US Open:Die Beste der Welt

Angelique Kerber

Angelique Kerber küsst den Pokal nach ihrem Sieg bei den US Open.

(Foto: AP)

Angelique Kerber gewinnt die US Open. In einem dramatischen Finale siegt die Deutsche in drei Sätzen gegen Karolina Pliskova und krönt eine triumphale Saison mit ihrem zweiten Grand-Slam-Titel.

Von Jürgen Schmieder, New York

Drei Stunden vor dem Finale zwischen Angelique Kerber und Karolina Pliskova, da lief Beata Kerber über die Anlage in Flushing Meadows. "Oooooch, jetzt bin ich noch nicht aufgeregt", sagte die Mutter von Angelique: "Das fühlt sich wie ein ganz normaler Tag an." Sie stieg hinauf auf die Tribüne von Trainingsplatz eins, wo sich ihre Tochter aufwärmte. In Melbourne, als Angelique die Australian Open gewonnen hatte, da war sie nicht dabei gewesen, in Wimbledon kam sie zum Endspiel eingeflogen: "Jetzt war ich die ganze Zeit über hier, da gewöhnt man sich an den Ablauf."

Später an diesem Nachmittag, da betrachtete Beata Kerber ein spannendes Finale mit wahnwitzigen Ballwechseln und dramatischen Momenten, mit gerissen Saiten und geballten Fäusten, mit unglaublichen Laufwegen und Bällen, die gerade noch die Linie kratzten. Sie sah ein Endspiel, das 127 Minuten dauerte und das ihre Tochter trotz Break-Rückstand im dritten Satz mit 6:3, 4:6, 6:4 gewann.

Vier große Endspiele in einem Jahr

Sich daran gewöhnen, das war ein wichtiger Satz gewesen vor diesem Endspiel bei den US Open. Kerber hat in diesem Jahr drei Endspiele von Grand-Slam-Turnieren erreicht, so viele wie Serena Williams. (Und als Zugabe das Finale bei den Olympischen Spielen in Rio.) Der Sieg bei den Australian Open hatte als Sensation gegolten, das Finale in Wimbledon als Beweis, dass dieser Erfolg in Wimbledon doch keine Sensation gewesen war. Die Leistung in New York dient nun als Bestätigung, dass Kerber nicht nur hochbegabt, sondern auch hocherfolgreich ist - und dass Finalteilnahmen schon als Gewohnheit zu gelten haben. Angelique Kerber ist die beste Tennisspielerin der Welt.

"Egal, was passiert: Ich werde am Montag die Nummer eins sein. Das kann mir niemand mehr nehmen, genau so wenig wie den Sieg bei den Australian Open", hatte Kerber vor dem Finale zur SZ gesagt: "Aber: Ich bin hier in New York, weil ich dieses Turnier gewinnen möchte. Die Sache mit der Nummer eins läuft nebenher. Jetzt ist dieser Tag endlich gekommen - und nun kann ich mich voll und ganz auf dieses Finale konzentrieren."

Dieses Finale war nicht der Showdown, den sich die Organisatoren erhofft hatten: Serena Williams gegen Angelique Kerber, zum dritten Mal bei einem Grand-Slam-Finale in diesem Jahr. Vor mehr als 25.000 Zuschauern im Arthur Ashe Stadium und zur besten Sendezeit im amerikanischen Fernsehen. Williams jedoch hatte im Halbfinale gegen Pliskova verloren und damit auch den Status der allgemein anerkannten weltbesten Spielerin. Vielleicht war es ganz gut so, wie es war - dieses Finale war nämlich auch ohne Williams und ein Duell um die Führung in der Weltrangliste ein sehenswertes Spektakel, ein packendes Duell herausragender Tennisspielerinnen.

Pliskova schwächelt nervlich zweimal: zu Beginn und am Ende

Es heißt bisweilen, dass Spielerinnen, die ihr erstes Grand-Slam-Finale absolvieren, mit zehn Pulsschlägen mehr pro Minute auf den Platz kommen als jene, die das schon häufiger erlebt haben - vor allem, wenn vorher anlässlich der Terroranschläge vom 11. September 2001 auch noch Kampfjets über das Stadion jagen und Promis wie Jessica Alba auf der Tribüne sitzen. Pliskova begann mit einem Doppelfehler und einem grotesken Volley weit neben das Feld, gleich danach riss eine Saite an ihrem Schläger. Ein denkbar ungünstiger Beginn, den Kerber zum Break und beim Seitenwechsel zur Demonstration des niedrigen Pulses nutzte.

"Es ist Wahnsinn. Das beste Jahr meiner Karriere."

Danach servierte Pliskova kraftvoll und präzise, sie bewegte sich bisweilen wie Catwoman an der Grundlinie und knüppelte die Bälle mit einer Geschwindigkeit übers Netz, die sonst nur Baseballspieler beim Homeruns erreichen. Kerber dagegen agierte wie die kleine Schwester von Spiderman, erreichte die mutigen Angriffe der Gegnerin und verblüffte sie mit diesen einzigartigen Konterschlägen, bei denen sie das Tempo der geknüppelten Bälle von Pliskova nutzte und das Spielgerät präzise zurückspielte. Pliskova war oft nahe dran am Break, die entscheidende Statistik im ersten Durchgang: Kerber nutzte zwei von drei Breakchancen, Pliskova keine ihrer vier.

Im zweiten Durchgang kippte die Partie, weil Pliskova noch immer zahlreiche Gewinnschläge gelangen (17 allein in diesem Durchgang), sie jedoch die Anzahl der leichten Fehler deutlich reduzierte. Sie hatte ganz offenbar ihren Puls um zehn Schläge pro Minute gesenkt, sie ließ keine Breakchance zu und nutzte ihre Gelegenheiten nun selbst. Kerber wirkte plötzlich zunehmend ratlos und auch ein wenig eindimensional, sie schupfte die Bälle häufig nur zurück übers Netz und brachte ihre Gegner nur selten in Bedrängnis - nach knappen Entscheidungen wirkte sie gar verzweifelt.

Nur die Ordner können Kerber stoppen

Es war nun Pliskova, die kühl wirkte. Sie schlug herausragend auf, wie schon bei ihren Siegen gegen die Williams-Schwestern jagte ihre Gegnerin von einer Seite zur anderen. Kerber gab zu Beginn des dritten Satzes ihr Aufschlagspiel ab und wirkte bereits wie die Verliererin - doch sie gab nicht auf und profitierte davon, dass Pliskova nun doch anfing, über das Spiel und ihre (vergebene) Chance nachzudenken. Bei 4:5 im dritten Satz unterliefen ihr drei heftige Fehler, und nach etwas mehr als zwei Stunden Spielzeit nutzte Kerber gleich ihren ersten Matchball.

"Es ist Wahnsinn. Das beste Jahr meiner Karriere. Es ist unglaublich. Mein zweiter Grand-Slam-Sieg, das bedeutet mir so viel", sagte Kerber. Und immer wieder: "Amazing."

Die 28-Jährige kletterte nach dem Finale hinauf auf die Tribüne und knuddelte ihre kleine Entourage, besonders herzlich ihre Mutter. Vor dem Versuch, wieder runterzuklettern, stoppte sie ein Ordner - er war der Einzige, der sie an diesem Abend aufhielt.

Angelique Kerber ist Australian-Open-Siegerin und Gewinnerin in New York, sie ist die derzeit beste Tennisspielerin der Welt. Das kann ihr niemand nehmen.

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