Bio:Giftiger Streit um Bioprodukte

Operations At The Penglai Hesheng Agriculture Co. Organic Showcase Farm

Blick in ein Gewächshaus in China: Hier wachsen Bio-Tomaten. Von einer Überwachung der Produktion in solchen Drittländern durch "Kontrollstellen" ist in dem Kompromisspapier der EU-Kommission nun keine Rede mehr.

(Foto: Qilai Shen/Bloomberg)
  • Das Geschäft mit Bio-Lebensmitteln läuft so gut wie noch nie - doch immer mehr Bioprodukte werden importiert.
  • Immer häufiger tauchen deswegen falsch etikettierte oder kontaminierte Bioprodukte in der EU auf.
  • Die bisherigen Bio-Regeln müssen dringend verschärft werden - doch die Verordnung, die genau das leisten soll, droht nun zu scheitern.

Von Markus Balser, Berlin

Sie heißen "BioBio" oder "Biotrend", "PrimaBio" oder "Bioness": Noch nie gab es in deutschen Supermarktregalen so viele Produkte, die ein Bio-Siegel tragen. Das Geschäft mit den Ökolebensmitteln floriert. Die Deutschen haben im vergangenen Jahr mehr Geld für Biolebensmittel ausgegeben als irgendwer sonst in Europa: 9,5 Milliarden Euro - 44 Prozent mehr als noch 2011.

Doch weil der eigene Anbau nicht Schritt hält mit der steigenden Nachfrage, wird auch so viel importiert wie noch nie. Zwar hält die Branche auf den Etiketten noch das Idyll einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft hoch. Doch die Realität sieht längst anders aus: Die Bio-Branche ist zur global vernetzten Industrie geworden . Der Wandel läuft nicht ohne Probleme ab. Immer häufiger tauchen in Westeuropa falsch etikettierte oder kontaminierte Bioprodukte auf. Denn die Kontrollen der Produktion für Europa sind außerhalb der EU bislang lax. Hiesige Behörden müssen sich darauf verlassen, dass Agrarunternehmen in Südamerika oder China die von Brüssel vorgeschriebenen Bio-Standards für den hiesigen Markt einhalten. Eigene Kontrollen vor Ort? Bislang Fehlanzeige.

Seit drei Jahren arbeitet die Europäische Kommission nun schon daran, die Bio-Regeln zu verschärfen. Agrarkommissar Phil Hogan hatte zuletzt eine neue Öko-Verordnung vorgelegt, die regeln soll, was in Europa Bio ist und was nicht. Seine Hoffnung war groß, das Papier schon in ein paar Tagen zu besiegeln. Doch nun wird klar: Aus dem Prestigeprojekt der Kommission wird nichts. Denn Deutschland und andere Schwergewichte lehnen den letzten Kompromissvorschlag nach Angaben aus Regierungskreisen ab.

"Deutschland kann dem keinesfalls zustimmen", sagt ein Beteiligter

Auf heftigen Widerstand stößt, dass die Kontrollen laut jüngstem Kompromisspapier eher verwässert statt verschärft werden sollen. Von einer Überwachung der Produktion in Drittländern durch "Kontrollstellen" sei keine Rede mehr, heißt es. Und selbst innerhalb Europas sollen die sogenannten Prozesskontrollen - Stichproben in der Produktion - wegfallen. Aus Sicht von Bundesregierung, Bundesländern und Bundestag ein Unding. Denn nur so lässt sich überprüfen, ob Bauern Bio-Futtermittel einsetzen und auf Pflanzenschutzmittel verzichten. "Deutschland kann dem keinesfalls zustimmen", sagt ein Beteiligter der Süddeutschen Zeitung.

Der Streit über neue Gesetze für den Bio-Markt hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Schon am Mittwoch sollten sich Europäische Kommission, Parlament und der Ministerrat auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, um die Verordnung bis Anfang Juni noch unter maltesischer Ratspräsidentschaft zu verabschieden. Doch am Dienstag wurde das Treffen plötzlich abgesagt. Eine Einigung schien angesichts immer neuer Kritik nicht mehr machbar zu sein.

Berlin will eine Reform der alten Verordnung - doch die ist von 1992

Für großen Unmut sorgt auch ein Vorschlag der Kommission, der vorsieht, die Grenzwerte für Pestizide in Bio-Lebensmitteln zu verschärfen. Das stößt nicht nur im Europäischen Parlament auf breite Ablehnung, sondern treibt überraschenderweise auch Öko-Verbände auf die Barrikaden. Leicht zu durchschauen ist diese Auseinandersetzung nicht. So mancher Käufer von Bio-Ware dürfte sich ohnehin fragen, was Pestizide in Öko-Produkten verloren haben. Doch weil noch immer mehr als 90 Prozent der Landwirte konventionell arbeiten und Pestizide einsetzen, gibt es Rückstände auch auf Bio-Feldern. Wenn der Nachbar Gift versprüht, kann es ungewollt auf den Acker des Bio-Landwirts niederrieseln. Deshalb werden nach den geltenden EU-Bio-Regeln geringe Rückstände bis zu einem Grenzwert toleriert. Wird der Wert überschritten, darf der Erzeuger sein Obst oder Gemüse nicht als Bio verkaufen. Auch Bio-Verbände aus Deutschland liefen in diesem Punkt gegen die geplante Verordnung Sturm. Es liege ein völlig unpraktikabler Vorschlag vor, warnte etwa Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). "Weder Bauern, Verarbeiter und Händler noch die Behörden werden das umsetzen können."

Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Denn neue Regeln sind nötig. Berlin setzt nun statt einer neuen Verordnung auf eine Reform der alten. Die bisherige Öko-Verordnung stammt aus dem Jahr 1992, also aus einer Zeit, in der die Bio-Branche noch in ihren Anfängen steckte. Die Bundesregierung mahnt in jedem Fall zur Eile, denn die Unsicherheit erschwert Landwirten die Umstellung auf den ökologischen Landbau. "Die Hängepartie für unsere deutschen und europäischen Landwirte muss ein Ende haben", fordert Landwirtschaftsminister Christian Schmidt.

Der zuständige Berichterstatter des EU-Parlaments für die Ökoverordnung, Martin Häusling (Grüne), bedauerte, dass der Agrarministerrat nicht in der Lage sei, die Verhandlungen mit EU-Parlament und EU-Kommission zu einem guten Ende zu bringen. Verbraucherschützer halten den Widerstand der Bundesregierung gegen die Novelle aber für richtig. "Verbraucher müssen besser als bislang vor Mogeleien bei Bio-Produkten geschützt werden", teilte etwa die Verbraucherzentrale Bundesverband mit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: