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Exklusion und Inklusion. Regisseur Ruben Östlund in Cannes.

© Alastair Grant/AP/dpa

Cannes Journal 2017 (3): Weltprobleme in hoher Taktung

Wieviel Politik ist eigentlich gut fürs Kino? In Cannes macht man sich da so seine Gedanken.

Von Andreas Busche

Als Filmkritiker ist man gegen Projektionen nicht gefeit. Das liegt einerseits am Wesen des Kinos selbst, seiner Existenz als Lichtbild auf der Leinwand, es hat aber auch viel mit den eigenen Vorstellungen zu tun. Unbewusst neigt man dazu, sich selbst und sein Weltbild über die Filme, die man persönlich schätzt, zu vergewissern. Filmfestivals nehmen hier eine gesonderte Rolle ein, weil auf ihnen in hoher Taktung die Probleme unserer Zeit verhandelt werden: Flüchtlingskrise, Klassenkampf, Transgender-Gleichberechtigung, die Situation von Frauen im Islam. Kritiker erwarten vom Kino natürlich höchste moralische Standards und fordern gleichzeitig eine Autorenschaft, die das Kino nicht für politische Botschaften instrumentalisiert. Ob man selbst diesen Ansprüchen im Alltag gerecht zu werden versucht, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Der schwedische Regisseur Ruben Östlund findet in seinem Film „The Square“ ein einfaches Bild für diesen Wohlstandshabitus der Auslagerung: ein leuchtendes Quadrat, eingelassen in das Kopfsteinpflaster vor dem Stockholmer Museum für Moderne Kunst. Wer das Kunstwerk betritt, soll sich zu sozialer Anteilnahme und Empathie verpflichten. Außerhalb des Kreises herrschen die Gesetze des Dschungels, wie die verstörende Performance eines animalischen Aktionskünstlers demonstriert.

Das titelgebende Quadrat ist die neueste Akquise des Starkurators Christian (Kai-Pflaume-Lookalike Claes Bang), einem blasierten Idioten, dessen eitler Kuratorensprech gleich zu Beginn von einer Journalistin (Elisabeth Moss) vorgeführt wird. Die hohlen Phrasen können nicht überspielen, dass auch nachhaltige Kunst den Gesetzen des Marktes gehorcht. Christian, der Bettler auf der Straße routiniert ignoriert, beherrscht dessen Regeln blind, er verliert jedoch seinen Fokus, als Trickbetrüger ihn um Handy und Brieftasche erleichtern. Bald gerät seine Suche nach den Tätern in Konflikt mit dem Tagesgeschäft, was eine hochgradig bizarre Youtube-Kampagne zur Folge hat, in der ein obdachloses Mädchen in die Luft gejagt wird.

Östlund bewies schon mit seinem letzten Film „Höhere Gewalt“, in dem eine Lawine die Sollbruchstellen einer Ehe offenlegt, einen Sinn für die feinen Verflechtungen von Suspense und psychologischer Farce. Mit „The Square“ begibt er sich auf ein gesellschaftliches Feld, das natürlich eine dankbare Zielscheibe für Spott darstellt. Doch Östlund belässt es nicht bei reaktionären Spitzen gegen die elitäre Kunstwelt. Stattdessen werfen seine komischen (nicht ganz subtilen) Beobachtungen über die sozial engagierte Kunst im Film ein wenig vorteilhaftes Licht auf die zwischenmenschlichen Verhältnisse. Der Streit um ein benutztes Kondom verlegt die großen Themen marktfähiger Gesellschaftskunst ins Schlafzimmer eines Narzissten.

Weniger metaphorisch ist in diesem Jahr das iranische Kino, das mit Mohammad Rasoulofs Drama „Lerd“ und dem Animationsfilm „Tehran Taboo“ von Ali Soozandeh in Nebenreihen vertreten ist. Die Wiederwahl des gemäßigten Präsidenten Hassan Rohani lässt Künstler auf weitere Reformen hoffen, wie Soozandeh vor der Premiere erklärte – doch sein wie auch Rasoulofs Film fühlen sich noch an wie aus einer anderen Ära.

Rasoulof, auf den im Iran offiziell eine Gefängnisstrafe wartet, war nie ein Regisseur der poetischen Verdichtung. In „Lerd“ legt sich ein Goldfischzüchter mit den korrupten Behörden an und riskiert in seinem Männlichkeitswahn die Existenzgrundlage seiner Familie. Nicht weniger unerbittlich ist der im Rotoskopie-Verfahren entstandene „Tehran Taboo“ um drei Frauen, die das repressive patriarchale System auszutricksen versuchen. Man kennt diese Konflikte aus dem iranischen Kino, doch auf einem Filmfestival bekommen sie plötzlich einen anderen Akzent.

Von den großen gesellschaftlichen Fragen in westlichen Gesellschaften bis zu den existenziellen Problemen im Iran sind es nur ein paar Schritte.

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