Zum Inhalt springen

Boomtown Dubai Völker der Welt, baut auf diese Stadt!

Dubai, einst Beduinen-Nest am Persischen Golf, ist heute eine Boomtown mit ehrgeiziger Wolkenkratzer-Architektur und Multikulti-Atmosphäre. Der radikale gesellschaftliche Wandel, den die Einwohner vollziehen müssen, erinnert den Kultur-Manager Michael Schindhelm an die Wendezeit in der DDR.

George Clooney erhielt 2006 den Oscar als bester Nebendarsteller in "Syriana", einem Polit-Thriller, der im Mittleren Osten der Gegenwart spielt. Clooney spielte den CIA-Agenten Bob Barnes, der während einer Aktion im Iran eine Stinger-Rakete an Terroristen verliert. Die eigentlich interessante Figur dieses Films ist jedoch nicht der Agent, sondern Prinz Nasir, der in angelsächsischen Eliteschulen mit dem Westen und seinen Gesellschaftskonzepten vertraut gemacht worden ist, und dessen Vater – Emir eines fiktiven, mit reichen Ölvorkommen gesegneten arabischen Staates – im Sterben liegt.

Panorama von Dubai (mit im Bau befindlichem Burj Tower): Beispielloser Aufstieg am Golf

Panorama von Dubai (mit im Bau befindlichem Burj Tower): Beispielloser Aufstieg am Golf

Foto: AP

Nasir plant demokratische Reformen und die Umwandlung der einheimischen Wirtschaft vom reinen Ölgeschäft zu einer modernen Ökonomie. Der Vater übergibt jedoch dem skrupellosen Bruder die Macht, der die Rückendeckung der Amerikaner genießt. Am Ende versucht Clooney/Barnes vergeblich, den reformfreudigen Prinzen vor einem Mordanschlag zu retten. Der CIA hat Nasir inzwischen als Terroristen eingestuft, weil er amerikanische Wirtschaftsinteressen in Frage stellt, der Prinz fällt mit seiner Familie dem Einschlag einer bewaffneten Drohne zum Opfer.

"Syriana" wurde unter anderem vor der exotischen Kulisse Dubais gedreht. Die Skyline zwischen den Emirates Towers und dem Burj Dubai vom Strand am Golf aus gesehen, in schier greifbarer Nähe, dahinter die in den Oman und nach Saudi Arabien hineinschwingenden Sanddünen, die Gassen und Souqs der Altstadt, das Menschengewirr aus aller Herren Länder, Gold von der Stange, Weihrauch und Myrrhe, schwer beladene Dhows in der Bucht mit Ziel Mumbai und Karachi, sinkende und aufsteigende Düsenjets über den Türmen des Finanzdistrikts, Sportwagen wie anderswo Linienbusse: Man kann sich keinen geeigneteren Set vorstellen, um die Widersprüche der arabischen Gesellschaft deutlicher zu zeigen.

Der schmale Sandstreifen unterhalb der Straße von Hormuz, auf dem vor 50 Jahren noch ein paar zehntausend Beduinen und Perlenfischer ein von der Welt ignoriertes karges Leben führten, ist der Schauplatz einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Transformation, wie sie in dieser Geschwindigkeit wohl noch nie, bestimmt aber nicht in der arabischen Welt stattgefunden hat.

Angefangen hat alles mit einer Geschichte aus tausendundeiner Nacht. Die Führer der bis dahin oftmals verfeindeten Beduinenstämme aus Abu Dhabi, Dubai, Sharjah, Ajman, Umm al-Qaiwain, Ras al-Khaimah und Fujairah setzten sich in der Wüste ums Feuer und schmiedeten eine Gemeinschaft. Zur selben Zeit wurden die ersten Ölvorkommen entdeckt. Wie in jedem Märchen gibt es in der Geschichte der Arabischen Emirate einen weisen Herrscher. Scheich Zayed von Abu Dhabi überzeugte die anderen Stammesfürsten, eine Föderation zu gründen, und setzte durch, dass die an Bodenschätzen reichen Emirate die armen in ihrer Entwicklung unterstützten.

Diese Geschichte ist jetzt 35 Jahre alt. Inzwischen sind die Vereinigten Arabischen Emirate die zweitgrößte arabische Volkswirtschaft und rangierten 2007 auf Platz 22 der erfolgreichsten Exportländer. Im Dubai Museum im historischen Viertel kann man einen Blick in die Geschichte der Stadt werfen. Man muss nicht besonders weit zurückschauen. An den Wänden des Museums hängen Fotos aus den vierziger und fünfziger Jahren mit einer verstaubten Beduinenfestung, ein paar Lehmhütten und Zelte, links und rechts an der Meeresbucht aufgereiht.

Das alles ist längst vom Sog der neueren Geschichte Dubais verschluckt worden. Wo sich vor zwei Jahrzehnten noch unberührte Strände an der Küste hinzogen, klettern jetzt Tausende von Bauarbeitern aus Pakistan und Indien, von den Philippinen und Malaysia auf Baugerüsten umher, manchmal mehrere hundert Meter über dem Meeresspiegel. Dubai ist nach Shanghai die größte Baustelle der Welt, obwohl die Stadt kaum ein Zehntel der Einwohner der chinesischen Metropole beherbergt. Jedes Jahr werden mehrere hundert Wolkenkratzer eingeweiht, und das soll erst der Anfang sein.

Dubai hat sich vorgenommen, gewissermaßen über Nacht den Sprung unter die Weltstädte des 21. Jahrhunderts zu schaffen. Zwischen New York und London links, Singapur und Hongkong rechts soll es keinen Ort auf der Weltkarte geben, an dem das Geschäftemachen und Handeltreiben so viel Spaß machen und Erfolg bringen soll wie hier. Außerdem will Dubai die unbestrittene Nummer Eins in Sachen Tourismus werden: Besuchten im vergangenen Jahr bereits 6,5 Millionen Touristen die Stadt, sollen es bis 2010 15 Millionen werden. Obwohl die Stadt schon heute einige der spektakulärsten Luxushotels zu bieten hat, soll es jetzt erst so richtig losgehen. Dubai hat eine Vergnügungsmaschinerie mit gigantischen Animationslandschaften geplant, bei deren Entwicklung die Hollywood-Studios Universal und Dream Works Pate stehen.

Die Herrscher am Golf haben im Grunde nichts anderes im Sinn als Prinz Nasir aus "Syriana": Ziel ist es auch im real existierenden Dubai, den Ruf eines Wüstenkaffs mit (unverdienten) Ölreserven abzustreifen, in dem gierige Stämme ohne Interesse am Aufbau einer modernen Gesellschaft ihr Vermögen für Platingeschirr und Apartments an Manhattans Fifth Avenue verschleudern. Schon die Namen der gigantischen Bauinvestmentprojekte, die als futuristische Oasen entweder an der Küstenlinie oder tiefer in der Wüste aus dem Sand gezaubert werden, lassen erkennen, dass die Uhren von Dubai weit nach vorn gestellt sind: Knowledge City, Internet City, Media City, Health Care City.

Man hat in Deutschland noch gut in Erinnerung, was es für die Menschen aus der ehemaligen DDR bedeutet hat, nach dem Fall der Mauer innerhalb weniger Jahre in eine andere Gesellschaft versetzt worden zu sein. Die Radikalität, mit der Gewissheiten und Erfahrungen entwertet worden sind und sich eine, wenn auch nicht gemochte, Lebenswelt in Luft aufgelöst hat, ist für viele Ostdeutsche eine Zumutung geblieben. Zwischen Wende- und Modernitätsverlierer war oft kein Unterschied zu erkennen.

Aber wie harmlos wirkt der Schritt, den die Ostdeutschen machen mussten, gegenüber dem Sprung, den die einstigen Perlenfischer und Beduinen (und ihre Nachkommen) von Dubai zu bewerkstelligen haben! Es ist eine schwierige Geschichte, eine zerrissene Stadt wie Berlin wieder zu vereinen und ihren Bewohnern das Gefühl einer gemeinsamen Identität und Zukunft zu geben. Aber man stelle sich eine Stadt vor, deren Ureinwohner nach friedlichen Jahrhunderten ein Tempo an Veränderungen vorlegen, angesichts dessen sich selbst der Puls von New York, Tokio oder Schanghai moderat anfühlt.

Schon heute sind 85 Prozent der in Dubai lebenden Menschen Ausländer, und sie kommen aus allen Erdteilen. Das Zukunftsprojekt am Golf ist auch das Projekt einer schwierigen sozialen Avantgarde: auf islamischem Fundament eine Gesellschaft aufzubauen, in der sich alle Weltreligionen und –Kulturen etablieren können. Dubai ist - zumindest zurzeit - ein Heimatangebot für moderne Nomaden. Sie kommen, um meistens nicht sehr lange zu bleiben, aber dafür umso tiefere Spuren zu hinterlassen. Sie planen reale Betontürme in die Wüste, entwickeln virtuelle Finanzkonzepte, beraten beim Aufbau von Universitäten und Kliniken, Kraftwerken und Hotelanlagen, sie bringen ihr Denken mit, ihren Lebensstil, ihre Sprache. Schon heute sind die Araber in der Minderheit. Hindu, Englisch, Farsi oder Chinesisch ebenso oft gebraucht wie Arabisch.

Aus der wunderbaren Beduinengeschichte, die sich vor 35 Jahren der weise Scheich Zayed am Lagerfeuer ausgedacht hat, ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die bei allen Besonderheiten, die die kleine emiratische Gesellschaft aufzuweisen hat, für die arabische Welt Vorbild sein könnte. Am Anfang war ein Versöhnungsakt, und der führte zu Wohlstand und Stabilität.

Dubai ist nicht "Syriana", und die Emiraties sind für den Westen keine Bedrohung. Sie sind auf dem Weg in eine moderne Gesellschaft. Der Westen wird sie begleiten. Aber sie werden es sich nicht nehmen lassen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Mehr lesen über