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"Die Schöne und das Biest" mit Emma Watson Prinzen, diese schrecklichen, haarigen Biester

In Russland ist der Film wegen einer schwulen Figur erst ab 16, in einem US-Kino wurde er gar abgesetzt. Dabei ist "Die Schöne und das Biest" mit Emma Watson so wertkonservativ wie jeder Disney-Film - und ebenso mitreißend.
"Die Schöne und das Biest" mit Emma Watson: Prinzen, diese schrecklichen, haarigen Biester

"Die Schöne und das Biest" mit Emma Watson: Prinzen, diese schrecklichen, haarigen Biester

Foto: DDP/ INTERTOPICS/ LMKMEDIA Ltd.

Das nennt man dann wohl Stockholm-Syndrom: Die schöne junge Belle hat sich in ihren Entführer verliebt. Obwohl der ein miesepetriges Monster ist, ein "Beast" mit haarigen Pranken und schlechten Manieren, und sie zudem in eine Zelle seines großen dunklen Gespensterschlosses gesperrt hat.

Aber irgendwas zieht die beiden Außenseiter zueinander hin, das schlaue Mädchen aus dem französischen Provinzdörfchen, dessen Leidenschaft für Literatur es den anderen Dorfbewohnern suspekt macht. Und den schlecht gelaunten Schlossbesitzer, der inmitten seiner nicht menschlichen Gefolgschaft ein einsames Leben frönt, verzweifelt vor Angst, die Zauberrose könnte das letzte Blütenblatt verlieren. Dann wäre der Zauber, der einen Prinzen einst in ein Monster und die Schlossbewohner zu Interieur verwandelt hat, nämlich unumkehrbar.

Die Motive des französischen Volksmärchens "Die Schöne und das Biest" sind nach Einschätzungen europäischer Märchenforscher 2500 bis 6000 Jahre alt. Andere nennen das Leben des 1537 geborenen, an Hypertrichose leidenden "Wolfsmenschen" Petrus Gonsalvus als Inspirationsquelle für das überaus haarige Wesen, das einsam und schlecht gelaunt die Burg behaust und den Glauben daran, dass die Liebe es retten kann, wie es weiland die Fee versprach, eigentlich schon verloren hat.

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"Die Schöne und das Biest": Stockholm-Syndrom-Spektakel

Foto: DDP/ INTERTOPICS/ LMKMEDIA Ltd.

Jean Cocteaus opulente, surreal-schaurige Kino-Adaption von 1946, die als einer der ersten Fantasyfilme galt, spielte vor allem die romantischen Motive aus: "Die Liebe macht die Menschen dumm. Die Liebe macht aber auch aus einem hässlichen einen schönen Menschen", erklärt der soeben vor Belles Augen wieder menschgewordene Prinz (Jean Marais) darin seiner erstaunten Freundin, deren leidenschaftliche Tränen für das vermeintliche Biest den Zauber brachen.

Nach Cocteaus hochstilisierter Filmkunst war es aber vor allem Disneys musikalische Zeichentrickversion von 1991, die die Geschichte berühmt machte: Ausgestattet mit einem niedlichen, singenden Teekännchen, einem selbstverliebten, kinnkantigen Galan namens Gaston, der Belle unverzagt nachstellt, und psychedelisch-irren Geschirr-Gesangs- und Tanznummern, die an Wasserballett-Choreos aus Esther-Williams-Filmen erinnerten, wurde Disneys "Beauty and the Beast" einer der erfolgreichsten Trickfilme aller Zeiten und gewann zwei Oscars.


"Die Schöne und das Biest"

Originaltitel: "The Beauty and the Beast"
USA 2017
Regie: Bill Condon
Drehbuch: Stephen Chbosky, Evan Spiliotopoulos
Darsteller: Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Josh Gad, Emma Thompson, Audra McDonald, Ewan McGregor, Ian McKellen, Kevin Kline, Gugu Mbatha-Raw
Produktion: Mandeville Films, Walt Disney Pictures
Verleih: Walt Disney Germany
FSK: ab 6 Jahren
Länge: 129 Minuten
Start: 16. März 2017


Disneys Idee, einen eigenen Animationsstoff als Realfilm zu produzieren, hatte der Konzern bereits mit "Maleficent" erfolgreich umgesetzt: Aus dem klassischen 1959 entstandenen "Sleeping Beauty"-Märchen hatte es 2014 eine mit Angelina Jolie als "dunkler Fee" besetzte düstere Fantasystory inklusive abgeschnittener Feenflügel und bitterböser Rachegelüste geschnitzt. So dunkel, verzweifelt und packend war das Drama, dass es für den deutschen Markt gekürzt werden musste, um die angestrebte Freigabe ab 6 Jahren zu bekommen.

"Schwulenpropaganda"? Eher wertkonservativ

Das wird bei Disneys neuester Animationsadaption nicht passieren: Das Realfilmmusical "Die Schöne und das Biest" ist, genau wie sein Zeichentrickvorgänger, purer Sonnenschein. Im pittoresken Dörfchen, in dem Emma Watson als Bücherwurm Belle mit dem freundlichen Mechanikervater (Kevin Kline) lebt, singt man sich lächelnd "Bonjour!" ins Gesicht. Der breitschultrige Gaston (Luke Evans) schaut sich und sein Kinngrübchen am liebsten verliebt im Spiegel an, und auf dem Schloss wird zwischen dem animierten Kerzenständer Lumière (im Original gesprochen von Ewan McGregor), der gutmütigen Kaminuhr Cogsworth (Ian McKellen) und der Teekanne Mrs Potts (Emma Thompson) geschnattert, geklirrt und gesungen, was das Zeug hält.

Die drei neuen Songs, die der bereits 1991 verantwortliche Komponist Alan Menken für den Film geschrieben hat, fügen sich gut in das von allen Beteiligten mit viel Verve gesungene und gespielte Musical ein, und bis auf eine noch viel überkandideltere und ausuferndere "Be my guest"-Geschirrtanzszene ist vieles beim Alten geblieben: Disney macht mit diesem Film keine Experimente, sondern beschwört seine selbst ernannte Funktion als Hüter der guten, alten Tradition des vor Kitsch triefenden, wertkonservativen, aber enorm unterhaltsamen und mit Gags gespickten Familienfilms, der die große Liebe beschwört und Mitmachsongs galore darbietet.

Im Video: Der Trailer zu "Die Schöne und das Biest"

Dass es nach den ersten Aufführungen Kritik in russischen und auch ein paar US-amerikanischen Kinos gab, lässt einen insofern vor Verwunderung schnappatmen: Die angeblich offen schwule Figur LeFou (Josh Gad), Gastons bester und loyalster Freund, hatte homophobe, selbst ernannte Ordnungs- und Moralhüter auf den Plan gerufen - sie sahen in LeFous Anschmachten seines HBF (Heterosexual Best Friend) eine Gefahr für den Nachwuchs und setzten die Freigabe wegen "Schwulenpropaganda" auf "ab 16" hoch. In einem kleinen Bible-Belt-Kino in Alabama nahm man den Film gar ganz aus dem Programm.

Dabei werden Zuschauer, die tolerante, offen ihre Homosexualität umarmende Figuren erwarten, enttäuscht aus dem Kino schleichen: Die inkriminierte Tanzszene, in der LeFou sein berühmtes "No one hits like Gaston, matches wits like Gaston, in a spitting match nobody spits like Gaston" und so weiter aufzählt, kommt der dickliche, nur sehr zart effeminierte Kumpeltyp eher belustigend weg, als dass man hier das ernsthafte Anbahnen einer Beziehung fürchten könnte. Viel mehr als eine schwule Witzfigur mit einer Schwäche für Heteromachos ist LeFou nicht. Das kann ein später kurz aufblitzender Travestiemoment leider auch nicht ändern, bei dem einer von drei Männern sich offen freut, von "Madame de Garderobe" zur Dame aufgetakelt zu werden.

Zumindest hat sich Disney in Sachen Diversität ein kleines bisschen aus dem Turmfenster gelehnt, und - wenn auch keine der Hauptcharaktere - doch immerhin die Hälfte der Schlossbelegschaft mit "People of Colour" (beziehungsweise "Dishes of Colour") besetzt: Es spielen und singen unter anderem Audra McDonald und Gugu Mbatha-Raw mit. Und dass Hollywoods liebste Jungfeministin Emma Watson wenigstens einigermaßen autark eine Nachwuchsprinzessin geben darf, die ihre Liebes- und Lebensdinge mutig und selbstbestimmt mit dem Biest (größtenteils hinter Motion-Capture-Technik versteckt: Dan Stevens aus "Downton Abbey") regelt, versteht sich von selbst.

Dennoch ist schade, dass aus einem Stoff mit psychologischer Tiefe doch nur ein spaßiges Spektakel wurde, das - genau wie Gaston - ein wenig zu sehr in die eigene Performance verknallt ist.