Dresdner Sinfoniker am Grenzzaun Mexiko-USA

"Wir wollen ein Zeichen setzen gegen die Mauern in den Köpfen"

Zwei Migranten klettern am amerikanisch-mexikanischen Grenzzaun auf der mexikanischen Seite hoch.
Zwei Migranten klettern am amerikanisch-mexikanischen Grenzzaun auf der mexikanischen Seite hoch. © imago/Xinhua
Markus Rindt im Gespräch mit Ute Welty · 03.06.2017
Ob Trump, Orban oder Erdogan - der Trend geht zu Ummauerung und Einzäunung. Dagegen protestieren die Dresdner Sinfoniker: mit einem Konzert am Grenzzaun in Tijuana. Man werde dabei "die Mauer auch zum Klingen bringen", so Intendant Markus Rindt.
Mit einem Konzert am Grenzzaun im mexikanischen Tijuana protestieren die Dresdner Sinfoniker am Pfingstsamstag gegen die Mauerbaupläne von US-Präsident Donald Trump.
Wie Orchester-Intendant Markus Rindt im Deutschlandfunk Kultur berichtete, werden etwa 100 Musiker auf einer Freilichtbühne vor dem Grenzzaun auftreten.
"Dieses schreckliche Bauwerk eigentlich – aber trotz allem hat das natürlich eine unglaublich emotionale Kraft, wenn wir dann davorstehen mit dem Chor, mit dem Orchester, auch mit der Band oben auf dem Dach", so Rindt. "Und viele Perkussionisten werden dann die Mauer auch zum Klingen bringen in einem Stück."

Aufruf zum Mitmachen unter #Teardownthiswall

Der künstlerische Protest beschränke sich auch nicht auf Trumps Mauerbaupläne, sondern richte sich generell gegen die "Mauern dieser Welt", betonte der Intendant der Dresdner Sinfoniker.
"Man weiß ja um diese Probleme im Mittelmeer, die Menschen ertrinken tagtäglich. Die Menschen kommen auch nicht mehr aus Syrien in die Türkei. Erdogan hat angekündigt, ebenso eine Mauer zu bauen, auch zum Irak hin."
Rindt rief dazu auf, dass auch andere am Pfingstsamstag eine künstlerische Aktion vor einer Mauer machen und diese dann unter dem Hashtag #Teardownthiswall veröffentlichen.
Das Projekt der Dresdner Sinfoniker wurde per Crowdfunding finanziert und findet in Kooperation mit Amnesty International Mexiko statt.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Sie hätten gern in San Diego ihre Zelte aufgeschlagen, die Dresdner Sinfoniker für ihr Projekt "Tear down the wall", aber nachdem die Amerikaner das Protestkonzert nicht genehmigt haben, ist man auf die mexikanische Seite ausgewichen. Jetzt will man eben heute ab dem späten Vormittag Ortszeit eine musikalische Brücke schlagen und gegen die Mauern in den Köpfen anspielen, zusammen mit zum Beispiel Amnesty International Mexiko. Mit bei diesem besonderen Konzert ist der Intendant der Dresdner Sinfoniker – guten Morgen beziehungsweise guten Abend, Markus Rindt!
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Markus Rindt: Hallo nach Berlin, hallo Frau Welty!
Welty: Das ist ja schon ein außergewöhnliches Konzert, das auch noch massiv umgeplant werden musste. Darüber haben Sie ja auch hier in Deutschlandfunk Kultur in "Fazit" schon gesprochen. Wie ist heute die Stimmung bei Ihnen, bei den Musikern insgesamt? Vorfreude oder doch eine gewisse Spannung, dass alles gut geht?
Rindt: Das ist schon eine ganz besondere Situation. Wir sind heute hier angekommen nach einem sehr langen Flug. Erst nach Mexico City, dann haben wir da übernachtet, dann sind wir heute früh nach Tijuana. Tijuana ist genau auf der anderen Seite von San Diego, da, wo die Mauer in den Ozean hineinreicht, den Strand durchschneidet. Da sind wir nun angekommen, und als wir da ankamen, da hatte man auch schon viel aufgebaut, aber eben nur einiges, und ist hatte den Eindruck, au weia, wie will man das denn jetzt überhaupt noch schaffen.

