Skepsis wäre klug

Die Wissenschaft versucht immer wieder zu belegen, dass Hochbegabte mehr erreichen als Normalbürger. Dabei unterlaufen gerade auch klugen Menschen dumme Fehler.

Florian Oegerli
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Eltern müssen sich also keineswegs schämen, wenn ihr Kind bloss über eine «normale» Intelligenz verfügt. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Eltern müssen sich also keineswegs schämen, wenn ihr Kind bloss über eine «normale» Intelligenz verfügt. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Es sei erwiesen, meinte eine Freundin neulich in geselliger Runde, dass Kinder, die aus Teenagerschwangerschaften resultierten, im Durchschnitt einen niedrigeren IQ hätten. Wenn dem so ist, wäre das denn ein Problem, und müsste man dann, um die Bevölkerung auf mehr Intelligenz zu trimmen, fortan der Jugend das Kinderkriegen verbieten? Der Kult um die Intelligenz wird selten hinterfragt. Während normalbegabte Schüler als Schreinerinnen, Metzger oder Anwälte enden, entwickeln Hochbegabte, so eine geläufige Vorstellung, neue Öko-Treibstoffe oder schreiben Weltliteratur. Verständlich, dass sich jede Mutter und jeder Vater wünscht, das eigene Kind möge zur kognitiven Elite gehören – und sich entsprechend vehement gegen Lehrpersonen wehrt, die durchblicken lassen, die schulischen Leistungen ihres Sprösslings liessen anderes vermuten.

Doch sind intelligente Menschen überhaupt besser als normalbegabte? Tendieren sie wirklich dazu, eher Kunstwerke zu schaffen und Gerätschaften oder Konzepte zu erfinden, welche die Menschheit voranbringen?

Bereits der amerikanische Psychologe und Eugenik-Sympathisant Lewis Terman (1877–1956) versuchte in den 1920er Jahren, ein für alle Mal zu beweisen, dass Hochbegabte mehr erreichen als Normalbürger. Dazu verfolgte Terman das Schicksal von rund 1500 Kindern, deren IQ über 130 lag – die meisten davon aus wohlbehüteten Verhältnissen.

Jahre später, als «seine» Kinder erwachsen geworden waren, musste Terman jedoch feststellen, dass ein beachtlicher Teil davon sich für Berufe entschieden hatte, für die keine Hochbegabung erforderlich ist, vom Polizisten oder Matrosen bis hin zum Büroangestellten. Und dies, obwohl Terman seine Studienergebnisse grosszügig aufbesserte, indem er den Studienteilnehmern bei der Stellensuche und Studienwahl unter die Arme griff. «Ein grosser Intellekt muss keineswegs mit bedeutenden Leistungen korrelieren», hielt der Psychologe in einem Bericht resigniert fest.

Kommt dazu, dass gerade klugen Menschen oft dumme Fehler unterlaufen – Fehler, denen Normalbegabte viel leichter aus dem Weg gehen können. Weil sie ihre eigenen intellektuellen Fähigkeiten für überlegen halten, neigen Kluge zum Beispiel eher dazu, Anlage- und sonstigen Betrügern auf den Leim zu gehen. Da sie besser darin sind, ihre eigenen Annahmen argumentativ zu verteidigen, gelingt es intelligenten Menschen oft, sich erfolgreich einzureden, ein Schneeballsystem sei kein Schneeballsystem, sondern eine gute Investition. Bernie Madoff lässt grüssen. Auch in einer anderen Hinsicht kann Intelligenz davon abhalten, kritisch zu denken: Laut einer Studie der Universität von Oklahoma korrelieren höhere akademische Abschlüsse, vom Master bis zum Doktor, mit dem Glauben an Astrologie, Gespenster und ähnlichen Hokuspokus.

Eltern müssen sich also keineswegs schämen, wenn ihr Kind bloss über eine «normale» Intelligenz verfügt. Vor allem, wenn sie bedenken, dass intelligente Menschen eher an einer bipolaren Störung oder Depressionen leiden und überdurchschnittlich viel Alkohol und Drogen zu sich nehmen. Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht besonders klug, klug sein zu wollen. Der Wunsch, das eigene Kind möge hochbegabt sein, ähnelt dem ebenso bekannten Fluch, man möge in interessanten Zeiten leben. Anstatt also dem Kult der Hochbegabung und der mittels standardisierter Methoden gemessenen mentalen Rechenleistung zu huldigen, sollte man sich darauf besinnen, bei Kindern wie Erwachsenen die Neugier und eine gesunde Skepsis zu fördern – und zwar unabhängig von der Intelligenz.