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Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche

Diesen Mann muss eine goldene Kugel töten, findet Jan Wigger - und wünscht Mark Oliver Everett, dem Frontman der Eels, diese Todesart aus purer Zuneigung. Danach wirft er sich Polly Scattergood in die Arme. Und Phoenix? Klar, läuft nach Plan. Aber warum so geizig mit Geistesblitzen?

Eels - "Hombre Lobo"

(Vagrant Records / Cooperative Music / Universal, 29. Mai)

Mark Oliver Everett, genannt E, wird Ihnen voraussichtlich auch nicht erklären, warum der letzte Song auf "Hombre Lobo" nicht "No Ordinary Man", sondern "Ordinary Man" heißt. Das zu Herzen gehende Liedchen, das an die himmelschreiend traurigen Miniaturen auf "Electro-Shock Blues" erinnert und Everetts schicksalhafte Lebensgeschichte resümiert, erklärt sich selbst: "No one has a right / Until they've fought my fight / To understand just where I'm coming from / And it's that fight that brought me here today / Exactly as I am / No ordinary man."

Zuletzt führte das therapeutische Schreiben des Einzelgängers, der für die Wendung "Life's what you make it" längst kein müdes Lächeln mehr übrig haben dürfte, zum wundervollen Wälzer "Things The Grandchildren Should Know" (in auf "Your Lucky Day In Hell" anspielendem Idiotendeutsch: "Glückstage in der Hölle"). Doch am schönsten ist es immer noch, wenn zum ungewohnten Mülleimer-Schlagzeug und dem tröstlichen Brummen Everetts die Musik der Eels erklingt. "A hungry dog howls through the trees / It echoes long on the lilac breeze / A blackbird sings a song so sad" lässt E in "That Look You Give That Guy" die Tage vorüberziehen und genau so klingt diese Platte. Sagen wir es ruhig: Die Kugel, die E tötet, muss aus Gold sein. (7) Jan Wigger

Polly Scattergood - "Polly Scattergood"

(Mute Records / Import / Megaphon Importservice)

Polly Scattergood, so bemerkte einmal jemand, das sei doch wohl ein ausgedachter Name, eine Romanfigur von Mark Twain vielleicht, ein stage name jedenfalls, der unmöglich Gutes verheißen kann. Aber hätte nicht wenigstens dieser Name dafür sorgen können, dass ein gefährlich gutes Album wie "Polly Scattergood" auch regulär in Deutschland erscheint? Bis auf weiteres muss man also sein Seelenheil dem Importservice anvertrauen. Und dann dem gloriosen, fast schon zu unmittelbaren "Unforgiving Arms", das sich so reizvoll aufbaut und immer, immer größer wird: "He's a typical writer / Always in love with what is gone / And I am a typical sinner / With a knife inside my back jean pocket."

Tatsächlich ist die Beschäftigung mit Scattergood kein folgenloses Vergnügen: Der ohnmächtige "Poem Song", der wie ein Echo aus Tori Amos' "Under The Pink"-Phase wirkt, reißt tiefe Wunden und die Fotos im Booklet haben die grellbunte, unheilvolle Kraft von Harmony Korines Film "Gummo". Gleich den ersten Track "I Hate The Way" reißt die Scattergood mit harscher Elektronik auseinander: "Dodododododododo / My doctor said I've got to sing a happy tune." Glücklich ist, wer trotzdem lacht. (8) Jan Wigger

Grizzly Bear - "Veckatimest"

(Warp Records / Rough Trade)

Ich kann mir nicht helfen, aber je öfter ich die Gruppe Grizzly Bear höre, desto größer wird mein Glaube daran, dass ein Stück wie "I Cheat The Hangman" von den Doobie Brothers schon 1975 ganz viel von dem vorweggenommen hat, was jetzt auf "Veckatimest" vorliegt. Aber so ist das eben mit einer Band, die alles kann: Man wird misstrauisch, verfällt ins Alte-Säcke-Denken und merkt dann doch recht schnell, dass Grizzly Bear einen ganz eigenen, höchst kreativen Baumhaus-Folk spielen. Was bei den Fleet Foxes ohne jede Verzögerung betörte und bei Animal Collective den Mathematiker-Kniff gleich mitlieferte, fließt bei Grizzly Bear wie ein einziger langer Song zusammen: "Two Weeks" ist verwehter Doo-Wop, "While You Wait For The Others" wird im befreienden Refrain endlich Pop und "Foreground" endet mit hauchfeinem Engels-Chor. Kunst, natürlich. (7) Jan Wigger

Phoenix - "Wolfgang Amadeus Phoenix"

(V2 / Cooperative Music / Universal)

Um eine gar nicht so weit hergeholte Analogie zu bemühen: Wer sich in diesen Tagen noch immer nicht für Fußball interessiert, der wird sich nie mehr für Fußball interessieren. Wer die neue Phoenix-Single "Lisztomania" hört und nicht begreift, dass es sich hier um einen nahezu perfekten Popsong handelt, der kann seinen Plattenspieler gleich im nächsten Ramschladen abwracken lassen. "Lisztomania", "1901" und "Fences": Drei ausgezeichnete Tracks lang hält man es für möglich, dass die schwer zu fassenden Franzosen wieder ein Album aufgenommen haben, dass an die ausschweifende Herrlichkeit des Debüts "United" oder die unterkühlten, präzise ausgezirkelten Dance-Tracks von "Alphabetical" heranreicht. Dann aber stört das Instrumental "Love Like A Sunset Part I" den natürlichen Lauf der Platte, die zwar mit dem vorzüglichen "Lasso" noch einmal Fahrt aufnimmt, aber im zweiten Teil mit den ganz großen Geistesblitzen geizt. Das flotte "Armistice" aber ist ein feiner Abschluss: "Keeping promises / For lovers in a rush / For lovers always." So lange selbst Hellmuth Karasek die listigen Verführer liebt, läuft alles nach Plan. (6) Jan Wigger

Akron/Family - "Set 'Em Wild, Set 'Em Free"

(Crammed / Indigo)

Ein kleines bisschen Verwunderung kann niemals schaden: Es gibt eine Split-LP, auf der die Akron/Family gemeinsam mit Michael Giras Angels Of Light musiziert. Der Michael Gira, dessen zähes Swans-Album "Children Of God" uns in den Achtzigern gleichermaßen Angst einflößte und faszinierte. Heute heißt es ohne Gira "Set 'Em Wild, Set 'Em Free", was einerseits eine Grußadresse an den verlustig gegangenen Bandkollegen Ryan Vanderhoof ist, andererseits ein Verweis auf elf weitreichende, zum Teil beglückende Tracks. Mit "River" schlägt man sich geradezu um den stets in Abwesenheit von Paul Simon verliehenen "Graceland"-Orden am Bande und "The Alps & Their Orange Evergreen" ist schläfrig schöner Country-Folk, der in "Many Ghosts" ins Unheimliche überführt wird. Das bemüht dissonante "MBF" aber ist Blödsinn und auch "They Will Appear" wird ohne Not zergniedelt. Trotzdem: gute Platte, im Pilzrausch vermutlich einen Punkt besser. (6) Jan Wigger


Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)

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