"Ein unglaubliche emotionale Kraft"

Und dann haben wir tagsüber geprobt, und jetzt sind wir heute Abend wieder an die Mauer gegangen, um einen Soundcheck zu machen für morgen, und da habe ich wirklich meinen Augen kaum trauen können. Das war so toll, wie das da aussieht, dieses Bild, diese Bühne, zwei Ebenen und dann dahinter diese Mauer, dieses schreckliche Bauwerk eigentlich. Aber trotz allem hat es natürlich eine unglaubliche emotionale Kraft, wenn wir dann davorstehen mit dem Chor und dem Orchester, auch mit der Band oben auf dem Dach, und dann dahinten die Mauer. Viele Perkussionisten werden dann die Mauer auch zum Klingen bringen.
Welty: Das heißt, man ist Ihnen in Tijuana in Mexiko schon entgegengekommen, nachdem klar war, wir können in San Diego nicht spielen?
Rindt: Ja, es ist eine unglaubliche Solidarität hier. Wir stellen hier fest, es ist wie ein Ameisenstaat fast. Was wirklich hier in Gang gesetzt wird, die Energie, die hier freigesetzt wurde – es arbeiten so viele Menschen an diesem Projekt mit, und das alles auch für nichts, ehrenamtlich halt. Das ist wirklich erstaunlich. Denn wir haben auch sehr wenig Geld. Es wurde ja über eine Crowdfunding-Aktion finanziert. Und für so wenig, 15.000, 16.000 Euro kann man ja normalerweise so ein riesiges Festival gar nicht stemmen …

Mini-Budget von 16.000 Euro

Welty: Moment – habe ich Sie richtig verstanden? 16.000 Euro?
Rindt: 16.000 Euro, das haben Sie absolut richtig verstanden. Stellen Sie sich mal vor, da ist eine Riesenanlage da, da ist eine Riesenbühne, die die Stadt Tijuana wirklich selbst zusammengebaut hat nach unseren Angaben. Da sind fast hundert Künstler, die da mitmachen, die alle einfach so mitmachen, ohne da was dran zu verdienen. Und dann natürlich die ganzen Vorbereitungen, natürlich die Flüge, in diesem Fall von Mexico City, weil wir sowieso eine Tournee haben. Wir haben danach noch Konzerte in Mexico City auch. Aber trotzdem, für 16.000 Euro so ein ganzes Projekt zu machen, das ist eigentlich unglaublich wenig.
Welty: Ein solches Konzert zu organisieren, ist das eine. Aber wie sieht das musikalische Konzept aus? Denn ich nehme mal an, dass sie auch künstlerisch überzeugen wollen, und Sie haben ja gerade schon gesagt, dass Schlagzeuger diesen Teil der Mauer, den Sie da im Hintergrund haben, auch bespielen werden.
Rindt: Diese Mauer besteht eigentlich an dieser Stelle komplett aus Metall. Man stelle sich vor, da sind riesige Säulen in den Boden gerammt. Dazwischen sind dann Verstrebungen, die eignen sich eigentlich hervorragend dafür, entweder Schrottinstrumente dranzuhängen, zum Beispiel Eisenschrott, den wir uns auch von einem Eisenschrottplatz geholt haben. Und ansonsten natürlich auch mit gewissen Tools da dran zu hauen und die zum Klingen zu bringen.

Prägende Erfahrung: Aufwachsen in der DDR

Diese Idee hatten wir, als ich jetzt vor vier Wochen mal hier gewesen bin. Und dazu werden die anderen Musiker improvisieren, mit E-Gitarre, Bassgitarre, Schlagzeug, Keyboards, Bläsern. Und Harald Thiemann hat das Stück vorbereitet als geführte Improvisation, und ich habe es heute zum ersten Mal gehört hier in der Probe und bin absolut begeistert. Es ist ein wahnsinnig gutes Stück.
Welty: Wie weit hängt Ihr Engagement gegen die Mauer an der US-mexikanischen Grenze damit zusammen, dass auch Sie selbst eine Mauer überwunden haben, nämlich die deutsch-deutsche, mit dem Umweg damals über Prag?
Rindt: Diese ganze Geschichte in Ostdeutschland hat mich natürlich wahnsinnig geprägt. Ich war damals 20, als die Mauer fiel. Ich war ja auch geflohen aus der DDR über die bundesdeutsche Botschaft in Prag. Aber ich habe das dann auch alles erlebt, wie die Mauer fiel durch diesen friedlichen Widerstand, durch diese friedliche Revolution. Und das gesehen zu haben, so eine einmalige Sache damals, das beeinflusst natürlich das ganze Leben.
Und ich stelle mir auch vor, wenn hier zum Beispiel, jetzt in diesem Fall Donald Trump, so was prahlerisch sagt, dass er eine wunderschöne, riesige Mauer bauen will, dann muss es natürlich eigentlich einen Aufstand geben. Den gibt es eigentlich nicht, das ist erstaunlich.

