Zentraler Omnibusbahnhof Berlin

Der Bussteig nach Europa

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Der Zentrale Omnibusbahnhof in Berlin © Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Von Thilo Schmidt · 16.04.2017
Billiger reisen geht nicht, aber dafür muss der Fahrgast ordentlich Zeit mitbringen. Busreisen boomen zurzeit, der Zentrale Omnibusbahnhof Berlin erlebt eine Renaissance. Schlafen, lesen, essen – irgendwann wird man ankommen.
Im Minutentakt öffnet und schließt sich die rot-weiße Schranke. Große Busse schieben sich in das Halbrund aus Beton, an dem sich Haltestelle an Haltestelle reiht. Backpacker, Partytouristen, Senioren und Familien warten unter den Anzeigentafeln mit Leuchtschrift. Große Familien sind dabei, die Kinder spielen zwischen riesigen Gepäckstücken Verstecken. Vor den Containern, aus denen heraus Hotdogs, Kaffee und Souvenirs verkauft werden, kramen Reisende in ihren Geldbörsen.
Security-Leute mit Funkgeräten schlendern in kleinen Gruppen über den Zentralen Omnibusbahnhof.
Es ist einer der ersten schönen Frühlingstage in Berlin.
Drei junge Männer freuen sich über irgendetwas. Sie stehen da, mit kleinem Rucksack, quatschen und lachen.
"We’re from Ireland. And we are going to Dresden. We arrived in Berlin four days ago. It is just a short trip to see Berlin, Dresden and Prag. And then, we’re going back home. We have been flying to Tegel. Yeah, it is really cheap to fly here from Ireland. Especially from Dublin."
Sie kommen aus Irland. Vor vier Tagen sind sie mit dem Flugzeug nach Berlin gekommen. Nur ein Kurzurlaub. Wollen weiter nach Dresden. Und nach Prag.
Sie warten auf den Bus. So wie alle hier auf irgendeinen Bus warten, der kommt oder geht.

Alternative für Menschen mit Flugangst oder Bahn-Phobie

Der Zentrale Omnibusbahnhof Berlin, kurz ZOB, ist 50 Jahre alt und ein Relikt aus Mauerzeiten. Mitgenommen wirkt er, sein Alter sieht man ihm an. Für Fahrten durch die Zone war der Bus beliebtes Verkehrsmittel – und der ZOB Start und Ziel für die Transit-Passagen. Nun er lebt er eine Renaissance, vor allem seit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs 2013. Die Bahn ist teuer und der Bus für viele das Verkehrsmittel der Wahl. Auch für die drei jungen Iren.
"We wanted to take the train, but a german friend recommended the bus. The bus was violently recommended to us. Yeah. Also the person in question would not let the issue of taking the train go. It was very insistant. For some reason, he hated the train.”
Sie wollten den Zug nehmen, aber ein deutscher Freund, der aus irgendeinem Grund die Bahn hasst, empfahl inständig, den Bus zu nehmen.
"We only have a couple of holidays in our jobs now, and so we want to go somewhere off-season … well, it is beautiful wheather. I was in Berlin the summer two years ago, and it is much more tourists, so I think it is good to see Berlin. I will come back for the weekend. Then the city will be more alive."
Wir haben nur wenige freie Tage in unseren Jobs, sagt einer der jungen Männer. Darum gehen wir ein paar Tage auf Tour, außerhalb der Saison. Berlin, das ist großartig, finden sie.

Berlin-Prag für 19 Euro - billiger geht’s nicht

18 Mal täglich fährt alleine der Anbieter Flixbus von Berlin nach Dresden. Angeboten werden die Fahrten ab 6 Euro 90. Die Verbindung nach Prag ab 19 Euro. Preise, bei denen die Bahn nicht mithalten kann.
Drei Halteplätze weiter lehnt sich ein Mann, Mitte bis Ende 30, mit schwerem Koffer lässig gegen einen Betonpfeiler. Er raucht seine selbstgedrehte Zigarette, wirkt entspannt, so, als ob ihm das Reisen – und das Warten – Freude machten.
"Ich fahre nach Polen. Ich liebe den Busbahnhof hier. Es ist komfortabel, die Verbindungen sind gut, alles ist freundlich. Ich komme aus Spanien. Meine Freundin ist Polin."
Er stellt sich als Kamal Gonzalez vor. Er ist Grafikdesigner, Künstler und zeitweise auch Schauspieler. War auch Übersetzer für die Vereinten Nationen, weil er drei Sprachen spricht – gerade lernt er die vierte.
"Ich bin auf der Durchreise. Ich habe meine Familie in Spanien besucht. Ich bin um zwei aus Spanien hier angekommen. Mein Bus nach Wroclaw in Polen geht um sechs."
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Reist aus Überzeugung mit dem Bus: der Spanier Kamal Gonzales© Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Dreißig Stunden war Kamal mit dem Bus von Barcelona nach Berlin unterwegs.
Noch mal viereinhalb Stunden sind es bis Wroclaw. Das ficht ihn nicht an. Kamal liebt das Reisen mit dem Bus. Das nötige Sitzfleisch bringt er mit. Schlafen, lesen, essen – und vor allem: Die Landschaft sehen, reisen, der Weg ist das Ziel. Alle vier Stunden gibt es eine Pinkelpause. Fliegen, das ist nichts für ihn.
"Ich mag nicht gerne fliegen. Ich vermeide es, wo immer es geht", sagt Kamal. "Mit Geld hat das nichts zu tun. Null!"

Ziele in ganz Europa auf den Abfahrtstafeln

Die elektronische Abfahrtstafel zeigt Ziele in ganz Europa an: Flensburg, Malmö über Kopenhagen, Wien über Dresden und Prag, Münster über Bad Oeynhausen, Varna über Sofia, Rügen über Greifswald, Zwickau über Chemnitz, Riga über Vilnius, Goslar über Wernigerode, Bukarest über Sibiu, Saalfeld über Orlamünde. Karsten Burde schlendert in Warnweste über den Bahnhof. Er ist der Betriebsleiter. Er schüttelt Kollegen die Hand, spricht mit dem einen oder anderen Busfahrer, einige kennt er persönlich.
"Och, wir haben schon europaweite Verkehre, wir haben schon Busse gehabt, die bis nach Kamtschatka gefahren sind. Das ist dann natürlich ne Portion Sitzfleisch, die man da braucht, um da unterwegs zu sein. Also europaweit sind wir komplett vertreten."
Burde, ein Urberliner, gehört am ZOB schon fast zum Inventar. Er ist seit Jahrzehnten hier beschäftigt und 50 Jahre alt – Baujahr 1966, genau wie der Zentrale Omnibusbahnhof selbst. Er zeigt auf die Container, in denen heute die Busunternehmen ihre Tickets verkaufen. Und erzählt, wie es früher hier war.
"Und die Niederlassungen der angesiedelten Busunternehmen Eurolines / Deutsche Touring geradezu, dahinten Flixbus, die waren in der Anfangszeit des Busbahnhofes ja mal was ganz anderes. Der Eurolines/Deutsche Touring-Container war mal ein Blumenladen, der Flixbus-Container war mal ein Friseur. Und das Erschreckende daran ist, dass ich daran immer wieder erkennen kann, wie lange ich schon hier bin, weil ich hab mir da mal die Haare schneiden lassen. Ich bin der einzige auf dem Gelände, der das von sich behaupten kann."

