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Kraftklub: Brave Buben, böse Worte

Foto: Philipp Gladsome

Neues Album der Indie-Rockband "Es hören auch Idioten Kraftklub"

Sie sorgen mit dem Wort "Hure" für linke Empörung und raten rechten Wutbürgern, aus dem Fenster zu springen: Die Chemnitzer Rockband Kraftklub befreit sich mit ihrem neuen Album von Indie-Zwängen und Bedenken.

Natürlich war es als Provokation gedacht. Als sich Kraftklub Mitte März nach knapp dreijähriger Pause mit einem neuen Song bei ihren Fans zurückmeldeten, hatten sie für ihr Comeback eine ganz besondere Nummer aus ihrem neuen Album "Keine Nacht für Niemand" herausgesucht. Die für ihre energischen Punkrock-Auftritte bekannte Band aus Chemnitz ("Ich will nicht nach Berlin") brachte plötzlich eine Ballade heraus. Auch im Videoclip ging es ungewohnt feierlich zu: Die Musiker, uniform in Schwarz-Weiß-Rot gekleidet, performen vor einem veritablen Orchester, dahinter brennt nach und nach ein riesiges "K" ab, das Erkennungszeichen der Gruppe, deren erstes Album 2012 "Mit K" hieß.

Über das Flammen-Pathos und die fragwürdige Reichsflaggen-Farbkombi hätte man streiten können. Was dann jedoch tatsächlich für ein kleines Stürmchen der Entrüstung sorgte, war der Refrain des Songs: "Du verdammte Hure, das ist dein Lied", heißt es da mit Inbrunst aus der Perspektive eines enttäuschten, rachsüchtigen Lovers. Im Musikblog "Kaput Mag" empörte sich  die Autorin Paula Irmschler über "Slutshaming", "Spreeblick"-Betreiber Johnny Haeusler zeigte sich enttäuscht  von einer Band, die er eigentlich mag, die nun aber ihrem zumeist weitaus jüngeren Publikum mit dieser Zeile erlaube, Frauen "Hure" zu nennen.

"Wir fanden es eher provozierend, Streicher einzusetzen", sagt Kraftklub-Sänger Felix Brummer im Interview nur ein ganz kleines bisschen kokett - und wundert sich über die "kunstfeindliche Haltung" der wütenden Feuilletonisten. "Ich glaube, die Leute hätten darüber überhaupt kein großes Aufheben gemacht, wenn alles schön seine Ordnung behalten hätte. Wenn die bösen Rapper die bösen Wörter benutzt hätten und die lieben Indie-Bands gefälligst bei ihren lieben Indie-Texten geblieben wären", sagt der 27-Jährige, der Kraftklub 2009 zusammen mit seinem jüngeren Bruder Till und drei weiteren Musikern als Hybrid aus Hip-Hop-Sprechgesang und Punkrock gründete.

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Kraftklub: Brave Buben, böse Worte

Foto: Philipp Gladsome

Aber was, wenn Kraftklub, die bisher harmlose Indierock-Band, nun mit "Dein Lied" tatsächlich einen "Rausschmeißer auf Malle" (Haeusler) geschaffen haben, mit dem dumpfe Kerle besoffen grölend ihrem Frauenhass Luft machen? Brummer wehrt sich gegen solche Überlegungen: "Muss man bei seinen Texten immer eine Gebrauchsanweisung mitliefern?" Nach zwei Nummer-eins-Alben und ausverkauften Tourneen sei es nicht abzustreiten: "Es hören auch Idioten Kraftklub", sagt er. "Aber heißt das dann, dass man nur noch Musik machen darf, wo man sicher ist, dass sie auch der letzte Vollidiot versteht?"

Damit lande man dann, "so gemein das klingt", im Radio beim gefühlig dahinduselnden Mainstream der deutschen Popmusik, bei den Max Giesingers und Mark Forsters. "Da gibt's nicht so viel misszuverstehen, da ist auch nicht viel, worüber sich streiten ließe. Wer's einfacher mag, ist bei uns generell nicht so gut aufgehoben."

"Na klar ist das politisch unkorrekt"

Tatsächlich ist das dritte Album für die Chemnitzer ein emanzipatorischer Schritt heraus aus der Authentizitätsfalle, in die Rock- und Pop-Künstler zurzeit gerne getrieben werden. Anders als in früheren Jahrzehnten, als das Publikum kompetent zwischen Rollenspiel und Privatperson unterscheiden konnte, herrscht seit einiger Zeit der zeitgeistige Wunsch nach Deckung beider Künstlerpersönlichkeiten vor: Werte, Ethos und Haltung des Pop-Idols sollen möglichst im Einklang mit dem stehen, was er auf der Bühne vertritt. Das Ergebnis ist allzu oft Konturlosigkeit und Langeweile.

