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Literatur und Glamour. Hemingway mit seiner zweiten Frau Pauline.

© picture alliance / dpa

Die Fitzgeralds und Ernest Hemingway: Sie wussten, dass sie besonders sind

Ausschweifend, wild, gefährlich: Warum das Leben und die Literatur der Fitzgeralds und von Ernest Hemingway noch immer so faszinieren.

Kurz vor seinem Tod war F. Scott Fitzgerald noch voller Tatkraft. „Ich bin noch nicht fertig“ soll einer seiner letzten Gedanken gewesen sein, so will es zumindest der Schriftsteller Stewart O’ Nan in seinem Roman über die letzten Lebensjahre von Fitzgerald vor allem in Hollywood, „Westlich des Sunset“. Trotz seines Alkoholismus und der damit einhergehenden körperlichen Malaisen, trotz seines „Crack Up“, wie er einen schonungslosen Essay über sich selbst 1936 betitelt hatte, war Fitzgerald stets bemüht, gute Geschichten zu schreiben, selbst wenn diese kaum noch jemand haben wollte, selbst wenn sich darin schon eine große Lebenserschöpfung zeigte.

Der Satz, den O’ Nan ihm in den Mund legt, hat zudem jedoch etwas von einer Ahnung, einer schönen Vision. Denn zumindest die Nachwelt scheint mit Fitzgerald gar nicht fertigwerden zu wollen. Und auch nicht mit seiner Frau Zelda und seinem Konkurrenten und Nachfolger Ernest Hemingway – nicht mit ihrer Literatur und noch weniger mit ihrem Leben.

Nachdem der Aufbau Verlag eine frühe Erzählung von Fitzgerald vor zwei Jahren erstmals auf Deutsch veröffentlichte, zusammen mit einer von Zelda, „Die Straße der Pfirsiche“, sind nun unter dem Titel „Für dich würde ich sterben“ die seinerzeit von vielen Zeitschriften abgelehnten Erzählungen aus den späten Lebensjahren Fitzgeralds publiziert worden, 14 Stück, dazu drei Filmexposés und ein weiteres Fragment. Und passend dazu gibt es noch einen Band von Zelda, „Himbeeren mit Sahne im Ritz“; mit Geschichten ausschließlich über junge Frauen, die zu ihren Lebzeiten zumeist unter ihrer beider Namen veröffentlicht worden waren, in zwei Fällen gar nur unter seinem. Der Grund: Er war der viel bekanntere, mit seinem Romandebüt „Diesseits vom Paradies“ schnell berühmt gewordene Autor. Die Erzählungen ließen sich so leichter unterbringen und brachten auch finanziell mehr ein.

Das Leben erscheint manchmal größer als die Literatur

Tatsächlich irritieren Sätze, wie sie Zelda zum Beispiel über Gay in der Erzählung „Die erste Revuetänzerin“ schreibt: „Zu der Zeit war sie krampfhaft bemüht, an etwas festzuhalten, was niemals klar umrissene Form angenommen hatte – die Vergangenheit“. Oder in der Geschichte „Ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen“ über Eloise: „Sie wusste nicht genau, ob sie wirklich so besonders war, wie sie immer geglaubt hatte.“ Diese Sätze klingen wie aus Erzählungen ihres Mannes – was im Umkehrschluss die Frage aufkommen lässt, wie viel in seinen Erzählungen eigentlich von ihr kommt, wie viel aus ihren Tagebüchern, aus denen er sich bekanntermaßen bedient hat, darin eingeflossen ist. Aber so wie beide in ihrer großen Zeit, in den zwanziger Jahren, einen bestimmten Lebensstil definierten, das vielbeschworene Jazz Age, und wild, ausschweifend und gefährlich lebten, so wurden sie nie als Individuen wahrgenommen, sondern zumeist als Paar, als eine Symbiose. „Ist das hier das Rasthaus Fitzgerald?“, fragt eine der Heldinnen von Zelda, und eigentlich spielt es da überhaupt keine Rolle, ob das erzählende Ich dieser Geschichte ein weibliches oder männliches ist. „Ich weiß nicht, ob Zelda und ich real sind oder nur Figuren in einem meiner Romane“, hat F. Scott Fitzgerald über sich und seine Frau gesagt. So kreisen die Gedanken der Figuren in beider Fitzgerald-Erzählungen häufig darum, den Augenblick der Jugend festzuhalten, den Ausschweifungen Sinn zu verleihen, das Vergehen der Zeit zu begreifen, „die Treulosigkeit der Zeit“, wie es in „Die Straße der Pfirsiche“ heißt.

Scott und Zelda Fitzgerald 1925 in Südfrankreich.
Scott und Zelda Fitzgerald 1925 in Südfrankreich.

