"Damn" von Kendrick Lamar:Das bestmögliche Rap-Album zur schlimmstmöglichen Zeit

Kendrick Lamar

Kendrick Lamar veröffentlicht den Nachfolger zu "To Pimp a Butterfly".

(Foto: Suzanne Cordeiro/AFP)

Mit "Damn" liefert Kendrick Lamar den endgültigen Beweis seiner Sonderklasse ab. Weiß er etwa, wie man den Teufelskreis des Immergleichen durchbricht?

Von Jan Kedves

Kann bitte mal jemand für diesen Mann beten? Über Ostern sollte doch ein wenig Zeit dafür sein. Es ist nämlich so, dass Kendrick Lamar, der wichtigste Rapper weltweit, auf seinem neuen Album, das er Karfreitagmorgen in die digitalen Kanäle dieses Planeten geladen hat, gleich an mehreren Stellen rappt: "Nobody's praying for me" - niemand betet für mich. Die einzigen, die für ihn gebetet haben, waren - so heißt es im Song "Element." - seine Großmütter. Sie sind leider tot. Nicht, dass der Rapper aus Compton im Süden von Los Angeles besonders gläubig wäre. "Was auf dieser Erde passiert, bleibt auf dieser Erde", rappt er im Song "Fear.", in Abwandlung des beliebten Fremdgänger-Credos "Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas". Jemand, der an ein Jenseits glaubte, würde so etwas wohl nicht rappen.

Abgesehen davon wiederholt Lamar aber genau diese Zeile - "Nobody's praying for me" - auf seinem Album, das den Titel "Damn." trägt - also "Verdammt" -, so oft, dass man sich irgendwann gar nicht mehr sicher ist, ob er die Behauptung nicht eher als Drohung und Befehl meint, im Sinne von: "Dass bloß niemand auf die Idee kommt, für mich zu beten und damit seine Zeit zu verschwenden!" Und als wäre die Verwirrung nicht schon groß genug, heißt es dann noch einmal an anderer Stelle, nämlich im Song "Pride.": In einer perfekten Welt würde ich einfach alle verschiedenen Religionen zu einer einzigen zusammenlegen.

Praktische Vorschläge eines spirituellen Haderers? Jedenfalls ganz schön viel Text-Exegese für zwei erste Absätze, um letztlich doch nur das zu sagen: "Damn." (Aftermath / Interscope / Top Dawg) ist eine in Sachen Heilsuche paradoxe, in Sachen Musik und Text allerdings hundertprozentig überzeugende Sache. Eine Wucht! Das bestmögliche Rap-Album zur schlimmstmöglichen Zeit. Lamar bewegt sich darauf mit verschiedenen, mal wütenden, mal vernebelten Stimmen zwischen Hoffnung, Pragmatik und Resignation. Einerseits behandelt er die Probleme der afroamerikanischen Community und rappt über den Schock, dass Donald Trump Präsident geworden ist. Nicht wenige werden ihn deswegen weiter für das musikalische Sprachrohr der "Black Lives Matter"-Bewegung halten. Andererseits kommt an keiner Stelle Zweifel auf, dass es hier eben nur um den Ausdruck und die Erfahrung eines einzelnen schwarzen Mannes in den USA geht. Eines Mannes, der sich nicht zum Politiker aufschwingt, auch wenn es manchmal vielleicht so aussieht.

Der Mann hätte jeden Popstar einladen können. Er hat sich für Bono und Rihanna entschieden

"Damn." ist jedenfalls ein mehr als würdiger Nachfolger zu "To Pimp a Butterfly", jenem Jazz- und Funk-geprägten Album, mit dem Lamar 2015 der Durchbruch gelang und für das er mit einem Grammy ausgezeichnet wurde. Auf dessen Cover hockte er mit einer Gang schwarzer Freiheitskämpfer auf der Wiese vor dem Weißen Haus in Washington, und es kam einem fast wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung vor, als Barack Obama das Album dann so gut gefiel, dass er Lamar ins Weiße Haus einlud.

Angekommen zu sein, vom eigenen Erfolg berauscht zu sein, davor scheint der 29-Jährige allerdings große Angst zu haben. Weil es normalerweise ja bedeutet, sich vom politischen Bewusstsein dann doch zu verabschieden und sich in Luxus zu verlieben. Seine aktuelle Single "Humble.", die in den amerikanischen Billboard-Charts gerade von Null auf Platz 2 geschossen ist, handelt denn auch davon, immer schön bescheiden zu bleiben.