800 Busse am Tag werden abgefertigt

Burde kennt jeden Meter des Bahnhofs und manchen Berufspendler, der montags früh mit dem Bus nach Hamburg oder Dresden pendelt. Dass jeder Bus seine zugewiesene Haltestelle anfährt und jeder Fahrgast seinen Bus findet, darüber wacht der gemütlich wirkende Berliner. Sein Job hat aber mit Gemütlichkeit wenig zu tun, der Busbahnhof ist ein Termingeschäft.
"Wir haben an unseren verkehrsstärksten Tagen Verkehrsspitzen, da fertigen wir bis zu 800 Busse an einem Tag ab. Und das will koordiniert sein. Die Fahrgäste wollen wissen: Wo fahren ihre Busse ab, damit sie sich entsprechend schon bereitstellen können, Abholer möchten wissen: Wo kommen ihre Busse an, das muss entsprechend koordiniert werden, und das muss vor allem verkehrssicher koordiniert werden."
Burde führt zur Verkehrsleitung, die sitzt in einem abgetrennten Raum im Empfangsgebäude. Tagsüber wachen hier mindestens zwei Mitarbeiter über Busverkehr und Menschenmassen, in Spitzenzeiten auch mehr.
"Das ist das Herzstück des Busbahnhofes, ich persönlich vergleiche die Verkehrsleitung gerne mit einem Tower eines Flughafens. Weil die Aufgaben durchaus ähnlich gelagert sind. Da sitzt der Verkehrsleiter, der den Überblick über den ganzen Busbahnhof hat, dort kommen die Rufe der einfahrenden Busse an und der Verkehrsleiter muss jetzt entsprechend entscheiden, wenn er ne Disposition dazu hat, dass er zum Beispiel das Unternehmen, dass wir da an der Haltestelle 28 sehen, für die Haltestelle 28 geplant hat: Ist denn die Haltestelle 28 jetzt frei, kann ich die dem Busunternehmen zuweisen?"
Dass Karsten Burde die Verkehrsleitung mit einem Tower am Flughafen vergleicht, kommt nicht von ungefähr. Er ist studierter Meteorologe, arbeitete in der Wetterwarte des Flughafens Schönefeld, bis er in den Wirren der Wende seinen Job verlor. Seit 1992 ist er am ZOB. Angefangen hat auch er als Disponent in der Verkehrsleitung.
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Passagiere steigen am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin in den Bus nach Hildesheim.© Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Durch die Verkehrsleitung werden auch Verspätungen bekannt gegeben. Das ist nicht immer ganz einfach, sagt Karsten Burde. Es gibt keine interaktive Karte, auf der die Positionen der Busse markiert sind: Bei Verspätungen greifen die Verkehrsleiter zum Telefon – ganz klassisch.
"Wenn es zu Abweichungen zu den gemeldeten Zeiten kommt, in der Regel bei Verspätungen, ist es so, dass wir von den Busunternehmen erwarten, dass die uns diese Verspätungen anmelden. Es ist natürlich bei den uns aus dem europäischen Ausland nutzenden Unternehmen auch die Sprachbarriere auf der einen Seite, und auf der anderen Seite gibt’s auch das eine oder das andere Unternehmen, das dann das als nicht ganz so wichtig empfindet, uns darüber zu informieren, ob und wann die Busse kommen."

