Ed Sheeran bricht mit "Divide" alle Rekorde:Dein Kumpel, der Superstar

Ed Sheeran bricht mit "Divide" alle Rekorde: Auf seinem neuen Album "Divide" ist Ed Sheeran Sexobjekt, Sohn, Großvater in spe, Enkel in Trauer, der Kumpel von um die Ecke.

Auf seinem neuen Album "Divide" ist Ed Sheeran Sexobjekt, Sohn, Großvater in spe, Enkel in Trauer, der Kumpel von um die Ecke.

(Foto: Greg Williams/Atlantic Records)

Der britische Sänger Ed Sheeran erobert mit seinem neuen Album "Divide" die Welt. Und macht deutlich: Ein Superstar des Pop muss kein Held mehr sein.

Von Jan Kedves

Man soll ja Männer dafür loben, wenn sie ihre Gefühle auf eine Weise mitteilen, die nicht gleich zu Prügelei oder Bombardierung führt. Umso besser, wenn diese Gefühle widersprüchlich, nicht durchgearbeitet, wirr sind.

"Vielleicht war ich zu aufdringlich? Oder vielleicht hab' ich ihr zu viel Zeit gelassen?", fragt sich der britische Rock- und Pop-Sänger Ed Sheeran auf seinem neuen Hit-Album "Divide" zu Beginn des dritten Songs, der etwas kratzigen Blues-Ballade "Dive" - bevor er sich bei der Frau, mit der er gern zusammen sein wollte, entschuldigt, sie anfleht, sie möge bitte nicht mit seinem Herzen spielen, und bevor dann noch ein sehr berühmter Blues-Gitarrist ein sehr seifiges Solo spielt.

Normalerweise liegen zwischen "zu aufdringlich" und "zu zögerlich sein" Welten. Hier ist ein Mann im Angesicht einer Frau scheinbar komplett aufgeschmissen.

Wenn man davon ausgeht, dass ein erfolgreiches Mainstream-Album immer auch das widerspiegelt, was gerade im gesellschaftlichen Mainstream problemlos verhandel- und aussprechbar ist, dann könnte man zufrieden feststellen: Ed Sheeran muss kein Held sein, um ein Superstar zu sein, er darf genau das sein, was jeder junge weiße Mann in der westlichen Welt heute auch sein darf - von der Liebe mal überfordert oder eifersüchtig oder auch mal ein bisschen gemein, aber nicht zu sehr.

Sexobjekt, Sohn, Großvater in spe, Enkel in Trauer, all das ist Ed Sheeran auf "Divide" auch, und natürlich der ganz normale Kumpel von um die Ecke. Dass all diese Rollen autobiografisch fundiert sind, daran besteht kein Zweifel, im Song "Castle on the Hill", der klanglich deutlich an den U2-Hit "Where The Streets Have No Name" angelehnt ist, erfahren wir sogar, dass er sich mit sechs Jahren das Bein gebrochen hat.

"Divide" stellt einen Rekord nach dem anderen auf

Ganz normale Songs für ganz normale Menschen? Die neuen Sheeran-Songs gefallen jedenfalls so vielen so gut, dass das Album, veröffentlicht am vorvergangenen Freitag, einen Rekord nach dem anderen aufstellt: Nummer eins der Albumcharts in 17 Ländern, darunter Deutschland, insgesamt schon knapp eine Million verkaufte Exemplare.

Kein anderes Album eines männlichen Musikers hat sich in Großbritannien je schneller verkauft. Die Single "Shape Of You" ist in der Geschichte des amerikanischen Top-40-Radios schon der meistgespielte Song aller Zeiten. Und beim größten Streaming-Anbieter Spotify wurden die "Divide"-Songs innerhalb der ersten Woche 273 Millionen mal angeklickt. So viel hat bislang noch niemand geschafft.

Ähnlich großen Erfolg hatte zuletzt nur Adele, weswegen hier und da schon geschrieben wurde, Ed Sheeran sei so etwas wie die männliche Adele. Beim Hören von "Divide" fallen aber auch inhaltliche Parallelen auf. So wie das dritte Soloalbum des Briten war auch "25", Adeles Hit-Album aus dem Jahr 2015, deren drittes Soloalbum. Beide nahmen es im Alter von 26 Jahren auf.

Doch noch die Richtige gefunden

Adele zelebrierte auf "25" Nostalgie für ihre eigene Jugend, aber auch das Angekommensein im Erwachsenenleben. Im Hit "Hello" spielte sie mit dem kindischen Gedanken, eine verflossene Liebe via Telefon noch mal kurz zu reaktivieren, wobei ihre Sympathien im Song "Send My Love (To Your New Lover)" dann aber doch eher bei der neuen Freundin ihres Ex-Freundes lagen. Die solle er gefälligst besser behandeln als damals sie, sang Adele.

Ganz ähnlich auf "Divide": Auf seiner Reise vom jungen Anfänger zum wahren Mann hat Ed Sheeran doch noch die Richtige gefunden ("Hearts Don't Break Around Here"), jene Frau, mit der er alt werden ("How Would You Feel") und 22 Enkel haben will ("Nancy Mulligan"). Trotzdem hängt er noch ein wenig ihrer Vorgängerin nach. Er trifft sie auf der Straße mit deren neuem Freund und muss sich eingestehen, dass sie mit ihm viel glücklicher aussieht ("Happier") als damals mit ihm, Ed.

