Demokratie-Abbau in Polen

Die Meinungsfreiheit ist immer das erste Opfer

Die Figuren von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (M), Ministerpräsidentin Beata Szydlo und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda als Marionetten inmitten von Demonstranten, die am 6.5.17 in Warschau auf die Straße gingen.
Die Regierung versucht, die Meinungsfreiheit einzuschränken - die Polen antworten mit Meinungsäußerungen: PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, Ministerpräsidentin Beata Szydlo und Präsident Andrzej Duda als Marionetten © Janek SKARZYNSKI / AFP
Alexander Skipis im Gespräch mit Dieter Kassel · 18.05.2017
Deutschland ist Gastland bei der Warschauer Buchmesse. 66 Verlage treten hier mit der Botschaft "Worte bewegen" an. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, warnt vor totalitären Strukturen in Polen.
Die Buchmesse in Warschau beginnt: 800 Verlage aus 32 Ländern präsentieren ihre Werke, aus Deutschland sind 66 Verlage dabei. Das von der Frankfurter Buchmesse und dem Goethe-Institut gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt vorbereitete Programm steht unter dem Motto "Worte bewegen. Siła słów".
Es soll die Literatur als einen Freiraum für den offenen Dialog und den Austausch von Gedanken, Emotionen und Informationen präsentieren. Und das in einem Land, in dem die nationalkonservative Regierung das öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter ihre Kontrolle gebracht hat. Die Regierungspartei PiS will die Medien "repolonisieren".
Welchen Spielraum haben Schriftsteller und Dichter in Polen heute? Immer noch einen großen, meint Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Denn die Kräfte für Meinungsfreiheit und Demokratie seien stark in Polen, sagte Skipis im Deutschlandfunk Kultur.
Zugleich kritisierte er die polnische Regierung. Die Meinungsfreiheit sei in Polen wie auch in Ungarn und der Türkei inzwischen stark eingeschränkt, sagte er. Wenn versucht werde, eine Gesellschaft zu manipulieren, werde zuallererst immer die Meinungsfreiheit beschnitten - und darauf folgten dann in der Regel totalitäre Strukturen. (ahe)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Ich bin ein bisschen durcheinander, weil tatsächlich unsere Filmkritikerin Hannelore Heider noch mit Außerirdischen kämpft, die sie zurzeit daran hindern, das Funkhaus zu betreten – ein weiterer Hinweis übrigens auf einen der beiden Filme, die sie jetzt noch etwas länger erraten können.
Wir werden unsere Filme der Woche kurz nach halb neun vorstellen und sprechen deshalb jetzt schon über die Warschauer Buchmesse, eine Buchmesse, bei der in diesem Jahr Deutschland das offizielle Gastland ist, und Deutschland tritt dort nicht nur mit insgesamt 66 Verlagen auf, die zusammen mit dem Goethe-Institut und anderen Organisationen nach Warschau gereist sind, sondern Deutschland beschäftigt sich dort auch in einer schwierigen politischen Situation in Polen mit dem Thema Meinungsfreiheit.

"Für das Wort und die Freiheit"

Unter anderem gibt es heute am späten Nachmittag auf dem deutschen Stand auf der Messe eine Veranstaltung, eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Für das Wort und die Freiheit. Chancen und Gefahren in Zeiten des politischen Wandels". Und neben anderen nimmt an dieser Podiumsdiskussion auch der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, teil, und den haben wir jetzt in Warschau am Telefon. Schönen guten Morgen!
Alexander Skipis: Guten Morgen!
Kassel: Tritt Deutschland als Gastland dieser Buchmesse in diesem Jahr quasi als Botschafter der Meinungsfreiheit auf?
Skipis: Ja, so kann man das schon formulieren. Es geht natürlich um mehr. Es geht darum, die Literatur als einen Freiraum für einen offenen Dialog darzustellen, und dabei spielt das Thema Meinungsfreiheit eine sehr große Rolle. Und das ist uns auch ein besonderes Anliegen, denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur in Polen, in Ungarn, in der Türkei ganz stark eingeschränkt, sodass wir als Vertreter der gesamten deutschen Buchbranche sagen, das ist ein Thema für uns, weil die Meinungsfreiheit letztendlich die Grundlage unserer Tätigkeit ist.
Kassel: Dieser gesamte Auftritt, ich habe jetzt nur den Titel der Podiumsdiskussion erwähnt, aber der gesamte deutsche Auftritt auf der Messe steht ja unter dem Motto "Worte bewegen". Wie haben denn eigentlich im Vorfeld schon die Veranstalter auf Ihren Wunsch, so aufzutreten und sich so deutlich für die Meinungsfreiheit einzusetzen, reagiert?
Skipis: Da gab es keine bemerkten Schwierigkeiten.
Kassel: Das heißt, eine gewisse Freiheit, die es in den Medien in Polen ja zunehmend nicht mehr gibt – der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unter staatlicher Kontrolle, die privaten Medien sollen, Zitat, "repolonisiert" werden – eine gewisse Meinungsfreiheit, die woanders weg ist, scheint es in der Literatur, im Buchbereich noch zu geben in Polen?