© Alamy Stock Photo

Das Leben, selbst das tragisch kaputte – sein Scheitern in Hollywood, ihr Leben in psychiatrischen Kliniken –, erscheint da manchmal größer, attraktiver als die Literatur, die daraus resultierte. Was sich bei Ernest Hemingway nicht viel anders darstellt. Noch bewusster als die Fitzgeralds versuchte er sein Leben und Schreiben miteinander in Einklang, wenn nicht gar zur Deckung zu bringen, als Trinker, Großwildjäger, Kriegsteilnehmer, Tiefseefischer und vieles mehr. Insofern ist es folgerichtig, dass es stes aufs Neue Bücher über die Fitzgeralds und Hemingway gibt. So wie O’ Nans Roman, wie Emma Watsons semifiktive Recherche „Der Sommer, in dem Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte“, ein Buch über die beiden Großschriftsteller und ihre Frauen 1925/26 an der Côte d’ Azur, wie Naomi Woods Buch über Hemingways vier Ehefrauen, das ebenfalls viel fiktive Einfühlung enthält. Und wie, als jüngster Neuzugang, Lesley M. M. Blumes Studie über die frühen Pariser Jahre Hemingways, „Und alle benehmen sich daneben“.

Roman der "verlorenen Generation"

Die New Yorker Journalistin erzählt darin, wie Hemingway zu „Hemingway“ wurde, zum Markenartikel, insbesondere vor dem Hintergrund der Entstehung seines 1926 veröffentlichten Debütromans „The Sun Also Rises“.

Diese Geschichte über „Fiesta“, wie der Roman auf Deutsch heißt, handelt davon, dass ein Schriftsteller die Wirklichkeit zu seiner literarischen macht, zu Fiktion. Was Blume ihrerseits zurückübersetzt in die Wirklichkeit, inklusive eines Anhangs, der darüber aufklärt, was aus den Vorbildern des „Fiesta“-Personals, „den konsternierten Prototypen des Romans“, geworden ist. Sie wirkt in dieser Hinsicht wie die Menschen, die Paris damals wegen der großen Künstlerkolonie besuchten: „Wenn Touristen bislang literarische Berühmtheiten wie James Joyce oder Gertrude Stein angegafft hatten, versuchten Leute jetzt, Hemingways Figuren zu entdecken.“

Man merkt Blume an, dass sie fasziniert ist von der Hauptfigur ihres Buches wie von seinem Pariser Umfeld. Nicht müde wird sie zu betonen, wie sehr Hemingway die Literatur verändert hat, was für eine Großtat er allein mit seinem Debütroman über eine Gruppe junger Verzweifelter in Paris und Pamplona vollbrachte – und was er für Anstrengungen unternahm, um bekannt zu werden, angefangen damit, aus „Fiesta“ einen Generationenroman zu machen mit dem berühmten, von Gertrude Stein entlehnten Bonmot der „verlorenen Generation“.

Blaupause einer Mischung aus Pop und Literatur

Bei aller akribischen Recherche hat „Und alle benehmen sich daneben“ etwas von einem Roman, wirken hier alle selbst wie schillernde Romanfiguren: Hemingway und seine ersten beiden Frauen, Hadley und Pauline, abermals natürlich Zelda und F. Scott Fitzgerald, zudem viele andere Schriftsteller, Schriftstellerinnen und Journalistinnen, die Hemingway förderten und zum Teil später von ihm fallengelassen oder der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, Sherwood Anderson, Ezra Pound oder Ford Madox Ford, Gertrude Stein, Sylvia Beach oder Dorothy Parker. Ihr festliches Leben in Paris, die jährlichen Reisen Hemingways nach Spanien, Frankreich und Österreich, die vielen Beziehungen untereinander, etwa wie Pauline Hadley ablöst, das alles nimmt bei Lesley M. M. Blume viel Raum ein, viel mehr als die literarischen Techniken Hemingways oder überhaupt die Entwicklung seines Schreibens.

In den Erzählungen von Emily Watson, Naomi Wood und jetzt Blume wirkt diese Pariser Dichter- und Dichterinnenszenerie so einzigartig wie überlebensgroß, als Blaupause einer Mischung aus Pop und Literatur. Womöglich drückt sich darin die Sehnsucht nach einer ähnlichen literarischen Gemengelage wie seinerzeit aus – auf dass die Literatur bitteschön eine Idee glamouröser werden möge, weil die Bücher allein dafür nicht ausreichen. Wie gering aber der Einfluss jenseits der Literatur war, wie viel Pop wirklich darin steckte, zeigen wiederum die von Blume genannten Zahlen der Buchverkäufe. Von „Fiesta“ waren ein halbes Jahr nach Erscheinen 11 000 Exemplare verkauft worden, von F. Scott Fitzgeralds Debüt „Diesseits vom Paradies“ ein paar Jahre zuvor im selben Zeitraum immerhin 35 000.

Heute stellt sich das zumindest im Fall von Hemingways Roman ganz anders dar. Angeblich werden davon allein in den USA 120 000 Exemplare pro Jahr verkauft – was darauf schließen lässt, dass die Geschichten über Hemingway, aber auch die über die Fitzgeralds so schnell nicht zu Ende erzählt sein werden.

Lesley M. M. Blume: Und alle benehmen sich daneben. Wie Hemingway seine Legende erschuf. Aus dem amerikanischen Englisch von Jochen Stremmel. dtv, München 2017. 512 Seiten, 24 €. F. Scott Fitzgerald: Für dich würde ich sterben. Erzählungen. Aus dem amerikanischen Englisch von Gregor Runge, Andrea Stumpf u. Melanie Walz. Hoffmann & Campe, Hamburg 2017. 492 S., 25 €. Zelda Fitzgerald: Himbeeren mit Sahne im Ritz. Erzählungen. Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné. Manesse, Zürich 2016. 218 Seiten, 24,95 €.

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