Texas:Sonntagsmesse ohne Gott

Mike Aus Oasis Community

Der ehemalige Pastor Mike Aus hat eine säkulare Gemeinschaft für Menschen begründet, die sich ohne religiösen Vorsatz treffen wollen.

(Foto: Justin Bowen für Oasis, OH)

Wer seiner Kirche den Rücken kehrt, kann in den gläubigen USA schnell einsam werden. Ein Ex-Pastor schafft für diese Menschen mit der säkularen Oasis-Kirche eine neue Gemeinschaft.

Von Johannes Kuhn, Houston

"Eddie's Exclusive Dance Club" hält nicht, was der Name verspricht. Von exklusiv kann bei diesem abgewrackten Betonflachbau, der zwischen Fast-Food-Ketten und Parkplätzen am Stadtrand von Houston, Texas, liegt, keine Rede sein. Auch zum Tanzen ist an diesem sonnigen Sonntagmorgen niemand gekommen. Und trotzdem passiert hier etwas, das für diese Gegend unerhört modern ist: Während sich ein beachtlicher Teil aller Nordamerikaner gerade zum wöchentlichen Gottesdienst versammeln, treffen sich in Houston, mitten im "bible belt" der USA, jene, die ihren Kirchen den Rücken gekehrt haben. Zur Sonntags-Zusammenkunft ohne Gott und Religion.

Die "Oasis Community" bezeichnet sich selbst als "säkulare Gemeinschaft" und will eine "Oase für die Menschen auf ihrem Lebensweg" sein. Auf den ersten Blick könnte es sich um eine x-beliebige christliche Kirche handeln: Mehr als 70 Menschen sind an diesem Morgen gekommen, begrüßen sich mit Handschlag, plaudern und trinken vor und nach ihrer Versammlung gemeinsam Kaffee. Später dann geht es zum gemeinsamen Mittagessen in ein Restaurant. All jene Rituale also, die den christlichen amerikanischen Sonntagvormittag prägen.

Gründer Mike Aus war einst selbst Pastor - als er vom Glauben abfiel, löste er seine Gemeinde auf. 2012 kam er mit Freunden, die ebenfalls dem Kirchenleben den Rücken gekehrt hatten, auf eine Idee: "Wir merkten, dass es viele Dinge am religiösen Leben gab, die uns gefielen und die wir vermissen", erzählt der 53-Jährige. "Die Gemeinschaft, die Treffen, die Freiwilligenarbeit. Also überlegten wir, wie wir das alles machen könnten, nur ohne Märchen." Mit "Märchen" meint er Gebete, Bibel-Lesungen und Gottesdienst-Rituale.

Bei Oasis sind die wöchentlichen Treffen eher eine Mischung aus Nerd Night und Vereinsabend: Mitglieder halten Vorträge und diskutieren, dazu lädt die Organisation Gastredner ein. An diesem Tag erzählt ein pensionierter Arzt von seiner Reise in den Kaukasus (eine Powerpoint-Präsentation gespickt mit zahlreichen Wodka-Anekdoten); ein junger nigerianischer Amerikaner berichtet davon, wie er als "afrikanischer Amerikaner" statt "Afroamerikaner" aufwächst ("Eltern, Ihr kennt sie...", klagt er grinsend unter großem Gelächter). Zwischen den Beiträgen präsentiert ein Singer-Songwriter seine ironischen Songs und Mike Aus, der Ex-Pastor, predigt nicht oder debattiert Glaubens- und Nichtglaubensfragen, sondern erzählt von den Benefiz-Aktionen der jüngeren Vergangenheit.

Die Gruppe definiert sich ausdrücklich nicht als atheistisch oder anti-kirchlich. "Statt der Bibel können wir über viele Bücher diskutieren", umschreibt es Mike Aus. Atheismus trägt in den USA immer noch ein Stigma: Nur drei Prozent der US-Bürger bezeichneten sich 2014 als Atheisten, vier Prozent als Agnostiker.

Das hängt auch damit zusammen, dass Religionen entgegen des Klischees des amerikanischen Individualismus immer noch große Gemeinschaftsstifter sind: Gerade in ländlichen Gegenden ist der Kirchenbesuch der einfachste Weg, sich einen Bekanntenkreis aufzubauen. Eingewanderte Hindus oder Muslime finden in ihren Religionsgemeinschaften Anschluss. Umgekehrt bedeutet das aber eben auch: Wer nicht dabei ist, gehört nicht dazu und kann auch im Amerika von heute schnell zum Außenseiter werden.

"Es ist das erste Mal, dass ich sagen kann, eine Gruppe von Menschen zu haben, mit denen ich mich sonntags treffe", erzählt Joan Sorens. Die 65-Jährige lebt in einem Vorort von Houston: Ihr Mann ist gläubig und geht jeden Sonntag in die Kirche, ihre Nachbarn ebenso. Weil sie keiner Kirche angehören will, saß sie bislang sonntags immer allein zu Hause. "Menschen brauchen Gemeinschaft und ich hatte das nie", erzählt sie. "Und jetzt gibt es Oasis und ich komme immer wieder."

"Das ist keine Freidenker-Gruppe, das ist ein Ort für Familien"

"Anthropologisch gesehen ist Gemeinschaft der Kitt aller Religionen", sagt Mike Aus. In den USA hat dieser Wunsch nach religiöser Zugehörigkeit auch zu einer erstaunlichen Bandbreite an Sekten aller Art geführt. Genau das allerdings will "Oasis" nicht sein: Jeder, der möchte, kann nach Absprache einen Ableger in einer anderen Stadt eröffnen und eigene Schwerpunkte setzen. Ohne Zwang und Indoktrinierung - und auch ohne die Aggressivität jener Atheisten, die sich im Geiste von Denkern wie Richard Dawkins für die Abschaffung von Religionen aussprechen. "Das ist keine Freidenker-Gruppe, das ist ein Ort für Familien. Der Traum ist, dass es so normal wird am Sonntag zu Oasis zu gehen, wie andere zu ihrer Methodistenkirchen pilgern", sagt Ex-Pastor Mike.

Was vor vier Jahren als Brunch mit 25 Menschen begann, hat nun unabhängige Ableger in Kansas, Los Angeles, anderen Teilen Texas und in einigen Orten in Utah: Dort verlassen gerade viele junge Mormonen ihre Glaubensgemeinschaft samt deren strengen Vorschriften, vermissen aber den Trost und die Unterstützung, die sie dort finden. In Houston kommen selbst ehemalige Muslime und Juden in "Eddie's Exclusive Dance Club. Sie wollen wie ihre Ex-Christen-Freunde einfach nur angenehme Menschen treffen, aber nicht beten.

"Es ist toll, wenn es Menschen gibt, die ähnlich wie Du denken", sagt Charles Forbess. Der 76-Jährige ist am Rio Grande an der Grenze zu Mexiko aufgewachsen, optisch erfüllt er jedes Klischee des kernigen Texaners. Doch von seiner Familie wird er gemieden, weil er homosexuell ist. Als er vor einigen Jahren in New York seinen langjährigen Partner heiratete, hat ihm kein einziger Verwandter zur Hochzeit gratuliert. Die bittere Enttäuschung über diese offene Ablehnung kann Forbess bis heute nicht verarbeiten. "Ich bin sehr religiös aufgewachsen", erzählt er nachdenklich, "es hat ein ganzes Leben gebraucht, um mich davon frei zu machen und dort hinzukommen, wo ich jetzt bin."

Aus sozialen Gründen in der Kirche

Die religiöse Prägung verbindet viele Besucher. Joshua Richards, ein stämmiger Zwei-Meter-Mann, war fünf Jahre Pastor in einer der vielen Freikirchen. "Ich wurde gefeuert, weil ich den Menschen gesagt habe, dass die Hölle in der Bibel nicht existiert, sondern es eine Metapher ist", erzählt er sichtlich aufgewühlt.

"Der Unterschied zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen ist klein, sehr klein", sagt der 29-Jährige über die Christen im Süden der USA. "Aber wenn Du Menschen nach Gott fragst, wird dieser kleine Unterschied das Wichtigste und du wirst von ihnen verurteilt. Jemand, der nicht gläubig ist, wird in diesem Land als Mensch ohne Prinzipien angesehen. Manchmal ist es einfacher, zu sagen 'Gott segne dich auch'."

Er hofft darauf, dass das säkulare Amerika ernster genommen wird, dass Menschen ohne Glauben und Kirchenzugehörigkeit eine Lobby erhalten. "Die meisten Amerikaner wissen doch tief drin, dass sie aus sozialen Gründen in die Kirche gehen. Nicht, weil sie glauben."

Nach anderthalb Stunden in "Eddie's Exclusive Dance Club" geht es für die Oasis-Mitglieder wieder hinaus in die erbarmungslose texanische Sonne. Wer Lust hat, begleitet Ex-Pastor Mike noch in ein nahe gelegenes Restaurant. Beim Lunch wird dann weiterdiskutiert - über das Leben, Amerika und die Welt. Denn bei Oasis geht es um die Erweiterung der eigenen Weltsicht und das Akzeptieren anderer Sichtweisen. Und um die Erkenntnis, dass man nicht nach der Bibel leben muss, um ein guter Mensch zu sein.

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