Und statt einer teuer und opulent klingenden Produktion, die signalisieren würde: "Hier hauen wir jetzt mal unser neues fettes Budget raus", gibt es nur eine simple Drei-Ton-Melodie, die mit dem billigsten synthetischen Klaviersound in ein altes Keyboard reingehackt ist.

Lamar hätte wohl jeden Popstar auf sein Album einladen können. Er hat sich für nur zwei entschieden: Mit Rihanna singt er in "Loality." über, nun ja, Loyalität. Spektakulärer ist da die Kooperation mit U2 im Song "XXX". In dem ist von Bono nämlich erst mal ganz schön lange gar nichts zu hören. So lange, bis man denkt: Vielleicht war das mit Bono doch nur ein schlechter Scherz? Doch dann kommt Bono tatsächlich, und er singt ganz unaufdringlich von einem Ort, mit dem nur die USA gemeint sein können: "It's not a place / this country is to be a sound of drum and bass / you close your eyes to look around" - in etwa: Amerika ist kein Ort, sondern mehr ein akustisches Szenario, oder: Das Land erschließt sich nur dem, der hinhört, statt hinzuschauen. Und was hört Bono da? Den unerbittlichen Rhythmus der Schüsse, die, abgefeuert aus Polizeiwaffen, schwarze Amerikaner und Amerikanerinnen das Leben kosten. Und er hört den Donner der Explosionen. Drohnen mögen ja leise sein, aber die zehn Tonnen schwere Mutter aller Bomben, just über Afghanistan abgeworfen, macht bestimmt den fettesten aller Bässe.

Wenn sich jeder Vers auf "shit" reimt

Doch, das ist schon super, und sehr hart, und inhaltlich so dicht, dass man kaum noch dazu kommt, das Musikalische zu preisen - zum Beispiel, wie toll an anderen Stellen auf diesem Album die hart angeschnittenen Gospel- und Soul-Samples über trockenste West-Coast-Beats gestreut sind, oder wie moderne Trap-Einflüsse mit boomenden Bässen und schwirrenden Hi-Hats doch an keiner Stelle den Eindruck erwecken, als wolle hier jemand auf Teufel komm raus zeitgenössisch klingen.

Und trotzdem hätte man "Damn." noch nicht ausreichend gewürdigt, wenn man nicht auch auf Kendrick Lamars besondere Reimstrategie eingehen würde. Lamar ist nämlich der Meister des sogenannten identischen Reims, einer Sonderform des rührenden Reims. Bei ihr geht es darum, das Reimsoll derart überzuerfüllen, dass am Ende jedes Verses ein und dasselbe Wort steht. Eigentlich eine sehr verpönte Reimform, zumindest wurde sie in der deutschen Dichtung seit dem Barock geschmäht. Denn worin liegt die Kunst, wenn das Streben nach möglichst viel Gleichklang dazu führt, dass am Ende jeder Zeile dasselbe Wort steht?

Weiß Lamar etwa, wie man den Teufelskreis des Immergleichen durchbricht?

Kendrick Lamar suhlt sich geradezu in identischen Reimen. Weil es ihm darum geht, Texte zu erschaffen, die so redundant scheinen, dass sie schon klaustrophobisch wirken. Als gebe es kein Entkommen aus diesen Versen, die so etwas wie Loops sind. Im Track "DNA." zum Beispiel behandelt er Fragen der genetischen Vorbestimmtheit - wofür sich ein identischer Reim ausgezeichnet eignet. Haben sich die Traumata der Sklaverei transgenerational vererbt, sodass das Leben schwarzer Menschen in Amerika letztlich doch vorprogrammiert ist? "I got power, poison, pain and joy inside my DNA", rappt Lamar, und: "Sex, money, murder, our DNA". Täglich grüßt das Murmeltier? Oder: Im Stück "Element." reimt sich streckenweise jeder Vers auf "shit". Scheiße, Scheiße, Scheiße. Frohe Ostern!

Natürlich würden Lamar auch andere Reime einfallen. Aber der identische Reim scheint als Stilelement eine überaus passende Form zu sein in Zeiten, in denen sich die Menschen eben auch immer wieder identische Reime auf die alten Probleme machen, so als wollten sie sich auf ewig weigern, aus ihren Fehlern zu lernen. Bomben schmeißen, Hilflose erschießen, die Reichen noch reicher machen, und so weiter.

In der politischen afroamerikanischen Bewegung wird unter dem Slogan "Break the cycle" seit Jahrzehnten danach gefragt, wie die Muster der rassistischen Benachteiligung und Verfolgung endlich durchbrochen werden können, wie die Wiederkehr des Immergleichen aufgehalten werden kann. Auf "Damn." gibt es darauf auch keine recht Antwort, außer: Beten reicht nicht.

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