Inuit-Pop von The Jerry Cans

Rockabilly bei klirrender Kälte

Die kanadische Band The Jerry Cans
Die kanadische Band The Jerry Cans © Aalukuk Music
Von Martin Risel · 05.05.2017
Sie spielen Reggae, Americana und Rockabilly. Doch mit ihren Stücken erhalten die Jerry Cans aus dem nordkanadischen Nunavut vor allem auch ein Stück der Kultur der Inuit - abseits folkloristischer Klischees. Wichtig ist dies vor allem für die junge Generation.
Meeresrauschen, Vogelkreischen und der eisige Wind der Arktis – auf ihrem neuen Album "Inuusiq" transportieren The Jerry Cans auch die abgeschiedene Atmosphäre ihres Heimatterritoriums Nunavut im Norden Kanadas. Übersetzt aus der Sprache der Inuit lautet der Titel: "Leben". Ein Leben bei derzeit milden 12 Grad Minus.
Und auch wenn Englisch dort zur Hauptsprache geworden ist - das indigene Volk bildet die große Mehrheit der nur 30.000 Einwohner in dem riesigen Permafrost-Gebiet. The Jerry Cans wollen die Sprache und Kultur der Inuit erhalten. Sie selbst sagen dazu:
"Es ist diese Idee, sich traditionelle Sachen zu nehmen und zu modernisieren. Aus einer alten Liedform haben wir einen Rockabilly-Bluegrass-Song gemacht. Und die Leute hier lieben sowas. Damit hören sie die Sachen ihrer Großeltern auf moderne Art. Das gibt den jungen Leuten eine Plattform, stolz zu sein auf das, wo sie herkommen und was sie sind."

Der Kampf gegen die Klischees

Und weil es in Nunavut eine wachsende Community auch jüngerer Musiker gibt, die Traditionen in neuen Formen bewahren wollen, hat Bandleader Andrew Morrison vor einem halbem Jahr ein eigenes Label gegründet, unterstützt auch von staatlichen Geldern. Nicht erst seit Premier Trudeau, von dem sie hier ein bisschen enttäuscht sind, da er nicht alle seiner Wahlversprechen umgesetzt hat.
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Die kanadische Band The Jerry Cans© Aalukuk Music
In der öffentlichen Wahrnehmung haben die Inuit vor allem mit Klischeebildern zu kämpfen. "Die Medien fokussieren sich oft auf Selbstmord, Armut und die verzweifelte Anpassung zwischen Tradition und Moderne", sagt Andrew Morrison. "Da gibt es sehr starke Klischees. Und für uns ist die Musik eine Art Vehikel, diese Klischees zu hinterfragen."
Gewalt in Beziehungen ist weit verbreitet, deshalb soll der Song "Woman" Frauen stärken. Geschrieben von Morrissons Frau Nancy Mike, die ein deutsches Hohner-Akkordeon spielt, wie es vor fast 150 Jahren mit schottischen Walfängern in die Arktis kam. Mit der Christianisierung Ende des 18. Jahrhunderts wurde aber auch der traditionelle Kehlgesang der Inuit verboten. Die 30jährige hat ihn - wie zuletzt viele Heranwachsende - wieder gelernt.
Nancy Mikes Familie stammt aus dem noch unwirtlicheren Norden, wo man in noch stärkerer Verbindung mit der Natur lebt. Für sie, für ihre Familie im einst ewigen Eis ist der Klimawandel deutlich sichtbar. Nancy Mike dazu:
"Das Eis schmilzt viel schneller, das ist heute schon normal und einer der zentralen Punkte, an denen wir den Klimawandel sicher erkennen können. Die Winter werden wärmer, die Eisbären müssen viel weiter wandern. Ja, das ist deutlich sichtbar."

Der Sound erinnert an Midnight Oil und die Pogues

Und doch sind The Jerry Cans nicht als Botschafter für die Umwelt, sondern für die eigene Kultur unterwegs. In ganz Kanada, in Kuba, zuletzt in Australien. Ihr Sound erinnert auch am ehesten an die australischen Midnight Oil, manchmal an The Pogues. Eine Mischung aus flinken keltischen Fiddles und kanadischem Indierock, aus Punk und Country Noir. Dazu der besondere arktische Humor und die poetische Tradition der Inuit, in der Gesang und Geschichten vom Alltag in der eisigen Landschaft erzählen.
"Nancys Vater wurde in einem Iglu geboren", erklärt Andrew Morrison. "Und wir wollen ihn mit unserer Musik ehren. Er hat in seinem Leben Kolonialisierung und so drastische Veränderungen erlebt, die sich keiner von uns vorstellen kann. Und wir wollten seine Stimme auf unserem Album haben, weil diese Stimmen für lange Zeit zum Verstummen gebracht wurden. Er singt ein traditionelles Lied für seine Enkelin, unsere erste Tochter."
"Mein verstorbener Vater war traditioneller Jäger und sprach kein Englisch", sagt Nancy Mike. "Aber noch vor seinem Tod lernte er, mit einem iPad umgehen. Man kann also an dieser Generation sehen, wie schnell sich das Leben hier verändert hat."

Eine internationale Musiksprache

Und weiter verändern wird, nicht nur durch den Klimawandel. Aber gegen den Niedergang der Inuit-Kultur gibt es mit The Jerry Cans eine starke Stimme. Die musikalisch eine internationale Sprache spricht und damit Nunavut auf die musikalische Weltkarte setzt. Gelernt haben sie von der modernen Metropolen-Welt. Was können wir von den Inuit lernen? Nancy Mike antwortet:
"Inuit betrachten Menschen viel wertfreier, unabhängig von Alter oder Geschlecht oder so. Wir sollten uns alle gleichwertig behandeln. Das ist die einzige generelle Botschaft. Aber wenn ihr mehr über die Inuit-Kultur lernen wollt – bitte kommt uns besuchen!"
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