Cebit:Hoffen auf Japan

  • Um sich von den USA wirtschaftlich unabhängiger zu machen, will Europa stärker mit Asien kooperieren.
  • Startschuss soll ein Handelsabkommen zwischen Europa und Japan sein.
  • Allein die deutsche Wirtschaftsleistung würde um bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr steigen, beziffert eine unveröffentlichte Studie.

Von Alexander Hagelüken und Katharina Kutsche, Hannover

Das fünfte Kapitel der Menschheitsgeschichte sei angebrochen, sagt Shinzo Abe. Wenn das erste Kapitel die Jagd, das zweite der Getreideanbau und das dritte die Industrialisierung gewesen sei, sei das vierte Kapitel durch die Entwicklung der Computer geprägt. Nun beginne ein Kapitel, in dem alle Problem lösbar werden, sagt der japanische Premier: "Vertrauen wir auf unsere Kräfte."

Der japanische Regierungschef eröffnete am Sonntagabend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Computermesse Cebit in Hannover. Seine literarische Beschreibung ist die Garnitur für einen deutlichen Appell, den er in seiner Rede an die Kanzlerin und die Vertreter der Europäischen Union richtet: Er plädiert für einen frühzeitigen Abschluss des Handelsabkommens zwischen Japan und der EU. Premierminister Abe betonte, dass man Wachstum nur durch Verbundenheit sicherstellen könne. "Japan möchte gemeinsam mit Deutschland diejenigen sein, die dieses System stützen", so Abe.

"Lieber Shinzo", erwidert die Kanzlerin, Deutschland wolle gern der Motor sein, um die Wirtschaftspartnerschaft zu sichern. Dass Japan Partnerland der Cebit ist und mit 118 Ausstellern zehnmal mehr japanische Unternehmen auf der Messe vertreten seien als früher, sei ein wichtiger Meilenstein für die weitere Zusammenarbeit. Und in Zeiten, in denen es auf der Welt viel Streit gebe, sei es "ein gutes Zeichen, dass wir uns mit Japan nicht streiten".

Trump ist ein Schock

Seit US-Präsident Donald Trump protektionistische Töne anschlägt, sucht Europa nach Alternativen. Trump ist ein Schock, weil die Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg stets der globale Vorreiter des Freihandels waren - und Deutschlands Exportziel Nummer eins sind. Um sich davon unabhängiger zu machen, will Europa stärker mit Asien kooperieren. Startschuss soll ein Handelsabkommen mit Japan sein. Dessen Vorteile haben Wissenschaftler nun erstmals genau abgeschätzt. Allein die deutsche Wirtschaftsleistung steigt um bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr, beziffert eine unveröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung und des ifo-Instituts.

Die Forscher entwerfen zwei Szenarien für das Abkommen, das die Europäische Union noch dieses Jahr mit ihrem sechstgrößten Handelspartner fix machen will. Ein klassisches Abkommen, bei dem vor allem die Zölle auf Produkte sinken, hätte demnach spürbare, aber doch begrenzte Effekte. Europa hätte elf Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung pro Jahr, wovon ein Drittel auf Deutschland entfallen würde. Dieser Zuwachs stellt sich nach etwa einer Dekade ein, nachdem alle neuen Regeln zur Gewohnheit wurden.

Deutschland hätte 20 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung im Jahr

Ein solches klassisches Abkommen hat die EU beispielsweise 2011 mit Südkorea abgeschlossen. Die Exporte in das asiatische Industrieland nahmen seitdem um ein Drittel zu. Das ist beachtlich. Viel mehr Wirtschaftswachstum ließe sich mit Japan jedoch durch ein ehrgeizigeres Abkommen erzielen, bei dem auch andere Handelshemmnisse als Zölle fallen. Beispielsweise müssten dafür europäische Firmen Zugang zu japanischen Staatsaufträgen bekommen und Berufsqualifikationen oder Lebensmittelstandards gegenseitig anerkannt werden.

Gelingt das, sind die ökonomischen Vorteile deutlich größer als bei einem klassischen Abkommen. Deutschland hätte langfristig 20 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung im Jahr oder sechs Mal so viel wie bei einem klassischen Abkommen. Das entspricht 0,7 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts (BIP). Um diese Zahl einzuordnen, hilft ein Vergleich: Die 0,7 Prozent sind mehr als der Wert, um den die deutsche Wirtschaft in schlechten Jahren wächst - und etwa ein Drittel des Wertes, um den sie in sehr guten Jahren wächst.

"Ob ein derart ambitioniertes Abkommen überhaupt infrage kommt, hängt vom politischen Willen der beiden Partner ab", sagt Bertelsmann-Forscherin Cora Jungbluth. Zwischen der EU und Japan gibt es durchaus Kontroversen. Brüssel fordert, dass sich Tokio bei der Landwirtschaft und eben besonders bei den übrigen Handelshemmnissen wie Produktstandards bewegt. Umgekehrt erwarten die Japaner neben Zugeständnissen bei bestimmten übrigen Handelshemmnissen Erleichterungen für japanische Autos, die Europa nach wie vor mit zehn Prozent Zoll verteuert. Umstritten ist auch der europäische Vorschlag eines Investitionsgerichtshofs. Der Plan, das Abkommen schon Ende 2016 zu vereinbaren, scheiterte.

Ein Abkommen mit Japan soll der Anfang sein

Nun allerdings gibt der protektionistische Kurs von Donald Trump, der auch beim Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag wieder angebliche Unfairness gegenüber den USA beklagte, den Gesprächen neuen Auftrieb. Europa zum Beispiel hat sich innerlich vom jahrelang verhandelten und bei Deutschen umstrittenen TTIP-Abkommen mit den USA verabschiedet, das globale Standards für die Weltwirtschaft setzen sollte. Ein Abkommen mit Japan soll der Anfang einer stärkeren Kooperation mit Asien sein, an die sich weitere Handelsverträge anschließen sollen.

Für Japan war Trumps Absage an das Handelsabkommen TPP eine herbe Niederlage. TPP umfasste neben den USA und Japan zehn weitere Pazifiknationen wie Vietnam, Australien und Mexiko. Aber nicht China, dessen Machtstreben in Asien Japan durch TPP bremsen sollte. "Japan geht es ähnlich wie der EU, unter Präsident Trump brechen die USA als verlässlicher Partner im Welthandel weg", analysiert Cora Jungbluth von Bertelsmann. Ein schnelles Handelsabkommen der EU mit Japan, der zweitgrößten Wirtschaftsmacht in Asien, wäre aus ihrer Sicht ein wichtiges politisches Signal an die anderen asiatischen Länder: Während sich die USA zurückziehen, verstärkt Europa sein Engagement und zeigt, dass es nach wie vor Alternativen zu China gibt.

Das Reich der Mitte versucht, die anderen asiatischen Staaten nach dem Kollaps des Pazifikabkommens TPP in ein eigenes Handelsabkommen mit dem Titel RCEP zu versammeln - zu seinen Bedingungen. Während die Regierung in Peking den Vertrag eher klassisch gestalten will, hat die Regierung in Tokio nun erstmals deutlich widersprochen. Tokio will sich die Bedingungen nicht diktieren lassen und strebt ein umfassenderes Abkommen an, dem dann andere Staaten außerhalb Asiens beitreten könnten - zum Beispiel am Ende doch noch die USA.

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