Echte, ehrliche Musik

Ed Sheeran in Mailand

Eigentlich macht er Charts-Pop à la Justin Bieber oder Selena Gomez, doch Ed Sheeran will ein rockiger Typ sein - hier bei einem Auftritt in Mailand.

(Foto: AP)

Nein, hier singt kein Macho, sondern eher ein Masochist. Weswegen Ed Sheeran den Neuen dann doch noch ein bisschen runtermachen muss, quasi um seine eigene Ehre zu retten. Offenbar hat seine Ex-Freundin fantastischen Sex mit diesem Typen, und Sheeran singt nun im folgenden Song "New Man" darüber, was er noch alles über ihn hört.

Er rennt sechs Tage die Woche ins Fitnessstudio, zählt Kalorien für seinen Six-Pack-Bauch, zupft sich die Augenbrauen und trägt teure Designer-Jeans, mit anderen Worten: Er ist verdächtig eitel. Außerdem hat er angeblich ein "bleached arsehole", einen kosmetisch mit Aufhellungscreme optimierten Anus.

Nanu, Body-Shaming jetzt auch unter heterosexuellen Männern? Sonst spotten doch eigentlich nur Frauen gegenseitig über ihre Körper, oder Schwule, oder Männer über die Körper von Frauen. Die Zeiten, in denen Männer sich prügelten oder über Konkurrenten vornehm schwiegen, sind offenbar vorbei. Jetzt bezichtigen sie sich tratschtantig intimster Effemination.

Wer mit all dem wenig anfangen kann und sich fragt, wie das Ganze denn überhaupt klingt, der wird vielleicht interessant finden, wie raffiniert auf "Divide" klanglich der Eindruck aufrechterhalten wird, dass Ed Sheeran ein rockiger Typ ist. Einer, der - was für Sheeran-Fans sehr wichtig ist - keinen Retorten-Plastik-Pop spielt, sondern echte, ehrliche Musik.

Hier geht es einmal quer durch den Garten der gerade so gängigen Pop-Stile

Im Grunde unterscheidet sich Sheerans Musik der Machart nach kein bisschen von Charts-Pop à la Justin Bieber oder Selena Gomez. Sheeran schreibt seine Songs nicht allein, er holt sich Unterstützung von routinierten Hit-Autoren wie Julia Michaels oder Jessie Ware, und er hat "Divide" größtenteils von Benny Blanco produzieren lassen, einem amerikanischen Studio-Profi, der ursprünglich Rapper werden wollte, dann aber umschwenkte und seitdem Pop-Hits unter anderem für Britney Spears, Kesha und Keith Urban glatt schmirgelt.

Auf "Divide" geht es von bombastischem Breitwand-Boyband-Sound à la N'Sync (im Eröfffnungs-Song "Eraser") über weichgespülten Schunkel-R&B ("Perfect") und irisch angehauchten Fiddle-und-Dudelsack-Rap ("Galway Girl") bis hin zu modernem, von Afrobeat informierten Marimba-Pop ("Shape of You"), einmal quer durch den Garten der gerade so gängigen Pop-Stile. Rock ist das jedenfalls nicht, auch wenn immer irgendwo noch mal kurz eine Gitarre aufblitzt, die Sheeran wie einen Fetisch hochhält.

Angestrengte Körperlichkeit, auch ein Fetisch des Rock, kommt eher dadurch in die Musik, dass nicht immer - wie sonst heute im Pop üblich - das Einatmen beim Singen herausgeschnitten wird. Hier singt also kein Automat, sondern man hört genau, wie Sheeran in den flotteren Passagen stark ins Hecheln kommt. Die körperliche Anstrengung wird geradezu ausgestellt, dann allerdings auch wiederum so geschmackvoll in den Gesamt-Mix geblendet, dass insgesamt alles sehr gediegen klingt, andere mögen sagen: ehrlich.

Geheimnis gelüftet

So gediegen und ehrlich, dass sogar Eric Clapton gerne mitspielt. Von dem stammt das seifige Blues-Solo in der eingangs erwähnten Ballade "Dive". Allerdings taucht Clapton in den Credits namentlich nicht auf, dort steht nur Angelo Mysterioso.

Kenner der Rock-Geschichte werden sofort aufhorchen. L'Angelo Misterioso war nämlich ein Pseudonym, das sich der frühere Beatle George Harrison und Clapton, damals Gitarrist der Super-Rocker Cream, teilten, um Gastbeiträge zu ihren Platten auszutauschen. Los ging es damit 1969, als Harrison als L'Angelo Misterioso Gitarre zum Cream-Song "Badge" beisteuerte.

Im vergangenen Jahr tauchte dann wieder ein Angelo Mysterioso auf, in den Credits zum Clapton-Song "I Will Be There" auf dessen jüngstem Solo-Album "I Still Do". Sofort begann unter Rockisten das Rätselraten, wer es diesmal sein könne, denn Harrison ist ja seit 2001 tot. Im Interview mit dem Fachmagazin Guitar World sagte Clapton, er wolle nicht verraten, wer der Neue sei, und er hoffe, dass der andere Musiker ebenfalls dichthalte.

In der vergangenen Woche saß Ed Sheeran beim Apple-Sender Beats 1 und sagte dem Radiojournalisten Zane Lowe: "Ich habe im vergangenen Jahr auch etwas zu seinem Album beigesteuert, ebenfalls unter dem Namen Angelo Mysterioso." Da haben wir es: Ed Sheeran, der Pop-Mann des Jahres 2017, ist nicht nur in seinen Songs eine ziemliche Tratschtante.

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