Warum tun die Mexikaner nichts gegen die Mauer?

Die Mexikaner sind dann doch eher so, dass sie da – ja, sie regen sich darüber auf, aber richtig machen tun sie nichts dagegen. Und das hat jetzt schon was bewirkt, dass hier so viele Leute mitmachen, plötzlich so viele Künstler mitmachen – auch nicht nur an dieser Stelle, wo wir das machen, sondern auch an vielen anderen Stellen hier was passiert, das ist erstaunlich.
Und diese Aktion ist ja auch nicht nur gegen diese geplante Mauer gedacht, sondern unsere Aktion richtet sich an eben verschiedene Mauern dieser Welt. Man stelle sich vor – man weiß ja um diese Probleme – im Mittelmeer, die Menschen ertrinken tagtäglich. Die Menschen kommen auch nicht mehr aus Syrien in die Türkei. Erdogan hat angekündigt, ebenso eine Mauer zu bauen, zum Irak hin, und so weiter und so fort.
Die Liste ist unglaublich lang von solchen Stellen, und dagegen richtet sich unser künstlerischer Protest. Wie wollen einfach mal ein Zeichen setzen gegen die Mauern in den Köpfen, gegen die zunehmende Einmauerung der Welt und einfach auch mit Musik dagegen anspielen.

Kritik an Ungarns Umgang mit Asylsuchenden

Welty: Ihr Motto ist "Tear down this wall". Damit zitieren Sie einen, dem sich Donald Trump eigentlich verbunden fühlen müsste, nämlich dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Glauben Sie, dass Trump mit dem Zitat seines Vorvorgängers was anfangen kann?
Rindt: Er würde das wahrscheinlich nicht auf seinen Plan beziehen, wobei wir eben natürlich genau dieses Zitat ausgewählt haben. Es ist genau 30 Jahre her, im Juni, ich glaube, am 12. oder 13. Juni hat Ronald Reagan das vor dem Brandenburger Tor gesagt, und das hat schon irgendwie einen großen Einfluss gehabt, nach dem Motto, wir nehmen dieses Zitat, bringen es dahin und wenden es jetzt mal hier an.
Aber man kann es auch so meinen, dass es an viele verschiedene Stellen gerichtet ist. Da denke ich zum Beispiel auch an Ungarn, die die Flüchtlinge teilweise einsperren, wenn sie da versuchen, Asyl zu beantragen. Oder ganz viele andere Stellen.

Jeder kann unter #Teardownthiswall ein Zeichen setzen

Welty: Eine Menge Geschichte und eine Menge Eindrücke. Der Intendant der Dresdner Sinfoniker, die heute in Tijuana in Mexiko gegen Mauern in Köpfen und anderswo anspielen wollen. Markus Rindt, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Rindt: Darf ich eine Sache noch erwähnen?
Welty: Ja, ganz schnell.
Rindt: Wenn einer unsere Aktion unterstützen möchte und auch nicht in der Nähe einer Mauer wohnt oder lebt – wir hatten so viele Anfragen, wie man das denn machen könnte. Da sage ich nur: Jeder kann uns unterstützen, indem er einfach eine Aktion macht, eine originelle Aktion, ein Lied singt, ein Gedicht aufsagt, irgendetwas Künstlerisch Tolles, Interessantes macht vor einer Mauer zum Beispiel und das am 3. Juni, das wäre also morgen beziehungsweise heute schon bei Ihnen, unter dem Hashtag #TearDownThisWall veröffentlicht. Wenn es auch nur eine Minute ist oder zwei Minuten. Und dann kann man von überall dran teilnehmen, einfach nur, um selbst auch ein Zeichen zu setzen.
Welty: Herr Rindt, auch dafür herzlichen Dank, für diesen Tipp!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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