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"Orange Is The New Black", Staffel 5: Fiebrige Intensität

Foto: Cara Howe/ Netflix

"Orange Is The New Black" Ganz großes Theater

"Orange Is The New Black" geht in die fünfte Staffel. Die Serie ist der größte Erfolg des Streamingdienstes Netflix - und erzählt so viel über die dunkle Seite der USA. Eine Liebeserklärung.

Daya. Ausgerechnet die sensible, starke, schöne Daya. So viel hat sie schon durchgemacht als Häftling im fiktiven New Yorker Frauengefängnis Litchfield, dem Schauplatz der Netflix-Serie "Orange Is The New Black".

Eingesperrt wegen Drogenhandels. Mit einer Ohrfeige in Empfang genommen von ihrer eigenen Mutter, die aus demselben Grund einsitzt. Verliebt in einen Wärter, der sie erst schwängert und sich dann aus dem Staub macht. Getrennt von ihrem Kind, von dem sie weiß, dass es im Heim aufwachsen wird. Und dann, am Ende der vierten Staffel, das Zentrum des Sturms: Ein Aufstand, ein Zufall, eine Waffe in Dayas Hand, gerichtet auf einen besonders ekelhaften Wärter. Ein denkwürdiger Cliffhanger, erdacht von einem sadistischen Theatergott.

Das Knast-Setting als Brennglas für die Fliehkräfte in der US-amerikanischen Gesellschaft. Mehr noch: Das Gefängnis als Bühne für das Drama der menschlichen Existenz. "Orange Is The New Black" zeichnet ein Themenreichtum aus, der jede andere Serie sprengen würde: Rassismus, Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Drogensucht, Sexualität in allen Spielarten, Psychose, Religion, Kapitalismus. Und dann schaffen es die Macher auch noch, das alles stark zu verdichten, auf Raum, Zeit und Handlung. Gleichzeitig hochdramatisch und absurd komisch. "Orange Is The New Black" ist eine der bedeutendsten TV-Serien unserer Zeit.

Was sich bestätigt, wenn man die fünfte Staffel sieht, deren erzählte Zeit auf drei Tage komprimiert ist und die sich ausführlich mit einem Gefängnisaufstand beschäftigt. Es gibt im riesigen Figurenarsenal dieses Stücks keine eigentliche Hauptfigur, wohl aber ein Trojanisches Pferd: So nennt Jenji Kohan, die Schöpferin der Serie, die blonde Piper Chapman, die in Staffel eins für ein Verbrechen in den Knast geht, das sie zehn Jahre zuvor begangen hat. Zu Beginn steht diese kühle, kluge, verwirrte Mittelklassetochter noch im Mittelpunkt der Handlung, nimmt den Zuschauer an die Hand. Oder stolpert vielmehr mit ihm hinein in eine Welt, deren Bewohner so undurchschaubar sind wie ihre Regeln.

Im Lauf der Episoden fächert sich diese Welt immer weiter auf, Chapman erkennt: Bisher hat sie in einer Blase gelebt. Im Gefängnis gibt es nicht allein ihre Welt, dafür viele andere, und sie alle werden hier zusammengepfercht. Multikulti? Unbekannt. Die Latinas und die Schwarzen bleiben unter sich, die paar Weißen und die paar Nazis auch. Letztendlich aber kämpft jede Gefangene für sich allein, hat jede ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Schmerz.

"Orange Is The New Black" zeigt all diese Geschichten, die in den Knast führten. Die Rückblende wird zum entscheidenden dramaturgischen Kunstgriff, das Theaterstück öffnet sich zum filmischen Epos, aus dem Sozio- wird ein Psychogramm, gefüttert aus persönlichen Geschichten.

Keine dieser Figuren wird wie in schlechteren Serien dazu benutzt, eine soziale Klasse oder Minderheit repräsentieren zu müssen. Jede steht für sich, mit all ihren Widersprüchen, und die Risse gehen durch die Communitys, die Familien, die Liebesbeziehungen. Die Seele.

Anklage gegen ein krankes System

Die Erzählwut von "Orange Is The New Black" lässt nie vergessen, wo die Serie spielt. Das Gefängnis als unnatürlicher Ort ist immer präsent, ist Fluchtpunkt aller Handlungsstränge. Damit einher geht eine Politisierung des Plots, der vor allem von der Unmenschlichkeit des US-amerikanischen Justizsystems erzählt.

In den Vereinigten Staaten sitzen 2,2 Millionen Menschen hinter Gittern, laut Human Rights Watch mehr als in jedem anderen Land der Welt. Und zwar mit riesigem Abstand. 2015 waren dort 670 von 100.000 Menschen inhaftiert - in Deutschland 76. In den USA muss man wegen eines erstmaligen Drogenvergehens mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren rechnen. In den meisten europäischen Ländern ist das Strafmaß für ein vergleichbares Verbrechen wesentlich kleiner. In den vergangenen 25 Jahren hat schwere Kriminalität in den USA Jahr für Jahr abgenommen, während gleichzeitig die Inhaftierungsrate um 500 Prozent anstieg. Und die Inhaftierungsrate schwarzer Frauen schnellte seit Ronald Reagans Anti-Drug Abuse Act von 1986 sogar um 800 Prozent in die Höhe.

Vor diesem Hintergrund wird ein fiktives Schicksal wie das von Daya zur Anklage gegen ein krankes System. Es enttarnt den Glaubenssatz, Härte helfe gegen Kriminalität, als blanke Lüge. Mehr noch: "Orange Is The New Black" führt die Industrie auf die Anklagebank, die hinter dieser Lüge steckt und im Jahr fünf Milliarden Dollar mit Privatgefängnissen umsetzt.

Harter Stoff also. Und zugleich ist "OITNB", so das in den USA geläufige Akronym, seit der Premiere 2013 Partygespräch und Debattenthema. Gemeinsam mit der wenige Monate zuvor gestarteten anderen großen Polit-Serie "House of Cards" machte "OITNB" den Streamingdienst Netflix erst groß, sie war von Anfang an die am meisten gesehene Produktion des Unternehmens.

Netflix' Versprechen eines anderen Fernsehens, es liegt ja nicht allein in der Streamingtechnik und der vor vier Jahren noch ungewohnten Praxis, ganze Staffeln zu veröffentlichen. Es besteht in der Befreiung der Stoffe von den Dramaturgien althergebrachter TV-Produktionen, in einer Wucht und einem hohen Suchtfaktor, die sich aus der Relevanz der Geschichte ergeben.

Diese Dringlichkeit, dieses pulsierende Das-passiert-jetzt-und-es-ist-jetzt-wichtig kultiviert "Orange Is The New Black" wie keine andere Serie. Auch in der fünften Staffel, die mit dem Heulen einer Alarmsirene beginnt und aus dem Stand in eine nie nachlassende, fiebrige Intensität schaltet.

Der Aufstand hat begonnen. Daya entsichert die Waffe.


"Orange Is The New Black", 5. Staffel: ab 9. Juni komplett bei Netflix

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