DJ Hell:Yoga-Techno zum Aufsaugen

DJ Hell: DJ Hell gilt schon lange, auch was seine Garderobe und die Gestaltung seiner Plattencover angeht, als einer der stilbewusstesten Technokünstler.

DJ Hell gilt schon lange, auch was seine Garderobe und die Gestaltung seiner Plattencover angeht, als einer der stilbewusstesten Technokünstler.

(Foto: Julian Baumann)

Ein herzliches "Om" miteinander! DJ Hell nutzt auf seinem neuen Album "Zukunftsmusik" nicht nur die stilistischen Vorgaben der Band Kraftwerk, sondern auch die Kraft des Yoga.

Von Jan Kedves

Dass Zeit relativ ist, wissen wir seit Einstein, und das weiß auch DJ Hell. Weswegen der Mann, der als Helmut Josef Geier auf die Welt kam, sein neues Album, es ist das fünfte seit 1994, problemlos "Zukunftsmusik" nennen kann, obwohl es meist gar nicht nach Zukunft klingt.

Sondern eher danach, wie man sich vielleicht vor vierzig Jahren Zukunftsmusik vorgestellt hat. Wobei dieser Widerspruch auch eigentlich keiner ist, denn die elektronische Musik hat in den Siebzigerjahren - rhythmisch und melodisch auf bekannten Strukturen fußend - aufgrund ihrer neuartigen Sounds einen solchen Zukunftssog entwickelt, dass man sie auch heute noch reflexhaft mit neuer Zeit verbindet.

Außerdem kann man sich das Kommende ohnehin nur auf Basis des bereits Dagewesenen vorstellen. Darüber ließe sich wohl noch ein paar Absätze lang meditieren, wichtiger ist es aber, erst mal zu sagen, dass auf der ersten Hälfte von DJ Hells Album "Zukunftsmusik" nun die allerschönste Kraftwerk-Musik zu hören ist, die Kraftwerk nie aufgenommen haben.

Kraftwerk selbst sind ja verstummt. Oder wie soll man das nennen, wenn die Düsseldorfer Band seit über zwei Jahrzehnten fast nur noch damit beschäftigt ist, Copyright-Prozesse zu führen und den eigenen Katalog so zu remastern, dass man ihn, hochgepumpt auf 3-D, in die Museen bringen kann? Es gibt aber ein Bedürfnis nach neuer Kraftwerk-Musik, und hier kommt DJ Hell ins Spiel.

Ein Uhrenticken aus der Drum Machine, gleißende Spinett-Akkorde aus dem Synthesizer, dazu eine Roboterstimme, welche die mannequinhafte Schönheit von Automobilkarossen preist ("ausgestellt am Asphalt-Laufsteg"), darübergelegt das Brummen und Heulen von Motoren: "Car, Car, Car" heißt das keineswegs platte, sondern wirklich sehr gelungene neue Kraftwerk-Lied, das nicht von Kraftwerk ist, aber nun perfekt zwischen deren Hits "Autobahn" und "Tour de France" passt.

Verarbeitete Referenzen

Anders gesagt: DJ Hell tritt auf seinem Album einmal mehr als der raffinierte Durcharbeiter der Musikgeschichte auf, der er ja auch ist. Ist es böse, den 54-jährigen Star der Techno-Welt als Durcharbeiter zu bezeichnen? Nein, denn das ist ja ohnehin erst einmal die Aufgabe eines DJs.

Als Geier 1978 im Landkreis Traunstein anfing und als er in den Neunzigerjahren im Münchner Club Ultraschall und im Berliner E-Werk berühmt wurde, galt: Der DJ arbeitet die Musik anderer mit seiner eigenen Kunstfertigkeit zu etwas Neuem durch, in dem die Ästhetik dieser anderen dennoch erkennbar bleibt.

Auch der Techno-Pop, den DJ Hell Anfang der Nullerjahre als Chef seines eigenen Labels International Deejay Gigolos veröffentlichte und der zum weltweiten Electroclash-Trend beitrug, klang ja nicht ganz neu, sondern verarbeitete Referenzen an den Synth- und Wave-Pop der frühen Achtzigerjahre.

Yoga-Techno? So etwas gab es noch nicht, schon gar nicht von einem Fußballfan

Auf "Zukunftsmusik" geht es mit der Durcharbeitung also eben noch weiter: Neben Kraftwerk entscheidet sich DJ Hell für den plüschigen Pop-Sound des französischen Duos "Air" und für verdunkeltes Gesangs-Timbre à la David Bowie (beides hört man in "Army of Strangers") oder er mischt ein trippiges Acid-Fiepsen in seinen Track "Guede".

All das ist handwerklich gut gemacht und mit untrüglichem Stilbewusstsein versehen, was jedoch gar nicht überrascht. Denn DJ Hell ist ja schon lange, auch was seine Garderobe und die Gestaltung seiner Plattencover angeht, einer der stilbewusstesten Technokünstler. War es das dann auch schon?

Nein, denn in einem der neunminütigen Techno-Tracks, die es in der zweiten Hälfte des Albums zu hören gibt, vibriert erst ganz leise, dann immer lauter und strahlender, ein gelooptes "Om" über der durchschreitenden Bassdrum. Ist das jetzt etwa Yoga-Techno? So etwas gab es noch nicht, schon gar nicht von dem Fußballfan und Sponsor des TSV Altenmarkt DJ Hell.

Tracks, die nur unter der Woche Sinn ergeben

Wobei Yoga ja in den letzten Jahren zum Lieblingsausgleich der Technoszene geworden ist, weil die dort agierenden Menschen nach einem Schwammprinzip ihre Körper am Wochenende mit allerlei Substanzen vollsaugen und sich dann unter der Woche auf der Matte in Haltungen wie "Fliegender Adler" oder "Königstaube" wieder auswringen. Im Yoga-Studio könnte dieser Track, "Mantra", also Sinn ergeben.

Wobei man sich nicht so gerne vorstellen mag, wie es aussieht, wenn DJ Hell diesen Track nachts im Techno-Club einspielt: erst Überraschung, dann Belustigung, dann wildes gegenseitiges Andeuten von allen möglichen Yoga-Verrenkungen, Hände in Gebetshaltung vor der Brust, während die Füße unten weiter monoton von rechts auf links stampfen. Om-hihi?

Da möchte man dann doch fragen, ob man sich als Techno-Produzent denn alles aneignen muss, was man sich aneignen kann, nur weil man eben nichts anderes zu tun braucht, als es in den Sampler zu füttern. DJ Hells Auseinandersetzung mit dem, was für Hindus und auch für westliche Yogis ein transzendenter Urklang ist, lässt jedenfalls jene inhaltliche Tiefe vermissen, die die anderen Stücke auf seinem Album durchaus haben.

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