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Berlinale-Highlights Kann mal jemand die Security rufen?

Die Berlinale hat sich warmgelaufen: Ungarische Liebesfilme, südafrikanische Coming-of-Age-Dramen und deutscher Impro-Krawall überzeugen. Die Kurzkritiken im Überblick
Ella Rumpf in "Tiger Girl"

Ella Rumpf in "Tiger Girl"

Foto: Constantin/ Fogma / Berlinale
Filmstill aus "Teströl és lélekröl"

Filmstill aus "Teströl és lélekröl"

Foto: Berlinale

Können Menschen synchron träumen? In dem ungewöhnlichen und sehr mitreißenden Liebesfilm "Teströl és lélekröl" (Wettbewerb) der ungarischen Regie-Ikone Ildiko Enyedi nähern sich eine zwanghaft verschlossene Qualitätsprüferin (Alexandra Borbely) und ihr verkrüppelter und daher gehemmter Chef (Geza Morcsanyi) an, indem sie sich im Schlaf als zaghaft balzende Wildtiere in einem winterlichen Wald begegnen. Kontrastiert werden die poetischen Traumbilder mit den tristen und blutig-realen Alltagsszenen aus dem Budapester Schlachthof, in dem die beiden Versehrten - eine seelisch, einer körperlich - arbeiten. Ein sensibel und fantasievoll erzählter Film über die Mühsal, sich anderen Menschen zu öffnen und die Schönheit, wenn es gelingt. Andreas Borcholte


Von links: Niza Jay Ncoyini, Siphosethu Ngcetane, Zimi Banisi, Sibabalwe Ngqayana, Bongile Mantsai, Inga Qwede in "The Wound"

Von links: Niza Jay Ncoyini, Siphosethu Ngcetane, Zimi Banisi, Sibabalwe Ngqayana, Bongile Mantsai, Inga Qwede in "The Wound"

Foto: Urucu Media/ Berlinale

Die amaXhosa machen mit Jungen, die zu Männern werden sollen, kurzen Prozess. Das Beschneidungsritual, in den südafrikanischen Großstädten längst unpopulär, bildet den Rahmen für das Aufeinandertreffen dreier Männer, die nach ländlichen Vorstellungen keine richtigen Männer sind. John Trengoves Spielfilm "The Wound" (Panorama) bleibt etwas zu sehr in der feinen Psychologie seiner Figuren stecken, mag weder zeigen, wo es ums Eingemachte geht, noch wildere Bilder für die Symbolik der Handlungen suchen. Aber er findet sein filmisches Potenzial im Clash von Tradition und Moderne: Techno im Gebirge, schwule Küsse unter dem Wasserfall, geschminkte Initianten in grellbunten Sneakern. Jan Künemund


Filmstill aus "Chang Dui Hua" ("Small Talk")

Filmstill aus "Chang Dui Hua" ("Small Talk")

Foto: Small Talk Productions/ Berlinale

"Small Talk": Dieser Dokumentarfilm beginnt in einer gewöhnlichen taiwanischen Wohnung des Heute, um in seinem Verlauf auf eine andere Wohnung zu stoßen, deren Existenz in der Vergangenheit liegt und in der Grausames geschah. In beiden Wohnungen lebten und leben Filmemacherin Hui-chen Huang und Anu, ihre Mutter. Mehr nebeneinander als miteinander bewältigen sie ihren Alltag, streift Hui-chen Huang die Liebhaberinnen Anus, in deren Leben sie sich kaum auskennt. Nun kommt es zum Gespräch, das natürlich alles andere ist als Smalltalk. Kein einfacher Film in der Sektion Panorama, der einem aber noch eine ganze Weile im Kopf herumgeistert. Carolin Weidner


Wie schon in seinem gefeierten Debütfilm "Love Steaks" gelingt es Jakob Lass auch in "Tiger Girl" (Panorama), durch seinen Impro-Spielfilm-Mix ganz besondere Einblick in moderne Arbeitswelten zu bieten: Hier sind es die Denkweisen, die in einer privaten Security-Firma dem Nachwuchs eingebläut werden. Hauptsächlich geht es allerdings um die Freundschaft zwischen der wilden Titelheldin Tiger (Ella Rumpf) und der gescheiterten Polizistenschülerin Maggie (Maria Dragus), die nun ihre Ausbildung bei der Security-Firma beginnt. Gemeinsam hauen sie auf den Putz - und manchmal auch jemandem in die Fresse. Wie seine Protagonistinnen lebt der Film von der Intensität des Augenblicks. Und weil Lass die ein ums andere Mal hinbekommt, ist es auch nicht schlimm, dass "Tiger Girl" kein richtiges Ende zu finden weiß. Hannah Pilarczyk


So klein war New York selten: Eine Straße in Brooklyn, ein in die Häuserzeile eingestaffeltes Einfamilienheim mit Treppenvorsprung, ein Kellerbüro um die Ecke und eine Kneipe für die Männerrunde am Abend. Alex Ross Perry kartiert in seinem schönen "Golden Exits" (Forum) eine völlig skandalfreie Zone. Für kleine Irritationen in den fast gespenstisch unbedrohten Beziehungen sorgt die Praktikantin Naomi, die dem viel älteren Nick bei der Dokumentierung von Zeitzeugnissen hilft. Und so wie man Zeugnisse durch die Lupe sichtet, so lässt dieser Film seine Dramen sehen: Mikrodramen. Durch die Lupe werden sie nicht größer als sie sind - sie werden nur sichtbarer. Lukas Stern


Steve Coogan und Laura Linney in "The Dinner"

Steve Coogan und Laura Linney in "The Dinner"

Foto: Berlinale/ Tesuco Holdings

Von "The Dinner" (Wettbewerb), dem neuen Film von Oren Moverman erwartete man zunächst ein formal strenges Kammerspiel mit pointierten Dialogen im Stile von Yasmina Rezas "Gott des Gemetzels". Als Rahmen dient ein Dinner in einem spöttisch übertrieben dargestellten Sternerestaurant. Das Familien- und Psychodrama, das sich dort nach dem Bestsellerroman von Herman Koch mit einigen verblüffenden Wendungen auffächert, verliert sich nach furiosem Auftakt mit dem brillanten Hauptdarsteller Steve Coogan leider in zu vielen Rückblenden und angestrengten Gleichnissen. Wenn ein Ausflug zur Bürgerkriegsstätte Gettysburg zum Bruderzwistsymbol wird, wünscht man sich, Ensemble (u.a. Laura Linney, Rebecca Hall, Richard Gere) und Regisseur hätten die Füße unterm Tisch gelassen und das vielversprechende Dinner so heiß verzehrt, wie es serviert wurde. Andreas Borcholte

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Berlinale 2017: Die Filme im Wettbewerb

Foto: DPA/ Berlinale

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