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The Beatles: 50 Jahre "Sgt. Pepper"

Foto: William Lovelace/ Getty Images

50 Jahre "Sgt. Pepper" After a while you start to smile...

Was soll das denn? Ein 50 Jahre altes Album der Beatles wird neu gemixt und wieder veröffentlicht. Wer soll sich denn dafür noch interessieren? Kurze Antwort: jeder.

Es ist sehr unwahrscheinlich. Eigentlich unmöglich. Aber vielleicht gibt es tatsächlich Menschen, die nicht mehr oder noch nicht wissen, warum "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" von den Beatles wunderschön und großartig ist. Die nicht wissen, dass die Neuveröffentlichung dieses Albums 50 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen ein Ereignis ist. Die keine Ahnung davon haben, wie es sein kann, dass ein halbes Jahrhundert vergeht, ohne diese Musik auch nur einen einzigen Tag altern zu lassen. Die keinen Schimmer haben, warum sie dieses Album anhören sollten: endlich mal wieder. Oder vielleicht zum allerersten Mal.

Warum also? Beginnen wir mit der offensichtlichsten Antwort: Weil "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" von den Beatles stammt. Von der zweifellos einflussreichsten Band der Popgeschichte also, einer Gruppe, aus deren einzelnen Songs ganze Genres hervorgegangen sind. Und, könnte man hinzufügen, weil "Sgt. Pepper" im Werk der Beatles nochmals hervorsticht, als endgültiger Abschied von der Beatlemania, dem Geschrei der Teenies, den Pilzköpfen, den Tourneen. Das Album markiert die Hinwendung der Band zu einer neuen Kunstform, dem Experiment mit Sound und Aufnahmetechnik, begonnen mit "Revolver", hier aber gereift zum allerersten Konzeptalbum.

Die Beatles haben "Sgt. Pepper" aufgenommen, als sie keine Lust mehr hatten, die Beatles zu sein, sie haben sich für das Album als psychedelische Militärkapelle neu erfunden und konnten sich so davon lösen, Beatles-Musik machen zu müssen. Eine neue Identität annehmen und damit neue Kunst schaffen: David Bowie, Madonna und Lady Gaga hat diese Idee offenbar sehr, sehr gut gefallen.

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The Beatles: 50 Jahre "Sgt. Pepper"

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Alles richtig, aber die Ausgangsfrage beantwortet das nicht. Die Popgeschichte ist irrelevant für die Schönheit dieser Musik. Mit welcher damals innovativen Aufnahmetechnik der Beatles-Produzent George Martin und der damals 19 Jahre alte Toningenieur Geoff Emerick in den Londoner Abbey Road Studios experimentiert haben, mit welchem Zeitfaktor die Bänder versetzt übereinandergelegt wurden, um diesen ganz eigenen Sound zu erzeugen - all das wird nur jemanden interessieren, der das Album viele Hundert Mal gehört hat, der schon alles weiß und immer noch mehr darüber wissen will.

Im Video: Feature mit Giles Martin

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Auch die historischen Umstände sind irrelevant für "Sgt. Pepper": Man muss zum Beispiel nicht wissen, dass der Student Benno Ohnesorg gerade noch gelebt hat, als dieses Album am 1. Juni 1967 erschien. Am Tag darauf ging er in Berlin auf eine Demo gegen den Besuch des despotischen Schahs von Persien und wurde von einem Polizisten erschossen, diese Hinrichtung war der Beginn der deutschen Studentenrebellion. Der Schah ist Geschichte, die Rebellen haben dann die Regierung übernommen und sind längst in Rente. Kann man sich vom Opa erzählen lassen. Aber deshalb Opas Musik hören? Nicht deshalb.

Nein, die Antwort findet sich allein in den Songs. "Sgt. Pepper" nimmt dich nicht mit auf eine Reise, so wie man sich mit Pink Floyd ins Weltall oder mit Eminem in einen Trailerpark begeben kann. Nein, diese Lieder kommen zu dir. Es gibt keinen Tag, keine Sekunde im Leben, zu der sich nicht ein passender Moment auf "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" findet. Der kraftvolle Aufbruch im Titelsong. Die versöhnliche Melancholie in "A Little Help from My Friends". Die abgedrehte Träumerei in "Lucy in the Sky with Diamonds". Der vollkommen unbegründete Optimismus in "It's Getting Better". Und in den Texten reine Wahrheiten: "With our love - we could save the world - if they only knew" ("Within You without You"). Oder die ganze Geschichte einer frischen Verliebtheit in nur acht Worten: "Go to a show you hope she goes" ("Good Morning, Good Morning").

Für die Neuauflage des Albums hat Giles Martin, der Sohn des 2016 verstorbenen Original-Produzenten George Martin, gemeinsam mit Sam Okell die alten Bänder neu gemischt. Die beiden haben sich die Monoversion, in die 1967 die eigentliche Arbeit und Kreativität der Band geflossen war, vorgeknöpft und in deren Geist endlich eine legitime Stereoversion geschaffen. Das Ergebnis ist erstaunlich.

Am Anfang irritiert das neue Klangerlebnis. Was früher, abgespielt auf einem schlechten Plattenspieler, als im Studio geschaffene Illusion eines Live-Auftritts funktioniert hat, zerfällt jetzt in seine Einzelteile, so klar meint man jeden Übergang, jede übereinandergelegte Tonspur herauszuhören. Als würde man zu nah an einem Bildschirm sitzen, nicht mehr das Gesamtbild sehen können, sondern nur die grellen Pixel. Zu viele Einzelheiten.

Doch dann gewöhnt sich das Gehirn, plötzlich schnappt die Wahrnehmung um wie bei einem dieser 3D-Bilder, die vor einigen Jahren in Mode waren, und da ist sie wieder, diese vertraute Musik, aber klarer und kraftvoller als jemals zuvor und tatsächlich ganz neu wahrgenommen. "After a while you start to smile", singt John Lennon sehr richtig in "Good Morning, Good Morning".

Klar, niemand muss sich "Sgt. Peppers's Lonely Hearts Club Band" anhören. Man muss ja auch in keinen See springen an einem heißen Sommertag. Es ist auch völlig unnötig, mal jemanden anzulächeln, einfach so. Und sicherlich kommt man bestens durchs Leben, ohne jemals eine einzige Kugel Erdbeereis probiert zu haben. Aber es wäre sehr schade, es nie getan zu haben.


The Beatles: "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" (Apple/Universal) ist als Einzel-CD, Deluxe-Anniversary-Doppel-CD, als Doppel-Vinyl oder als Super Deluxe Edition (4 CDs, 1 DVD, 1 Blu-Ray) erhältlich.