Nach 25 Jahren Pause legt der Pink-Floyd-Bassist Roger Waters sein neues Soloalbum vor. „Is this the Life we really want?“ ist sehr rückwärtsgewand geraten.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Auch schon wieder fünfzehn Jahre ist es her, dass Roger Waters zuletzt in Stuttgart zu Gast war. Der Sound seines Konzerts ist dennoch unvergessen. Ein quadrofones Klangspektakel hatte der Bassist abgeliefert, den Hubschrauber aus „The Wall“ etwa hörte man regelrecht durch die Schleyerhalle flappern. Maßstabsetzend für das, was akustisch in Stuttgarts größter Konzertarena möglich ist, ist dieser Auftritt aus dem Jahr 2002 bis heute.

 

Noch deutlich länger her ist hingegen, dass Roger Waters zuletzt ein Popmusikalbum veröffentlicht hat. 1992 war das, „Amused to Death“ hieß das Konzeptalbum, das fünf Jahre Vorbereitungszeit in Anspruch nahm und von Waters als konsequente Fortsetzung des Werks von Pink Floyd betrachtet wurde. Dazwischen versuchte sich Waters, von der Kritik allerdings belächelt, im Opernfach: 2005 erschien sein Musiktheaterwerk „Ça Ira“. Und den Rest der langen Jahre? Den hat er mehr oder weniger mit Nachspielabenden von Klassikern seiner Exband verbracht. Durchaus erfolgreich natürlich, in einigen seltenen Momenten sogar mit den früheren Bandkumpanen, meist jedoch nur mit ihm als Aushängeschild. Das macht er bis heute, derzeit reist Waters durch Nordamerika auf einer üppigen Tournee, bei der schon im Motto angekündigt wird, dass dort nur Songs aus den drei erfolgreichsten Pink-Floyd-Alben zu hören sein werden.

Auf Tournee mit alter Kost

Dabei könnte er doch ganz anders. Denn am Freitag ist nach 25-jähriger Schaffenspause sein neues Solowerk „Is this the Life we really want?“ erschienen. Dass zweieinhalb Dekaden Bedenkzeit jetzt in einem schmalen Output von 54 Minuten Spieldauer gipfeln, sei nur der Vollständigkeit halber verzeichnet. Bemerkenswerter ist nämlich, dass dieses Album exakt wie ein altes Pink-Floyd-Album klingt.

Das mag man nun als konsequentes Fortschreiten auf einem künstlerischen Weg betrachten, man könnte sich dabei sogar an den zahlreichen Referenzen auf sein „Frühwerk“ erfreuen, die der 73-Jährige Musiker in die zwölf Songs seines neuen Albums eingestreut hat; diese Hinweise alle zu nennen würde hier den Rahmen sprengen. Man müsste dann aber konsequenterweise dieses Album auch mit den Glanzlichtern aus der Pink-Floyd-Schaffensphase vergleichen und käme dann – nicht nur wegen der hoch liegenden Messlatte – zum Schluss, dass hier allenfalls mittelmäßige Musik zu hören ist.

Exemplarisch zeigt sich das am Gitarrenspiel. Waters hat dafür Jonathan Wilson verpflichtet, der zuletzt für den viel beachteten Father John Misty tätig war. Sicherlich ist Wilson ein guter Mann, der aber doch einige Klassen unter den wirklich namhaften Könnern spielt, die Waters früher um sich scharte (Jeff Beck, Eric Clapton) – und der vor allem nicht an David Gilmour heranreicht. Wie extraordinär das Gitarrenspiel des früheren Pink-Floyd-Bandkollegen ist, war im letzten Jahr auf dem Stuttgarter Schlossplatz bei den Jazz-Open zu bestaunen. Auch der dort brillant auftrumpfende Gilmour hatte natürlich Pink-Floyd-Klassiker im Gepäck, aber ebenfalls erfrischend viel neues und vor allem – im Gegensatz zu Waters – sehr eigenständiges Material zu bieten. Im Vergleich sieht Waters da ganz schön alt aus.

Hilfe von prominenten Musikern

Die Absenz jeglicher künstlerischer Innovation und die ausschließliche Rückwärtsgewandheit verblüffen um so mehr, als sich Waters den Radiohead-Hausgott Nigel Godrich als Produzenten ausgesucht hat. Dass der ausgerechnet einem der innovativsten Köpfe der Popmusikhistorie geraten hat, mit bravster Instrumentierung ausnahmslos ausgetretene Pfade zu belatschen, ist desillusionierend.

Die zwölf Songs von „Is this the Life we really want?“ sind immerhin blitzsauber produziert und bieten von der Flüchtlingskrise bis zu dystopischen Sittengemälden aktuelle politische Inhalte, wenngleich es auch nicht mehr wahnsinnig originell ist, sich an Donald Trump abzuarbeiten. Und der Zusammenklang von reinrassigen Rocksongs, Psychedelic-Rocksongs, getragenen Songs in den Überleitungen und harsch gebrochenen Songs zur Akzentuierung ergibt in der Summe ein konzeptuelles Ganzes – auf exakt jene Weise, wie dies auch auf den Alben von Pink Floyd funktioniert hat, weswegen allen Liebhabern der Band diese Art von Fortexistenz in Gestalt eines Waters-Soloalbums auch bestens gefallen dürfte. Alle anderen indes dürfen sich fragen, ob Roger Waters das Lebensgefühl vermittelt, für das progressive zeitgenössische Popmusik exakt fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung des Pink-Floyd-Debütalbums steht. „Déjà vu“ hat der Veteran ausgerechnet seine Singleauskopplung genannt. Er wird wissen, warum.