Für Brummer und seine Band eine No-go-Area: "Dieser Authentizitätsgedanke, der soll bei den YouTubern bleiben", sagt der Sänger. "Die leben davon, dass sie einfach ihr echtes Leben zeigen, mag es auch noch so belanglos sein. Die halten einfach drauf, wie sie einkaufen gehen, ihre Sachen packen, ihr Zimmer aufräumen. Das interessiert ja scheinbar auch Leute, aber wir machen ja Kunst, so hochtrabend das jetzt klingt. Wir denken uns Geschichten aus. Und wenn wir die Perspektive des gebrochenen Ex-Freundes faszinierend finden, dann finden wir die halt faszinierend. Na klar ist das politisch unkorrekt, aber es ist nachvollziehbar, stark und spannend. Finden wir." Darüber könne man sich dann auch gerne streiten, findet Brummer, "Aber das gleich von vornherein gesagt wird, das darf man nicht, das ist eine komische Geisteshaltung."

Für das neue Album habe sich die Band von vielem freigemacht. In den Texten habe man sich vom "Korsett der Wahrheit" befreit, sagt Brummer, und auch musikalisch machten sich Kraftklub locker. Bisher, so Brummer, musste es musikalisch immer schneller und lauter werden, damit es später auf der Bühne "richtig reinscherbelt". Diesmal nahm man sich mehr Zeit für Zwischentöne und eine ausgreifende Stilistik. In den Liedern des Albums eine ganze Reihe Zitate prägender Pop-Einflüsse, vom Ol'-Dirty-Bastard-Anklang in "Chemie Chemie Ya" über Stone Roses, Bronski Beat und Depeche Mode ("Sklave") bis hin zu Eurotrash und Deichkind. Schon der Titel ist eine Reverenz an "Keine Macht für Niemand" von Ton Steine Scherben, das wohl bedeutendste kämpferische Statement, das deutscher Pop je hervorgebracht hat.

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Brummer beeilt sich, die Messlatte niedrig zu legen: "Ich hoffe, es entsteht der Eindruck nicht, dass wir uns in den Fußstapfen oder in einer Reihe mit den Scherben sehen." Lustig habe man gefunden, dass sich der komplette Sinn des 68er-Mottos umdreht, wenn man nur einen Strich von einem Buchstaben weglasse - und "Macht" zu "Nacht" wird. Denn mehr als um Systemkritik geht es Kraftklub um ein libertäres Aufbäumen, ein Feiern von Exzess und Ausgelassenheit, gegen den Drang zu Selbstoptimierung, den Zwang zur Fitness, die Ächtung von Rauchern. Am Scherben-Sänger Rio Reiser, sagt Brummer, habe er immer bewundert, dass er sich nicht habe einschnüren lassen: "Der hat nicht gesagt, ich bin jetzt der tolle politische Künstler. Wenn er einen großen Liebessong schreiben wollte, dann hat er das einfach gemacht."

Ungestümes An-die-Wand-Werfen

In dieser Tradition - also doch - sehen sich auch Kraftklub. Sie wollen nicht immer die Typen sein, die witzig oder ironisch sind. "Keine Nacht für Niemand" ist auch ein Austesten ihrer eigenen Flexibilität, ein lautes, zuweilen sympathisch ungestümes An-die-Wand-Werfen von Ideen, Einflüssen, Bildern und Zeichen, aus denen sich jeder seinen eigenen Lieblings-Kraftklub zusammensuchen kann. Man kann das auch Ausverkauf nennen, aber nur, wenn man böse will.

Verantwortung wollen die Chemnitzer, auch das Teil ihrer großen Befreiungsaktion, jedenfalls gerade nicht: Weder für die "Hure", noch für andere Botschaften ihres Albums. "Fenster" zum Beispiel, die zweite Single, die weitaus weniger Aufsehen erregte als "Dein Lied", obwohl mehr oder minder direkt zum Selbstmord aufgefordert wird und sich im Video blutige Leichen türmen. Im Stile von Ärzte-Gassenhauern wie "Schrei nach Liebe" versetzt sich die Band in einen typischen Wutbürger, der Staat und Medien ebenso misstraut wie er Gutmenschen verachtet. Ihm rufen sie ihm Refrain mitreißend-sarkastisch zu: "Spring aus dem Fenster für mich/ Du kannst was erreichen/ Trag auch du zu etwas bei". Den finalen Chorus, wie ein Ritterschlag, hat Ärzte-Sänger Farin Urlaub übernommen.

Das Herz schlägt also links? Auch auf solche politischen Verortungen will sich die Band nicht einlassen. Sie halten nichts von der Idee, Kunst als agitatorisches Werkzeug zu betrachten. "Wir machen keinen politischen Song, um unsere breite Hörerschaft davon zu überzeugen, auf der richtigen Seite zu stehen", sagt Brummer. "Das würde voraussetzen, dass wir denken, auf der richtigen Seite zu stehen, und es würde voraussetzen, dass die Leute es dann auch so verstehen, wie wir es meinen. Von beidem nehme ich Abstand".