Verspätungen werden nicht immer in Stunden gemessen

Der Linienbus aus Kamtschatka im ostasiatischen Teil Russlands, an der Beringsee, Luftlinie 8.000 Kilometer, war planmäßig eine ganze Woche unterwegs. Verspätungen werden da nicht mehr in Stunden gemessen, sagt Karsten Burde.
"Wir haben hier mitunter auch schon mal Fahrgäste, die warten mal ein oder zwei Tage darauf, dass denn ihr Bus aus Osteuropa kommt. Je weiter das denn in Richtung Osteuropa ist, je länger kann sich dann die Ankunft oder die Abfahrt des Busses auch mal verzögern. Und da sind dann unsere Möglichkeiten, Informationen über den Verbleib des Busses herauszufinden, mitunter auch begrenzt."
Auf einer Bordsteinkante vor dem Zob sitzen zwei junge Männer mit Rucksäcken. Sie kommen gerade aus Stuttgart, essen rohe Champignons und Fertig-Tiramisu aus der Plastikschale. Die Niemandsland-Atmosphäre zwischen Busbahnhof, Kongresszentrum und Straßenwirrwarr macht ihnen anscheinend nichts aus.
"Wir besuchen einen Freund, der feiert seinen 50. Geburtstag. Und daher sind wir jetzt das Wochenende über hier."
"Es sieht so ziemlich improvisiert aus, was habt ihr da, Pilze und Tiramisu?"
"Ja, einfach so, fertiges Tiramisu. Hatten wir Bock drauf."
Auch die Lärmkulisse von Messedamm und Masurenallee, die sich hier kreuzen, und der Stadtautobahn gleich nebenan, scheint sie bei ihrer Vesper nicht zu stören.
"Naja, wir kennen uns ja hier nicht wirklich aus. Und jetzt sind wir hier angekommen, haben uns die nächste Bordsteinkante gesucht und da unseren Rest gegessen. Also mit dem Bus hatten wir eine Pause, da hatten wir schon die erste Hälfte, und jetzt halt den Rest."
Eigentlich wollten die beiden mit Locomore fahren, einem privaten Zug, der mit günstigen Tickets der Bahn Konkurrenz macht. Doch auf der Schiene kommt der Wettbewerb nicht so recht in Fahrt: Der Locomore-Zug ist ausgefallen, und die Deutsche Bahn ist für die beiden zu teuer. So blieb nur der Fernbus.
"Der Tobi hat erst ne Woche vorher gewusst, ob er überhaupt mitkommen kann, von daher war das alles sehr spontan. Und dann haben wir uns eigentlich entschieden, mit dem Auto zu fahren. Aber dann hatte ich einfach keinen Bock um Auto zu fahren. Das ist halt anstrengend…"
An den Ticketschaltern der Busunternehmen bilden sich am späten Vormittag Warteschlangen. Aus einem ankommenden Bus steigen Städtetouristen und rollen ihre Koffer schnurstracks Richtung Berliner Innenstadt. Gleich fährt ein Bus ab zur Kur ins polnische Kolberg, Reisegruppen sammeln sich unter der Anzeigetafel.

Alle fahren Bus – außer Geschäftsreisende

Es ist kein Linienbus, sondern ein Bus im Gelegenheitsverkehr, auch das gibt es hier. Der ZOB weist keinen Bus ab, schließlich spült jeder Bus Geld in die Kasse. Die einzigen, die man vergeblich sucht, sind Geschäftsreisende. Zwei junge Männer stehen rum und rauchen.
"Wir sind Freunde und haben uns hier getroffen. Er fährt nach Polen und ich nach Hannover."
Ob sie hier arbeiten, frage ich, oder Urlaub machen. Er weicht der Frage aus, und ich verstehe nicht so ganz.
"He back from Leipzig, today, and I back from Poland, today. And we are in Berlin just for a few hours, to wait for another bus. He goes to Poland, Stettin. And I go to Hannover.”
Er kommt aus Leipzig, und ich aus Polen. Und wir sind nur ein paar Stunden hier, zum Umsteigen. Er fährt nach Stettin, und ich nach Hannover.
Dass er in Großbritannien studiert und gerade ein paar Tage Ferien hat, sagt der eine. Der andere will nichts über seinen Beruf sagen und druckst herum.
"I’m not must working, because I am a richie-Boy.”
Der Student kramt eine kleine Wodka-Flasche aus seiner Jacke. Ob sie sich hier zum Ausgehen verabredet haben, frage ich. Ich habe es immer noch nicht verstanden. Ich lasse es mir noch mal erklären, und jetzt verstehe ich:
Zwei Freunde aus Polen: Der eine kommt von Stettin und steigt am ZOB in einen Bus nach Hannover um. Der andere kommt aus Leipzig und wechselt am ZOB in einen Bus nach Polen. Und sie haben sich hier zufällig getroffen. Ich verabschiede mich, komme aber kurze Zeit später noch einmal zurück. Ich hatte da noch etwas vergessen.
"Eine Frage noch, one question. Can you tell me your names?”
Ich bin Charlie, sagt der eine. Und der andere, Verschlossene, greift sich plötzlich das Mikrofon, hält es dicht an seinen Mund und dann sprudelt es ungefragt aus ihm heraus.
"My name is Martin and I am a really exclusive escort boy in the world, international escort boy! I am working in Deutschland and other cities and I give sex, give my ass, give my dick. And this is my job. I am Martin. Martin-Twenty-Centimeters!”
Er arbeitet als Escort, bietet Sex an, als Zwanzig-Zentimeter-Martin.
"Yes, all safe. No bareback and no dirty.”
Er fährt mit dem Bus durch Europa und besucht seine Kunden.
"Three days in a city and I go to another city and I am travelling in the world and I give sex.”
"How long now in Poland?”
"Two weeks. And then three cities in Deutschland and then go to Paris. France, UK."
Dann raucht 20-Zentimeter-Martin eine letzte Zigarette und steigt in den Bus nach Stettin. Charlie klopft ihm zum Abschied auf die Schulter, sein Bus nach Hannover fährt etwas später.

Charme der sechziger Jahre

Der ZOB gehört dem Land Berlin. Betrieben wird er seit 2001 durch die IOB, die "Internationale Omnibusbahnhof Betreibergesellschaft", eine Tochter der Berliner Verkehrsbetriebe. Es gab Zeiten, da war es hier viel ruhiger, aber das hat sich geändert – und darum sind die Bagger angerückt. Der ZOB wird umgebaut – um ihn moderner zu machen und vor allem: Damit ihn mehr Busse gleichzeitig anfahren können. Nadine Gottschalk blättert in ihrem Notizbuch, während sie zum hinteren Teil des Zob schlendert, dort, wo die Bagger bereits arbeiten. Gottschalk ist die Geschäftsführerin der IOB.
"Also wir hatten gerade jetzt im Jahr 2016 hatten wir insgesamt 214.000 An- und Abfahrten. Das ist schon ein Rekord, wenn man das Verhältnis sieht zu 2012, wo wir nur 65.000 An- und Abfahrten hatten. Auch im Jahr 2015 waren wir auf Rekordniveau mit 208.000 An- und Abfahrten. Und das ist natürlich schon ne Hausnummer, die natürlich hier erstmal bewältigt werden musste."
Bis 2013 gab es in Deutschland gar keinen Fernbus-Linienverkehr – um der Bahn keine Konkurrenz zu machen. Ausnahme war wegen der deutschen Teilung der Transitverkehr nach West-Berlin. Busverbindungen nach Berlin blieben aber nach dem Mauerfall weiterhin erlaubt.
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Inzwischen sind fast nur noch die grünen "Flixbusse" unterwegs.© Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Seit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs kommt der ZOB an seine Kapazitätsgrenzen. Die Branche boomt.
"Na, es gibt natürlich Zeiten, wo natürlich alle Busunternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt X hier anhalten möchten. Die verteilen sich natürlich nicht so, wie wir es gerne hätten über den ganzen Tag, sondern die gucken natürlich auch, wie ist die Nachfrage der Fahrgäste. Und da gibt es natürlich Spitzenzeiten, dann ist es schon so ein bisschen Tetris-Spiel, das alles so passend zu basteln, dass es nachher im Gesamtkontext auch passt und funktioniert."
Der ZOB besteht aus einem Halbrund. An dessen Rand: Imbissbuden, die Schalter der Busunternehmen, Toilettenanlage, Verkehrsleitung und die Wartehalle. Auf der Innenseite des Halbrunds Halteplätze, und im Inneren des Halbkreises weitere Bussteige, 27 Halteplätze insgesamt. Die reichen aber nicht mehr für den zunehmenden Verkehr.
An jedem der drei Bussteige im Inneren des ZOB sind drei Halteplätze hintereinander. Weil aber die Busse in den letzten 50 Jahren erheblich größer geworden sind, lassen sich die hintereinanderliegenden Halteplätze nicht mehr unabhängig voneinander nutzen. Das macht es noch schwieriger, das Gewusel der Busse zu disponieren – ein weiterer Grund, warum der ZOB an seine Grenzen stößt.
"Jetzt hat, sag ich mal, die Kapazitätserweiterung im letzten Jahr, im Juni 2016 begonnen. Und man sieht es auch hier drüben schon, das ist der erste Bauabschnitt, wo jetzt auch schon die Bagger und alles aktiv sind. Da waren früher Bushalteplätze, Parkplätze, die aber auch zu Weihnachten und bei Hochkonjunktur für Bushaltestellen noch mit verwendet werden konnten, als separate Fläche. Die fallen jetzt erst mal weg. Dort werden jetzt in der ersten Bauphase, die, sag ich mal, bis Spätsommer diesen Jahres geht, zehn neue Bushalteplätze entstehen."
Der Busbahnhof, zwischen Stadtautobahn, Messegelände und dem Ortsteil Westend ist ein eigener kleiner Kosmos und hier und da sieht es so aus, als sei die Zeit stehen geblieben.
"Also, wir freuen uns auf jeden Fall, dass der Charme aus den 60er-Jahren, dass der dann halt mit den Umbaumaßnahmen auch erneuert wird. Das ganze Gelände wird heller, luftiger, dynamischer, diese ganzen einzelnen Containerlösungen, die Sie hier überall sehen, die auch Sichtbarrieren sind, werden entfernt. Und dadurch kommt hier ne viel, ja, ich sag mal luftigere, freundlichere Atmosphäre dazu. Dann wird das ganze Gelände barrierefrei gestaltet, gendergerecht, und wird damit eine Visitenkarte für Berlin."
Die Wartehalle hat sich seit Eröffnung des ZOB 1966 kaum verändert. Damals waren orangefarbene Plastik-Hartschalensitze modern, Fahrkarten- und Informationsschalter, wie es sie früher in jedem Bahnhof gab, haben die Zeit überdauert. Aber damit ist es bald vorbei.
"Und die Wartehalle wird komplett saniert, die Sitzplätze werden entsprechend erweitert, da werden, ich sag mal, hundert Sitzplätze mehr auf jeden Fall entstehen. Die WC-Anlagen sollen hier mit rübersiedeln, die sollen hier mit reinkommen. Und die Wartehalle, die ja auch den 66er-Jahre-Charme hat, wird auch entsprechend erneuert beziehungsweise saniert. Die Inneneinrichtung wird natürlich erneuert."

Noch dient die Wartehalle als Filmkulisse

Produktionsfirmen nutzen derzeit noch die Wartehalle als Filmkulisse, lassen in diesem Kleinod, das man sonst kaum noch findet, die Welt ein paar Jahrzehnte älter aussehen.
"Aber nichts desto trotz ist es einfach nicht mehr zeitgemäß. Und wird halt entsprechend angepasst. Und für den Fahrgast halt eine angenehme Aufenthaltsatmosphäre geschaffen."
Die vielen kleinen Container, in denen Currywürste, Souvenirs, Fahrkarten und Kaffee verkauft werden, sollen weg. Sichtachsen statt dunkler Ecken. Transparenz. Die Toiletten sollen aus dem alten Waschbeton-Flachbau an die Empfangshalle verlegt werden. Das soll den Bahnhof sicherer machen. Auch wenn er bislang nicht als Kriminalitätsschwerpunkt aufgefallen ist. Zumindest nicht mehr als andere Bahnhöfe.
An Halteplatz 30 ist der Bus nach Tuzla in Bosnien-Herzegowina angeschrieben. Menschen mit riesigen Segeltuchtaschen warten. Sprechen möchten die wenigsten. Auch eine knapp bekleidete Frau will mich wohl abweisen. Noch bevor sie dazu kommt, ertönt von schräg hinten ein Pfiff. Ein Mann wirft einen strengen Blick zu ihr herüber. Und bedeutet mir, mich zu entfernen. Zwei bosnische Familien mit mehreren Kindern sind offener.
"Wohin fahren Sie?"
"Nach Bosnien."
"Also, Sie sind also eine ganze große Familie, wie ich sehe?"
"Ganz schön viel Gepäck, ist das der Grund, warum Sie Bus fahren?"
"Natürlich. Ist wenig zu bezahlen."
"Und mit dem Flieger könnte man das alles gar nicht mit kriegen, ne?"
"Nee!"
"Wie lang sind sie jetzt unterwegs, wie lange fahren Sie?"
"22 Stunden."
Im ehemaligen Jugoslawien ist der Krieg lange vorbei, aber viel zu viele Menschen leben in Armut und werden ausgegrenzt. Nach dem Krieg sind viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz fanden, zurückgegangen in die Heimat. Auch die beiden Familien, die jetzt auf den Bus warten. Aber vor drei Jahren sind sie wieder nach Deutschland gekommen.
"Und es ist problemlos gewesen, hier Aufenthalt zu kriegen?"
"Ne. Ausbildung und Schule erstmal fertig gemacht, hier … Und deswegen können wir hier bleiben. Wir arbeiten auch hier, und deswegen."
"Aber ist das sicher, dass Ssie hier bleiben können?"
"Ja, natürlich. Wir haben Familie hier."
"Aber viele Ihrer Landsleute haben Sorge, dass sie wieder zurückmüssen."
"Ja natürlich. Weil da unten gibt es keinen Krieg, und deswegen."
"Aber es ist schwer zu leben. Für die Arbeit, und so. Ein Problem ist nur, zu leben. Das ist ein Problem. Wenn du gar nichts verdienst, wie kannst du leben, mit den Kindern, und … das ist nur ein Problem."
Auch Landsleute, die Deutschland verlassen müssen, weil sie nicht mehr geduldet werden, treten ihre Ausreise in den Balkan oftmals mit dem Bus an.
"Was erwartet Sie denn dort?"
"Gar nichts! Gar nichts! Da kann man gar nichts erwarten. Wenn du Arbeit hast, arbeitest du für 250 Euro. Ist schwer zu leben. Und für die Kinder ist es besser, hier zu bleiben. Und ich wollte, dass meine Kinder hier bleiben."
Die Busse in den Balkan gehören zu den wenigen am ZOB, die nicht grün sind. Mit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs lieferten sich mehrere Unternehmen einen ruinösen Preiskampf. Dann stieg eines nach dem anderen aus. Übrig geblieben sind fast nur noch die grünen Busse von Flixbus. Nur jeder zehnte Bus am ZOB ist von einem anderen Betreiber. Flixbus hat das Rennen offenbar gewonnen. Aber der billige Preis bedeutet: Null Service. Die Fahrgäste müssen ihr Gepäck selber in den Bus laden. Und weil Busse auch auf der Fahrbahnseite Gepäckklappen haben, kreuzen die Fahrgäste mit ihren Koffern die Fahrspuren der Busse, was gefährlich und auch eigentlich nicht gestattet ist. Das wäre früher unvorstellbar gewesen, meint Betriebsleiter Karsten Burde:
"Da wurde selbstverständlich entsprechendes Abfertigungspersonal zur Verfügung gestellt. Das heißt, die Fahrgäste haben beim Abfertigungspersonal das Gepäck aufgegeben, und das Weitere hat das entsprechende Personal besorgt. Das ist heute bei einigen Busunternehmen so nicht mehr üblich."

Fahrgast verlädt Gepäck selbst

Irgendwo müssen die Kampfpreise der Busunternehmen ja herkommen: Personal wird eingespart, der Fahrgast erledigt von der Buchung des Tickets bis zur Gepäckaufgabe alles selbst - und hievt eben auch seinen Koffer alleine in den Stauraum. Notfalls auch auf der Fahrbahnseite. Die Verkehrsleiter versuchen das zu unterbinden, weil sie Schlimmeres verhindern wollen.
"Es gab leider auf dem Busbahnhof einen Fahrgastunfall, einen sehr tragischen auch, der insbesondere natürlich für die Mitarbeiter, die damals an diesem Tag hier Dienst hatten, wenn die heute solche Situationen sehen, vorausschauend sehen, dass es wieder dazu kommen kann, natürlich auch sehr emotional dazu führt, dass die versuchen, die Fahrgäste mitunter vor sich selbst zu beschützen. Was je nach Situation nicht immer ganz einfach ist."
Gelegentlich kommt es vor, dass ein Bus gar nicht ankommt. Dann wird es hektisch in der Verkehrsleitung. Wie kommuniziert man, dass ein Bus, der den ZOB ansteuert, einen Unfall hatte? Wie informiert man wartende Angehörige, ohne sie unnötig zu verunsichern?
"Zumal wenn wir selber noch keine konkreten Informationen zu dem Umfang des Unfalls haben. Das bedarf einiges an Fingerspitzengefühl des diensthabenden Verkehrsleiters, diese Informationen so rüberzubringen, dass die Fahrgäste nicht unnötigerweise beunruhigt werden, aber sich trotzdem im Rahmen der Möglichkeiten informiert fühlen."
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Warten auf den Bus nach Serbien.© Deutschlandradio / Thilo Schmidt

27 Stunden bis Serbien

Ein freundlich dreinschauendes altes Ehepaar sitzt auf einer Holzbank. Tochter und Schwiegersohn bringen sie zum Bus, der sie vom Familienbesuch zurück nach Nis in Serbien bringt. 27 Stunden dauert ihre Reise.
"Alle vier Stunden halten sie für eine halbe Stunde an, dann können sie sich was zu Essen kaufen und auf Toilette gehen."
Die Leute im Bus sind super, versichern die beiden.
"Alles nette Menschen auf‘m Bus …"
Die beiden Senioren haben den Doppelstockbus von Serbia-Tours nach Vranje im Blick, er ist bereits an Haltestelle 10 vorgefahren. Die drei Dutzend wartenden Fahrgäste haben es nicht eilig einzusteigen. Sie wissen, sie müssen noch lange genug sitzen.
Warum sie nicht fliegen, will ich von dem alten Ehepaar wissen, warum fahren sie 27 Stunden Bus? Wegen Oma, die hat Flugangst, übersetzt der Schwiegersohn.
"Fliegen ist günstiger als Bus, eigentlich. Mit dem Bus sind hin und zurück 150 Euro, und Fliegen wäre hin und zurück 70 Euro."
Pünktlich um 17 Uhr bricht der Bus von Serbia-Tours auf und fährt Richtung Süden.
Der Betrieb geht weiter, die ganze Nacht, 24 Stunden. Der Bus aus Przemysl in Südostpolen hält am ZOB und fährt dann weiter durch die Nacht nach Paris. Der aus Warschau will nach Grenoble. Kurz vor Mitternacht stoppt der Bus von Kopenhagen nach Krakau in Berlin und spuckt müde Touristen aus. Minsk, Kaliningrad, Suwalki, Tallinn, Kiew, St. Petersburg und sogar Moskau verkündet die Anschlagtafel in dieser Nacht. Das Flugzeug wäre schneller. Aber alle Busse sind voll.
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