.

Hannas Mann Joseph läuft dem vermeintlichen Lumpen nach, doch die Männer arrangieren sich schnell. Schon beim ersten Liebesschwur Ginos für Hanna kommen indes Zweifel auf, hier finden sich zwei Menschen, die das Weite suchen möchten aus ihrem Leben, aber nicht zusammenpassen, der unbändige Bauchmensch Gino und die kleinbürgerliche Hanna, die Joseph, der sie anekelt, aus Sicherheitsgründen geheiratet hat. Joseph ahnt bald, dass etwas nicht stimmt. Er protzt mit der Erbschaft, die er hinterlässt, reißt seine widerstrebende Frau, die sich gerade mit Gino vergnügt hat, an sich und versucht sie zu küssen.

Ivo van Hove färbt die neorealistische Geschichte surreal ein: Der stotternde, heulende, rauchende Motor, der schwarzes Erdöl auf Leichen spuckt, die sich nachher flugs wieder erheben, um aufzuwischen, der Priester, der als Polizist wiederkommt und sich hernach wieder in einen Priester verwandelt, das gewaltige lockende Meer, das auf einer Leinwand aus dem Bühnenboden aufsteigt – das sind schon sehr tolle Bilder.

Das übrige Ensemble ist allerdings nicht so überwältigend wie Law, das klingt jetzt nach einem Klischee, ist aber trotzdem wahr. Vielleicht liegt es daran, dass man vor allem auf ihn schaut, auf diesen vielfältigen Schauspieler, den Fernstehende vor allem als Dr. Watson an der Seite von Sherlock Holmes Robert Downey jr. kennen. Das war 2009. Doch Law hat auch Oscar Wildes Lover Bosie gespielt, Hugo Cabrets Vater, Anna Kareninas Mann - oder 2011 im Theater in London eine ähnliche Rolle wie den Gino – in „Anna Christie“, einem hierzulande kaum bekannten Drama von Eugene O'Neill: Hafenviertel, Prostitution, Vater, Tochter, Matrose - und die See.
Kino und Theater werden eins

Ivo van Hove baut eine deutliche und durchaus stimmige homosexuelle Komponente à la Bernard Marie Koltès in die Aufführung ein, die bei Visconti nicht zu sehen ist. Und immer wieder klingt Verdis „Traviata“ an: „Hat dein heimatliches Land keinen Reiz für deinen Sinn“, die Arie, mit der Vater Germont seinen Sohn Alfred an seine Herkunft und seine Pflichten erinnern will. Was macht die Fremde oder das Fremde mit einem Menschen und was macht das mit uns, den saturierten oder widerwilligen Sesshaften? Das ist zuletzt doch ein wichtiges Thema an diesem insgesamt packenden Abend mit rund 100 Minuten Filmlänge, bei dem Law nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Projektionen zu sehen ist. Es ist gut, dass die Grenzen zwischen der Kinematografie und dem Theater schon derart verschwommen sind. Noch sind die beiden nicht ganz verwoben, aber es wird daran gearbeitet.

(c) Jan Versweyveld

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