Wahl in Großbritannien:Wie es nach der Wahl in Großbritannien weitergeht

Wahl in Großbritannien: Wahlen in Großbritannien - Eine Telefonzelle weist den Weg zum Wahllokal.

Wahlen in Großbritannien - Eine Telefonzelle weist den Weg zum Wahllokal.

(Foto: AFP)

"Hung parliament": In Großbritannien ist diese Situation äußerst ungewöhnlich. Was passiert jetzt? Kann May weiterregieren? Was ist wahrscheinlich? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Sebastian Gierke

Theresa May hat mit ihrer konservativen Tory-Partei die Regierungsmehrheit im britischen Parlament verloren. Weder die Konservativen noch die oppositionelle Labour-Partei können mehr als die Hälfte der 650 Wahlkreise, also mindestens 326, auf sich vereinen. Damit steht Großbritannien kurz vor Beginn der Brexit-Verhandlungen über einen EU-Austritt vor einer komplizierten und möglicherweise langwierigen Regierungsbildung. Wie es jetzt weitergeht.

Was bedeutet "hung parliament"?

"Parlament in der Schwebe", so könnte man es übersetzen. Keine Partei hat eine absolute Mehrheit. In Deutschland ist das normal, im Vereinigten Königreich dagegen die Ausnahme. Da das britische Mehrheitswahlrecht darauf angelegt ist, eindeutige Verhältnisse zu produzieren, kommt diese Situation äußerst selten vor.

Was passiert mit Theresa May?

Die Tory-Chefin hat eine Niederlage erlitten. Doch sie tritt nicht zurück. Stattdessen hat May von Königin Elizabeth II. den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung bekommen. Jetzt muss sie also versuchen, eine Mehrheit zu organisieren. Entweder anhand einer formalen Koalition oder über einen "Deal" mit anderen Parteien, die eine konservativ geführte Minderheitsregierung unterstützen würden. Als amtierende Premierministerin kann sie jedenfalls so lange in Downing Street Number 10 bleiben, bis jemand anderes eine Regierung bildet. Wenn May keine Chance auf eine Regierung unter ihrer Führung sieht, geht sie zu Königin Elizabeth II. und reicht dort ihren Rücktritt ein. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionsführer Jeremy Corbyn auffordern, mit seiner Labour-Partei eine Regierungsbildung zu versuchen.

Welche Möglichkeiten gibt es jetzt?

Formelle Koalition: Zwei Parteien schließen sich zu einer Regierung zusammen, inklusive Koalitionsvertrag. Das ist 2010 passiert, als sich die Konservativen und die Liberaldemokraten zusammenschlossen.

Minderheitsregierung: Die Konservativen müssten für jede Abstimmung einzeln eine Mehrheit organisieren.

Ein sogenannter "Deal" zwischen Parteien: Eine bestimmte Form von Minderheitsregierung. Es gibt keinen Koalitionsvertrag, auch die Minister kommen nur aus einer Partei, es gibt aber einen festen Partner. In den Jahren 1977 bis 1978 wurde ein solcher Deal zwischen Labour und Liberaldemokraten geschlossen.

Neuwahlen: Auch ein weiterer Urnengang ist möglich, falls keine Regierung zustande kommt. Mehr dazu unten.

Alles hängt von den nun folgenden Verhandlungen ab. Hinter verschlossenen Türen werden sich die Parteien sehr schnell positionieren. Labour und Corbyn müssen nicht darauf warten, bis May all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hat, bevor sie selbst versuchen, einen Pakt mit einer anderen Partei zu schließen.

Bis wann muss es eine Entscheidung geben?

Ein offizielles Zeitlimit für die Verhandlungen gibt es nicht. Aber die Regierung braucht schon bald eine Mehrheit im Parlament, um handlungsfähig zu sein. Das Unterhaus kommt am 13. Juni zusammen. Für May ist das ein wichtiger Zeitpunkt, laut Anleitung des Cabinet Office hat sie bis dahin Zeit, eine Mehrheit zu finden, durch die sie im Amt bleiben kann.

Am 19. Juni liest die Queen als Staatsoberhaupt das Regierungsprogramm in der sogenannten Queen's Speech vor. Es folgt eine rund fünf Tage dauernde Debatte darüber im Unterhaus. Dann wird abgestimmt - hierbei handelt es sich de facto um eine Vertrauenserklärung für die neue Regierung. Das ist ein entscheidender Test dafür, ob eine neue Regierung, wer auch immer sie geformt hat, tatsächlich genug Unterstützer im Unterhaus hat.

Sollte die Abstimmung scheitern, hätte die Gegenseite das Recht auf den nächsten Versuch. Die Abstimmung gilt aber als reine Formsache, weil die Mehrheiten vorher feststehen sollten. Kann sich also niemand sicher sein, ein Regierungsprogramm durchs Parlament zu bekommen, dann müssen die Briten möglicherweise ein weiteres Mal wählen gehen.

Und was ist am wahrscheinlichsten?

Rein rechnerisch braucht eine Regierung mindestens 326 der 650 Sitze im Parlament. Zum Regieren reichen tatsächlich wohl auch schon 323 Sitze. Die irisch-republikanische Sinn Féin hat sieben Sitze gewonnen, schickt jedoch traditionell keine Abgeordneten aus Nordirland nach London. Also sind schon weniger Mandate als die genaue Hälfte der Sitze für eine "Arbeits-Mehrheit" genug.

Wenn May an der Macht bleiben will, geht das eigentlich nur, wenn sie bis 19. Juni, zur Parlamentseröffnung durch die Queen, ein Bündnis mit der probritischen und eurokritischen Democratic Unionist Party aus Nordirland eingeht. Dem Sender Sky News zufolge will die DUP die Konservativen auch unterstützen. Die DUP sehe dabei aber keinen Grund, eine formelle Koalition einzugehen. Anders als die LibDems unterstützen sie den Brexit-Kurs. Bekommen die Konservativen tatsächlich 318 Sitze und DUP zehn, wären das 328 und damit genug.

Labour und Jeremy Corbyn würden wohl nur dann eine Mehrheit zusammenbekommen, wenn sie eine Riesenkoalition aus ganz vielen Kleinparteien inklusive der DUP bildet. Dass die DUP Corbyn unterstützt, ist allerdings schwer vorstellbar.

Mit Material der Agenturen.

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