Mehr als nur Liebesfarbe: Das Museum Ritter in Waldenbuch untersucht die diversen Schattierungen von Rot.

Waldenbuch - Erst ein Museum für eine einzige Form und jetzt noch eine Ausstellung über eine einzige Farbe. Doch das Museum Ritter, das nur Bilder und Skulpturen in Quadratgestalt zeigt, hat schon oft bewiesen, welche sinnlich-kreative Vielfalt sich aus der inhaltlichen Beschränkung gewinnen lässt. Und so verblüfft in Waldenbuch auch die neue Sammlungspräsentation „Rot“. Man glaubt diesen Titelhelden auf der privaten Ausstellungsbühne der Museumsstifterin Marli Hoppe-Ritter bestens zu kennen. Aber die Farbe des Blutes ist mehr als der symbolische Bannerträger der Liebe und der sozialistischen Weltanschauung.

 

Rund sechzig Arbeiten, die meisten davon aus hauseigenem Bestand, lassen es auf zwei Etagen leuchten, brennen und warm werden. Dazu gehören Inkunabeln von den Gründervätern der Geometrie ebenso wie Werke aus der Nachkriegszeit und der Gegenwart. Schon an der auf dunklem Fond blinkenden Quadratkomposition des Bauhaus-Meisters Johannes Itten wird deutlich, was Rot so besonders macht: In jeder koloristischen Nachbarschaft sticht dieser Farbreiz schroff heraus. Denn, so erklären es Psychologen, er steht für Feuer – und das bedeutete für unsere Vorfahren Gefahr, weshalb die alarmierten Hirnzellen bei Rot weitaus schneller anspringen als bei anderen Tönen.

Der natürliche Aufmerksamkeitskatalysator vermag es auch, geometrischen Motiven Hinguckerqualität zu verleihen, was schon die Urväter der konkreten Kunst zu nutzen wussten. El Lissitzky etwa in einer Papierarbeit aus dem Jahr 1920. Im Auge des Betrachters setzt sich das rote Quadrat sofort von seiner schwarzen Gegenform und den anderen geometrischen Gebilden ab. Welch ein optischer Kraftprotz die Farbe ist, offenbart auch jene Skulptur von Thomas Lenk, bei der ein knalloranger Keil den Eindruck erweckt, eine Aluminiumform aufzuspalten.

Lustvoll rot sehen

Leider schaffen es nicht alle Beiträge, der Farbe eine besondere Qualität abzugewinnen. Stefanie Lampert enttäuscht, wenn sie mit einer ortsbezogenen Lichtinstallation versucht, klassische Farbfeldmalerei zum Raumkunstwerk zu erweitern. Diesen Ansatz, wenngleich komplexer, verfolgt auch Platino. Der Stuttgarter Künstler verwandelt das halbe Erdgeschoss des Museums in ein begehbares Atelier. An rotstreifig gestrichenen Wänden hängen dort monumentale Fotografien aus den Werk- und Wohnräumen des überzeugten Rotmalers. Die spiegelglatten, labyrinthischen Aufnahmen wirken so, als hätte Platino (dem kürzlich der Hans-Thoma-Preis zugesprochen wurde) sein Heim mit kirschfarbenem Nagellack imprägniert. Oder mit Himbeersirup geflutet.

Wer lustvoll rot sehen will, ist hier also an der richtigen Adresse. Kunsthistorisch erhellend ist auch der Vergleich der Malmittel. Der Wandel im Pigmentangebot eröffnet der Kunst nach 1945 ganz neue Perspektiven, etwa bei Rupprecht Geiger. Seine phosphoreszierenden Magenta-Tafeln werden ganz ohne Stromverbrauch zum Energieträger und werfen flirrende Nachbilder auf die Netzhaut. In ihrer Makellosigkeit bekommen diese Monochromien etwas Technisch-Funktionales, das dem erwarteten sensorischen Effekt schroff zuwiderläuft. Rot ist plötzlich eine kalte Farbe.