"Wir müssen immer genau hinschauen"

Skipis: Bei der Organisation der Buchmesse jedenfalls gibt es sie noch. Aber uns ist es besonders wichtig, den Anfängen zu wehren. Wir müssen immer genau hinschauen, wie die Situation der Meinungsfreiheit ist, und das ist meistens das Erste, wenn versucht wird, eine Gesellschaft zu manipulieren oder in eine bestimmte Richtung zu drängen, dann versucht man eben, die Meinungsfreiheit einzuschränken, damit nicht kritische andere Worte zu Gehör kommen.
Und das ist eine Entwicklung, die wir in der Türkei genauso jetzt sehen können. Ich will nicht beide Länder miteinander vergleichen, aber die Anfänge waren genau dieselben, und das, was bisher entstanden ist in der Türkei, das sieht man jetzt, das ist ein Weg in einen totalitären Unrechtsstaat, in dem die Meinungsfreiheit überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Kassel: Der aber, und da – ich will es auch nicht direkt vergleichen, aber da liegt auch eine Parallele zur Türkei – der aber geführt wird, dieser Staat, von einer gewählten Regierung. Wie groß und kräftig sind denn überhaupt noch die gesellschaftlichen Kreise in Polen, die das, was gerade passiert, ablehnen?
Skipis: Ich glaube, die sind sehr groß. Ich war gerade gestern noch auf einem Empfang des deutschen Botschafters in Warschau, und wir haben sehr intensiv mit Intellektuellen Polens über dieses Thema diskutiert. Das ist eine sehr starke Bewegung.
Deswegen, kein Vergleich mit der Türkei, aber Aufmerksamkeit dafür, dass da etwas passiert, was in diese Richtung geht. Der nächste Schritt der Einschränkung der Meinungsfreiheit ist immer wieder der Versuch dann, totalitäre Strukturen in einem Staat zu schaffen.
Kassel: Wie groß ist denn überhaupt, um jetzt wirklich mal angesichts einer Buchmesse über Literatur zu sprechen, wie groß ist denn überhaupt im Moment der deutsch-polnische Literaturaustausch?

Der deutsch-polnische Literaturaustausch ist lebhaft

Skipis: Der ist durchaus sehr lebhaft, der deutsch-polnische Literaturaustausch. Polnische Verlage sind wichtige Lizenzpartner für deutsche Verleger. In 2015 wurden circa 380 Lizenzen für Übersetzungen vergeben, das ist ein leichter Anstieg im Vergleich zu 2014.
Die 2016er-Zahlen haben wir noch nicht, aber das ist ein lebhafter Austausch, in dem beide Nationen füreinander in diesem Bereich sehr wichtig sind.
Kassel: Ist denn die neue Literatur, egal, ob es nun deutsche Literatur ist, die ins Polnische übersetzt wird, oder ob polnische Literatur – ist die politisch, ist die wirklich ein Gegengewicht, darüber sprechen wir gerade, gegen das, was in den Medien passiert, gegen diese Einseitigkeit, also in den Nachrichtenmedien?
Skipis: Ja, das kann eine sehr wichtige Brücke sein, und sie ist es natürlich auch. Denken Sie an das Werk von Herta Müller, "Atemschaukel", die ja als deutsche Autorin über ihre Erfahrungen in Rumänien sehr eindringlich berichtet, was es bedeutet, wenn Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, und was für Qualen und persönliche Schwierigkeiten und Leiden für Menschen entstehen, wenn ein Staat totalitär mit seinen Menschen umgeht.
Kassel: Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zum deutschen Gastauftritt auf der Warschauer Buchmesse, der, wie wir gehört haben, alles andere als unpolitisch sein soll. Herr Skipis, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen trotz aller Ernsthaftigkeit auch viel Spaß auf der Messe.
Skipis: Sehr gern, und herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema