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Deutsches Kino-Highlight Auf der Suche nach Kommunismus und Sex

So lässig und lustig hat sich das deutsche Kino lange nicht mehr junger Lebenswelten angenommen: Julian Radlmaiers anarchische Komödie "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" ist ein Highlight dieses Sommers.
Deutsches Kino-Highlight: Auf der Suche nach Kommunismus und Sex

Deutsches Kino-Highlight: Auf der Suche nach Kommunismus und Sex

Foto: Grandfilm

Gelassenheit ist nicht gerade das, was sich über das deutsche Nachwuchskino im Grundsatz sagen lässt. Oft sorgen dort strenge Formalismen dafür, dass den Filmen nichts entweicht. Melancholie, Klaustrophobie, zuweilen Suizidalität sind die Folge - ein leidvolles Kino, nicht selten ein schmerzgequältes.

Generell problematisch ist das natürlich nicht; schwierig wird es höchstens in der Ballung. Dann kann der Eindruck entstehen, dass es ein bisschen zum Sport geworden ist, dem Boden der Realität, auf dem sich viele dieser Filme ziemlich ausgewiesen geerdet sehen, die Nährstoffe zu entziehen.

In der diesjährigen Programmauswahl der "Perspektive deutsches Kino", der Berlinale-Sektion für den deutschen Nachwuchsfilm, wurde viel gelitten und verzweifelt - vor allem an den Lebensrhythmen einer jungen Generation (der sogenannten Generation Y), daran, mit diesen Rhythmen mithalten zu müssen, synchron sein zu müssen mit der Welt und den anderen. Julian Radlmaiers dritter Spielfilm "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" stach da heraus: Die Welt geht nicht gleich unter, wenn es einen mal aus dem Takt haut. Im Gegenteil.

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"Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes": Völlig aus dem Takt geraten

Foto: Grandfilm

Bei Radlmaier gerät eigentlich alles und jeder aus dem Takt. Wer beispielsweise auf der Apfelfarm Oklahoma im brandenburgischen Havelland tagsüber nicht genügend Äpfel pflückt, der kann, so gesteht es die Apfel-Chefin mit global-playerisch zur Raute geformten Händen zu, nachts noch das verbliebene Soll aufholen. Wenn man also innerhalb der vorgegebenen Zeit nicht fertig wird, dann lässt sich der Feierabend problemlos nach hinten verschieben - es ist der feuchte Arbeitgebertraum von flexibler Arbeitszeit. Hong und Sancho waren zu langsam, müssen nachts nachpflücken, schlafen dann aber doch: im Apfelhain. Und dort schläft es sich eh ganz gut.

Cool bleiben und schlafen, wenn man müde wird - das geht schon, wenn man will. Unter solchen Gesichtspunkten ist "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" eine fast aufmunternde Arbeit im Kontext eines bestimmten jungen deutschen Films. Radlmaier spielt sich darin selbst, inszeniert sich als denjenigen, der dabei ist, den Film zu planen und zu drehen, den wir gerade sehen. Eine wild-erregte, schamlos-verhipsterte Suche nach dem Kommunismus, der Utopie der Kunst und dem Sex. Zusammen mit Camille, mit der er dringend schlafen will und der er die Hauptrolle in seinem Film verspricht, reist Julian als Erntehelfer auf die Oklahoma-Apfelfarm.

Franz von Assisi gesellt sich dazu

Es sei eine Recherchereise, so gibt er vor, um jene Zeit zu gewinnen, die es braucht, um Camille endlich rumzukriegen. Die hingegen will aber nicht so recht zurückflirten und reist stattdessen mit Hong und Sancho sowie mit einem rätselhaften Mönch, den man auch Franz von Assisi nennen kann, nach Italien weiter, um dort einen Kommunismus ohne Kommunisten zu finden.


"Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes"
D 2017
Regie und Drehbuch: Julian Radlmaier
Darsteller: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Beniamin Forthi, Kyung-Taek Lie, Ilia Korkashvili
Produktion: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), Faktura Film
Verleih: Grandfilm
Länge: 99 Minuten
FSK: ab 0 Jahren
Start: 8. Juni 2017


Die einen suchen, die anderen finden. Manche schlafen, manche pflücken. Einige ernten schnell, andere langsam. Synchron ist hier nichts - von vorneherein schon nicht. Den Takt, den der globale Apfelmarkt anschlägt, soll man immer im Hinterkopf behalten, mahnt die Chefin. Wirklich interessieren tut das aber niemanden. Der fliehende Rhythmus der globalisierten Welt - soll er doch klopfen!

Unzählige zeitliche Ordnungen scheppern in diesem Film derart wild durcheinander, dass sich von einem einheitlichen Lebensrhythmus gar nicht sinnvoll sprechen lässt. Mit der Arbeit muss man sich beeilen, um nicht nacharbeiten zu müssen, die Liebe lässt sich nicht realisieren, weil Julian stets den richtigen Zeitpunkt verschnarcht, aus längst vergangenen Jahrhunderten kommt der heilige, stumm vor sich hin klugscheißende Franz von Assisi vorbei, und der Obrigkeit des Betriebs ist das ewige Leben sicher: Die Chefin kommt zwar einmal brutal zu Tode, steht aber dennoch wieder auf.

Die Fortpflanzungshormone gehen durch

Dann widersetzt sich der Film auch noch seinem eigenen Schluss, erzählt sich noch weiter, obwohl er eigentlich gerade im Kino zu Ende ging: Eine Szene zeigt, wie eben jener Film, den wir gerade sehen, einem Publikum auf dem Filmfestival von Venedig schon zur Diskussion gestellt wird. Der vertagte Feierabend - wenn man nicht fertig wird, macht man eben nach Schluss noch weiter. Das Kino hat sich den feuchten Traum der ökonomischen Herrscherkaste einfach geschnappt und träumt ihn jetzt selbst. Flexible Kinozeit! Ein mit sich selbst nicht synchrones Kino.

Will man auf den Punkt bringen, worum es in diesem Film geht, hat man sich schon verzettelt. Der Gag daran ist, dass dieser Film eigentlich davon handelt, dass sich eben nichts mehr einfach so auf den Punkt bringen lässt. Den Rhythmus, den man entweder mitschlägt, oder aus dem man herausfällt, gibt es nicht. Die zeitlichen Ordnungen gehen mit der Welt durch wie die Fortpflanzungshormone mit Julians Körper. Klug ist das alles in dem Maße, in dem es komisch ist - und "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" ist ein perfekt pointierter und unglaublich witziger Film. Weder den Kommunismus noch den Sex findet er am Ende. Na und? Muss ja auch nicht sein.

Gerade im Kontext seiner Kolleginnen und Kollegen im jungen deutschen Film fällt auf, wie gelassen Radlmaier mit moderner junger Lebensrealität und ihren Zeitlichkeiten umgeht. Nicht, weil er sie intellektuell zerlegt und in selbstreferenzielle Metaspielchen überführt, wo sie sich dann endlos vor sich hin verkomplizieren können, sondern, weil er sie von der Leine lässt. Die Rhythmen, die das Leben takten - sie sind nicht nur die Zwangsmaschinen, an denen wir leiden, sie sind auch lebendig und wild, eigensinnig und komisch.

Im Video: Der Trailer zu "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes"