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Debatte um politisches Kino Ihr, Daniel Blake

Ist das Kino von Filmen beherrscht, die politisch wertvoll, aber ansonsten furchtbar langweilig sind? Darüber stritten Kritiker, Künstler und Wissenschaftler vor Beginn der Berlinale auf einer Konferenz.
Filmszene aus "Ich, Daniel Blake" von Ken Loach

Filmszene aus "Ich, Daniel Blake" von Ken Loach

Foto: Prokino

2016 organisierte das Team der Woche der Kritik (WdK), einer unabhängigen Filmreihe parallel zur Berlinale, seine erste Konferenz am Vorabend des Festivals. Und gleich die erste Ausgabe, die der Frage nachging, warum der deutsche Film auf internationalen Festivals so einen schlechten Stand hat, fühlte sich zeitlich und thematisch so gut abgepasst an, dass man sich ab sofort keine Berlinale mehr ohne WdK-Konferenz vorstellen konnte: Momente des gemeinsamen Reflektierens und auch Streitens gibt es im Festivalwirbel viel zu wenige.

Und auf den deutschen Film, so zeigte sich im Verlauf des ausufernden Abends im Berliner Kulturquartier Silent Green, haut nicht nur die deutsche Filmkritik gern ein.

Wenige Woche nach der Konferenz wurde dann aber Maren Ades "Toni Erdmann" in den Wettbewerb von Cannes eingeladen und trat von dort aus seinen hinlänglich berichteten Siegeszug an. Diese Entwicklung war mehr als eine ironische Fußnote zur Konferenz, sie stellte eine an dem Abend tunlichst umgangene Frage noch einmal dringender: Wie sinnvoll ist es, sich bei der Themensetzung so stark von der Auswahl und den Begrifflichkeiten der großen Festivals leiten zu lassen?

Eine überzeugende Antwort haben die Veranstalter der WdK-Konferenz nicht gefunden, denn bei der zweiten Ausgabe, wieder am Mittwochabend und wieder im Silent Green, stapfte man wieder in dieselbe Falle: Man fand nicht zu eigenständigen Ansätzen und Begrifflichkeiten, mit denen man aktuelle Entwicklungen im Kino erfassen könnte. Stattdessen ließ man sich von der Berlinale und ihrem Selbstanspruch, das politischste A-Festival zu sein, die Stichworte geben.

"Lost in Politics" war nämlich das Thema und "Wir fragen nach dem Wert der Politik im Kino und danach, wie man politisch Kino machen kann, statt aus Kino Politik" die eigene Maßgabe. Als Beleg für These, dass sich das Kino gerade in der Politik verliere, wurden die aktuellen Preisträger von Cannes und Berlin, der französische Flüchtlingsthriller "Dheepan", das britische Arbeitslosendrama "Ich, Daniel Blake", die iranische Politkomödie "Taxi Teheran" und die italienische Flüchtlingsdoku "Seefeuer" ("Fuocoammare"), herangezogen.

"Ich mag keine einfachen Antworten"

Schon bei seinem Impulsreferat kam der Berliner Filmwissenschaftler Nino Klingler ins Schleudern, als er zu umreißen versuchte, was diese Filme außer bedeutenden Auszeichnungen gemeinsam haben sollen. Er benannte individuelle Stärken und Schwächen der Filme, was sofort in viel interessantere Schichten vorstoßen ließ, als die meisten seiner an der Oberfläche der (Preis-)Politiken von Festivals verhafteten Analysen. Trotzdem steuerte Klingler seinen Vortrag auf die These zu, dass kein Film politisch sein könne, ohne auch ästhetische Risiken einzugehen. Vor allem sagte er aber auch, dass er jedem misstraue, der ihm eine Sache umstandslos erklären könne: "Ich mag keine einfachen Antworten."

Flüchtlingsdoku "Les Sauteurs"

Flüchtlingsdoku "Les Sauteurs"

Foto: Arsenal - Institut für Film und Videokunst

In dieser Hinsicht wird zumindest Klingler mit dem Auftakt der anschließenden Podiumsdiskussion zufrieden gewesen sein: Zu der ersten Frage von Moderator und Kritikerkollege Rüdiger Suchsland, was denn das Gegenteil von politischen Filmen sei, hatten die fünf Panelgäste nämlich gar nichts zu sagen. Verständlich, denn es war ja noch gar nicht geklärt, was man überhaupt unter politischem Kino versteht.

Joachim Lepastier, Redakteur bei der französischen Filmzeitschrift "Cahiers du Cinema", tastete sich mit Teildefinitionen vor, dass falsch verstandenes politisches Kino eines wäre, das statisch sei und keinen Raum für Beweglichkeit und Befreiungsbestrebungen lasse. Die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari ("Attenberg", "Chevalier") lehnte selbst solche vorsichtigen Umschreibungen ab: "Bitte fragt mich nicht, was andere Leute für Filme machen sollen. Ob ein Film gut wird, hängt von absolut individuellen Errungenschaften ab."

Wo sind die politischen Erweckungserlebnisse?

Carlos Gerstenhauer, Redaktionsleiter Kino und Debüt beim Bayerischen Rundfunk, griff dagegen eine Idee auf, die der künstlerische Leiter der WdK und SPIEGEL-ONLINE-Autor Frédéric Jaeger in seinem Grußwort zu Anfang des Abends formuliert hatte: dass die Berlinale ihr Image als politisches Festival nur aufrecht erhalten könne, weil Leiter Dieter Kosslick immer wieder von Journalisten darauf angesprochen werde. (Der weitergehende Gedanke, dass die eigene Konferenz diese Verbindung auch nicht gerade kappt, stellte sich anscheinend nicht.)

Roadmovie "American Honey"

Roadmovie "American Honey"

Foto: Universal Pictures

Gerstenhauer lehnte die Selbstbezeichnung der Berlinale grundlegend ab - schlicht weil er auf dem Festival noch kein politisches Erweckungserlebnis gehabt habe: "Im Gegensatz zu Cannes, wo mich 'American Honey' beeindruckt hat. Das ist ein Film, der auf eine Reise durch ein bisher nicht gezeigtes Amerika führt." Derweil hatte sich Alexander García Düttmann, Philosoph an der Berliner Universität der Künste, gedanklich hochgefahren und deklarierte, dass das sogenannte politische Kino seinem eigenen Anspruch zuwiderlaufe, weil es in Wahrheit depolitisiere: "Weil es auf Wiedererkennung setzt und damit auf Stillstand."

Dem setzte Gerstenhauer sofort entgegen, dass der Vorwurf der Depolitisierung ohne eine empirische Grundlage ziemlich haltlos sei: Um solche Aussagen zu treffen, bräuchte man schon gesicherte Erkenntnisse darüber, wie Filme beim Publikum ankämen. Und das würde oft ganz anders als gedacht auf Filme reagieren. So hätte Oliver Stones kapitalismuskritischer Film "Wall Street" vielfach als Inspiration für gierige Banker gedient und wäre das Neonazi-Aussteiger-Drama "American History X" ausgerechnet bei rechten Jugendlichen sehr beliebt.

Der Kommunismus antwortet

Auch mit seinem nächsten Definitionsvorstoß holte sich Düttmann eine Abfuhr ein: Gelungenes Kino wäre eines, das Trost spende. Viel zu passiv, winkte Tsangari ab und stellte stattdessen Katharsis als Qualitätskriterium zur Debatte: "Kathartisches Kino wäscht Scheiße von dir ab."

Woher überhaupt der Bedarf stamme, Kunst mit politischen Begriffen zu umschreiben, fragte Moderator Suchsland schließlich. Daraufhin sagte Düttmann etwas, das einiges mit der Frage und sehr vieles mit der schwierigen Grundausrichtung der Konferenz zu tun hatte: "Wir wissen doch, was in der Welt los ist. Die einfachen Antworten, die wir auf Anhieb parat haben, sind wahrscheinlich doch die richtigen."

Damit war die Brücke zu Klinglers eingehender Bemerkung geschlagen und deren hochproblematische Implikationen offengelegt: Wer komplizierte Antworten auf sehr klare politische Konflikte fordert, der setzt der Politisierung der Kunst die Ästhetisierung der Politik entgegen. Und das führt ziemlich direkt zu Walter Benjamin, der in "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" schrieb: "So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst."

Die großen weltpolitischen Ismen auf die kleine WdK-Konferenz zu beziehen, ist natürlich vermessen. Was der Abend aber nahelegte, ist, dass hinter der Forderung, das Politische aus dem Kino fernzuhalten, selbst eine politische Agenda steckt - und dazu keine sonderlich sympathische.


Das Programm der Woche der Kritik finden Sie hier.  Offenlegung: Die Autorin ist Gast bei einer der Diskussionsrunden

Fotostrecke

Berlinale 2017: Die Filme im Wettbewerb

Foto: DPA/ Berlinale
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