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Israel-Popstar Noga Erez Kein bisschen Frieden

Das richtige Leben im falschen, jeden Tag: In der tanzbaren Elektro-Popmusik von Noga Erez artikulieren sich Ängste, Wut und Frustration der jungen Generation Israels.
Sängerin Noga Erez

Sängerin Noga Erez

Foto: Tonje Thilesen

Etwas am Bild dieser jungen Frau ist zutiefst beunruhigend. Noga Erez scheint dem Käufer ihres Debütalbums von diesem großen Foto direkt anzustarren, herausfordernd, fast trotzig. Aber nur auf den ersten Blick. Sieht man genauer, länger hin, dann zeigt sich die Traurigkeit in ihrem Gesicht. Die Krisenmüdigkeit, die an den 1000-yard-stare kriegserprobter Soldaten erinnert. "It's not the pretty picture", es sei nicht das liebliche, sexy Bild, das man erwarte, sagt die 26-Jährige beim Interviewtermin in Berlin, während sie sich eine dünne Zigarette dreht. "I like that."

"Off The Radar" heißt das Album mit ihrem Porträt darauf. Es erscheint diese Woche und wird dafür sorgen, dass Noga Erez, eine Musikerin und Sängerin aus Tel Aviv, sehr wohl auf den Radarschirmen der Pop-Beobachter zu finden sein wird. Aber mit dem spielerisch wirkenden Titel meint sie nicht in erster Linie sich selbst, sondern "eine große, sehr große Stimme in meinem Land, die in der Welt nicht gehört wird. Die Stimme von jungen, intelligenten Leuten, die einfach nur ein normales und friedvolles Leben wollen - und dafür auch bereit sind, Opfer zu bringen und Kompromisse einzugehen".

Noga Erez

Noga Erez

Foto: Tonje Thilesen

Nicht umsonst feiern einige israelische Medien Erez bereits als Stimme einer Generation junger Israelis, die sich nicht mit Premier Benjamin Netanyahu und seiner konservativ-orthodox geprägten Sicherheits- und Siedlungspolitik identifizieren können. Einer Generation junger Israelis, die genug von Gewalt und Terrorangst haben und sich nach Frieden in ihrem geteilten Land sehnen. Ihre Frustrationen und Ängste klingen in der Musik von Noga Erez an. Es ist ein sehr moderner, zu langsamen, abgezirkelten Tanzbewegungen animierender Sound, der sich aus den aktuellsten Trends des Hip-Hop und Future-R&B bedient. Mit gefährlich gelangweilt klingender Stimme singt Erez über enttäuschte Loyalitäten, korrupte Könige, Hände, die Gift füttern, ausgezehrte streunende Katzen im Land der Hunde.

Filter-Bubble Tel Aviv

Es sind kraftvolle Bilder und wirkmächtige, unbehagliche Sounds, die Erez zusammen mit ihrem Lebens- und Musikpartner Ori Rousso erschaffen hat. Beide schreiben Texte und Musik gemeinsam. Rousso stammt aus einem Rock-Umfeld, spielt in einer Band in Tel Aviv, Erez selbst studierte klassische Komposition an einer Musikschule und hatte zu College-Zeiten eine Jazz-Band, die sie jedoch nicht weiterverfolgte. Rousso brachte ihr das Programmieren elektronischer Klänge und Rhythmen mit Ableton-Equipment bei. Das habe sie "zu einer komplett neuen Musikerin werden" lassen, sagt sie.

Nun könnte sie zum größten Popexport Israels seit Ofra Haza werden, und eine würdige Nachfolgerin der Agitprop-Künstlerin M.I.A., mit der Erez mangels Alternativen notdürftig verglichen wird. In einer Szene ihres selbstgedrehten Video-Clips zum Song "Toy" lauert sie wie Batgirl mit dunkler Kapuze über der nächtlichen Szenerie ihrer Heimatstadt Tel Aviv, eine Rächerin. Im Song geht es um Menschen, Prinzen, Thronfolger, die unfreiwillig an die Macht gelangen und dann erfahren, wie leicht es ist, korrumpiert zu werden. "I wear a crown with my head down", singt sie an einer Stelle. An welche Politiker oder Machthaber der aktuellen Regierung sie dabei gedacht habe, verrät sie nicht, lässt aber durchblicken, dass sie es für eine Illusion hält, in einem modernen politischen System zu leben: "Wir leben immer noch im Zeitalter von Königen und Königinnen, aber wir erzählen uns das Märchen von der Demokratie."

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Die Entstehung der Songs ist ein fast schon journalistischer Prozess. Erez und Rousso diskutieren viel über Politik und Alltagsgeschehnisse. So, wie sie auch ihre Musik in einem künstlerischen Dialog zusammen kreieren, formulieren sie auch aus diesen Konversationen am Küchen- oder Wohnzimmertisch gemeinsame Texte. In "Pity" geht es um einen Vergewaltigungsfall, der Erez tagelang auf die Palme brachte. "Dance While You Shoot" ist der Versuch, die Absurdität des Lebens in Tel Aviv abzubilden, zwischen Party-Hedonismus und kulturellem, wirtschaftlichem Reichtum einerseits - und der ständigen Bedrohung durch Meuchelmörder mit Messern oder Bombenattentate andererseits. "In Tel Aviv", sagt sie, "muss sich niemand erst eine Filter-Bubble erschaffen, man lebt schon die ganze Zeit in einer. Man muss sich sehr anstrengen, um sich ihrer bewusst zu werden und auszubrechen."

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Passive Aggressivität

Die Musik von Noga Erez, die mit unerbittlichen Angst- und Wut-Bildern direkt in einen Nachtclub hineinstürmt, hat das Zeug dazu, Eskapismus-Blasen platzen zu lassen. Wie jede junge Israelin musste auch Erez nach der Schule Militärdienst leisten. Die musisch begabte Tochter eines Telekommunikations-Unternehmers und einer Lehrerin für Englisch und Literatur hatte Glück: Als Sängerin verbrachte sie ihre Dienstzeit damit, in aller Welt für israelische Soldaten und Gemeinden aufzutreten, Pop-Songs, hebräische Hymnen, Heimat-Entertainment für Truppen und Diaspora.

Einmal, erzählt sie, trat sie für eine Einheit auf, die kurz vor einem Kampfeinsatz im Gaza-Streifen stand: "Da wurde ich der extremeren Seite der Organisation ausgesetzt, der ich diente". Heute würde sie den Dienst an der Waffe und in Uniform verweigern, auch wenn harte Strafen drohten. Damals sei sie noch zu jung und unbedarft gewesen.

Das Echo dieser Hilflosigkeit hallt in ihrer Musik nach: "Ich wurde in eine Realität hineingeboren, die ich als surreal empfinde, verrückt", sagt sie. Auf ihrem Album versuche sie, ihre Gefühle in musikalische Texturen zu übersetzen: Hoffnungslosigkeit, Verletzlichkeit, Frust und Angst. Dieser Zustand bringt sie manchmal zur Raserei. "Ich bin die ganze Zeit wütend und weiß nicht, was ich dagegen tun soll", sagt sie. Eine passive Aggressivität, die als sublimes Spannungsmoment auch in karibisch dahinplätschernden Popsongs wie "Worth None" oder dem marschierenden Jazz-Flair von "Off The Radar" spürbar bleibt.

Mit ihrer Rolle als Sprecherin einer schweigenden Klasse Israels ist Noga Erez noch vorsichtig. Eine Lösung im Konflikt mit der palästinensischen Minderheit sieht sie nicht. Zwei Staaten oder ein Staat? "Ich wünsche mir Frieden und Gerechtigkeit, aber beide Ansätze sind problematisch und kompliziert", sagt sie und unkt, dass es erst noch schlimmer werden könne, bevor es Besserung gebe. "Die Geschichte zeigt doch: Erst wenn sehr radikale Dinge geschehen, besteht danach die Chance auf Annäherung und Waffenruhe. Ich will nicht, dass etwas Schlimmes passiert. Aber mein Gefühl sagt, dass es so weit kommen wird."

Nur wenn sie tanzt oder sich komplett in die Synthese ihrer melancholisch-fatalistischen, bezwingend intensiven Musik versenkt, verspüre sie ein wenig Erleichterung, sagt Erez. "So lange ich lebe, wird es eh keinen Frieden in Israel geben", ahnt sie. Und lächelt einen an mit diesem traurigtrotzigen Blick.