Eine Komödie zur Flüchtlingskrise

Der norwegische Regisseur Rune Denstad Langlo widmet sich in «Welcome to Norway» humoristisch der Flüchtlingskrise. Im Gespräch äussert er sich über die Grenzen des Humors und über den langen Schatten seines Erstlings «North».

Urs Bühler
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«Wenn man über jemanden lacht und er mitlachen kann, dann ist es gut»: Rune Denstad Langlo (Bild: Karin Hofer / NZZ)

«Wenn man über jemanden lacht und er mitlachen kann, dann ist es gut»: Rune Denstad Langlo (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Sechzig missglückte Seiten eines Drehbuchentwurfs habe er vergangene Nacht im Papierkorb seines Hotelzimmers entsorgt. Rune Denstad Langlo rapportiert es, ohne mit einer Wimper zu zucken. Der 44-jährige Norweger sieht seine Arbeit als Prozess, als Puzzlespiel, und er hält fest: «Ich beklage mich nie. Ich denke immer: Das beste Skript gewinnt.» Auch an jenem für «Welcome to Norway», der im Herbst im Wettbewerb des Zürcher Filmfestivals lief und nun in die Schweizer Kinos kommt, dokterte er immer wieder herum, und das über rund drei Jahre hinweg. Zwanzig Entwürfe habe er gebraucht; in die Endfassung habe es schliesslich nur eine einzige Szene aus dem ersten geschafft, sagt er lächelnd.

In die Branche hineingerutscht

Im Zentrum seiner Komödie steht der vierschrötige Primus, der sein heruntergekommenes Hotel in der norwegischen Provinz retten möchte, indem er es als Unterkunft für fünfzig Flüchtlinge deklariert und entsprechende Subventionen beantragt. Das gestaltet sich schwieriger als erhofft, dafür macht er eine innere Wandlung durch - vom Feind zum Freund der Ausländer.

Gedreht innert dreissig Tagen mit einem Budget von zwei Millionen Franken in einer verlassenen Hütte in den Bergen zwischen Norwegen und Schweden, bietet der Film mit seinem trockenen Humor einigen Unterhaltungswert. Doch obwohl oder weil der Regisseur so hart daran gearbeitet hat, ist ihm kein ganz so souveräner Wurf gelungen wie bei seinem Spielfilmerstling: Mit «North» hatte er 2009 eine Art Roadmovie mit Ski geschaffen, er schickte seinen Protagonisten in starken Bildern direkt vom Nervenzusammenbruch auf eine absurde Reise durch den Schnee. Dass dem Ergebnis heute Kultcharakter attestiert wird, erwähnt Denstad Langlo mit einer Mischung aus Erstaunen und Genugtuung: «Kaum jemand in Norwegen sah diesen Film damals im Kino. Danach aber kauften ihn alle auf DVD, und alle mögen ihn. Die merkwürdigsten Leute kommen und machen mir Komplimente dafür.»

Eigentlich hätte er als Mitinhaber einer Produktionsfirma dieses Werk nur produzieren sollen. Doch eines Morgens um vier Uhr soll er erwacht sein und gewusst haben, dass er den Film selbst drehen musste. Schliesslich verarbeitete der Plot seine eigenen Depressionen, die ihn damals heimgesucht hatten. Und für die Umwandlung seiner Idee in ein Drehbuch fand er im Schriftsteller Erlend Loe den idealen Partner. Die Konstellation sei einzigartig gewesen - und habe zu einem nicht wiederholbaren Resultat geführt, sagt er: «Es hatte diesen speziellen Faktor, der nie planbar ist. Meine nachfolgenden Filme müssen somit fast zwangsläufig einige enttäuschen.»

Die norwegische Filmszene

«North» vereinte Qualitäten, die so viele skandinavische Filme prägen und durchaus in «Welcome to Norway» anklingen (der mit Anders Baasmo Christiansen überdies den gleichen Hauptdarsteller hat): eine Sympathie für Verlierertypen, der schräge bis schwarze Humor, viel Sinn für die Poesie der Leere und die Absurditäten des Lebens. Denstad Langlos bevorzugte Kulisse sind Schneelandschaften, der Winter trennt die Menschen und bringt sie zusammen, und er selbst sieht Skandinavien als Hort der Melancholie, mit Ausnahme Dänemarks. Im Gespräch verbreitet der bärtige Filmemacher zwar nicht ganz die Lakonie einer Kaurismäki-Figur, wirkt aber doch zurückhaltend, scheu fast. Und mitunter spricht er so bedächtig, dass man zwischendurch fürchtet, er könne die Worte verlieren.

Doch er hat klare Vorstellungen davon, was er mit seiner Arbeit erreichen will - in einem Metier, das er keineswegs angestrebt hatte: Aufgewachsen in einer Mittelstandsfamilie in Mittelnorwegen, hatte er nach einer Lehrerausbildung ein Geschichtsstudium aufgenommen, als er einen befreundeten Filmproduzenten nach irgendeinem Sommerjob fragte. So stieg er vor 18 Jahren als Assistent ein und blieb. Bald machte er sich selbst als Dokumentarfilmer einen Namen, ehe es ihn ins Spielfilm-Genre verschlug.

Dass er die Zuschauer auch mit «Welcome to Norway» erreicht, zeigen Publikumspreise wie am Filmfestival Göteborg. In den Kinos seiner Heimat lief der Film recht erfolgreich, obwohl es das Arthouse-Segment auch dort immer schwerer hat: «Arthouse-Filme schaut bei uns fast niemand mehr. Statt 100 000 Besucher wie vor zehn Jahren ziehen sie noch 10 000 an.» Selbst Joachim Triers international beachtetes Drama «Louder than Bombs» habe keine Ausnahme gebildet. Dass dennoch etwa ein Viertel der Kinoeintritte einheimische Werke beträfen, sei namentlich einigen Blockbustern pro Jahr zu verdanken. Der Katastrophenfilm «The Wave» etwa verzeichnete jüngst rund 800 000 Eintritte.

Lachen und mitlachen

Dabei zählte das Land bis vor zwanzig Jahren kaum mehr als ein Dutzend Regisseure. Dann wurde in Lillehammer die erste Filmschule gegründet, seither dürfte sich die Zahl etwa vervierfacht haben. Dabei profitiert die Branche auch davon, dass der Staat vor zehn Jahren den Fluss an Fördergeldern erhöht hat. Zwanzig bis dreissig Filme werden mittlerweile laut Rune Denstad Langlo im Jahr produziert, bei Subventionen von insgesamt etwa 50 Millionen Euro im Jahr könne jeweils ein Drittel bis zur Hälfte der Produktionskosten mit öffentlichen Geldern abgedeckt werden.

Zurzeit hat er zwei Filme in Vorbereitung, einen düstereren und einen eher heiteren, wie er sagt. Ein Werk ohne jeglichen Humor allerdings werde er wohl nie zustande bringen. Im Fall von «Welcome to Norway» sei zwar der Zeitpunkt für eine humoristische Behandlung schwierig gewesen: Gedreht worden war, einige Monate bevor die grosse Flüchtlingskrise in die Schlagzeilen kam, und erschienen war er dann nach deren Ausbruch. «Das war etwas schwierig. Doch ich lache ja nicht über menschliche Tragödien», stellt er klar.

Die Frage, wo die Grenze liege bei der komödiantischen Behandlung tragischer Hintergründe, beantwortet er nach einiger Bedenkzeit: «Ich weiss es nicht, denn in diesem Film haben wir keine solche Grenze überschritten.» Als Kompass diente ihm eine griffige Devise: «Wenn man über jemanden lacht und er mitlachen kann, dann ist es gut.» Und am Set, an dem 24 Nationen und 14 Sprachen vertreten waren und diverse Darsteller und Statisten einen realen Hintergrund als Flüchtlinge aufwiesen, hätten alle über alle gelacht - und also mit allen.

«Welcome to Norway» läuft in Zürich seit Donnerstag im Kino Arthouse Movie 2.