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Kultur: Die Kunst des Wegsteckens

„Der Hässliche“: An der Schaubühne wird Marius von Mayenburgs neues Stück uraufgeführt. Ein Porträt des Dramatikers

Herrn Lette mangelt es an einer entscheidenden Arbeitnehmerqualität: jenem Gesicht, dem man mit Freude noch den größten Schwachsinn abkauft. Zwar hat der „Hässliche“ aus seinem schrägen Kopf den ultimativen Starkstromstecker herausgetüftelt. Zur Präsentation aber soll der glatte Hiwi reisen. Also investiert Lette in eine Schönheitsoperation. Das Ergebnis: eine optische Sensation, die nicht nur den Starkstromsteckerabsatz schlagartig verzehnfacht, sondern an deren Hotelzimmer auch allabendlich fünfundzwanzig Frauen Schlange stehen.

Der Clou des neuen Stückes vom Schaubühnen-Hausautor Marius von Mayenburg, das heute in der Regie von Benedict Andrews uraufgeführt wird, besteht darin, dass Lette (gespielt von Lars Eidinger) sich vor dem Optimierungseingriff weder eine Quasimodo-Maske überstülpen noch hinterher zum Brad-Pitt-Verschnitt zurechtschminken lassen wird, sondern abendfüllend sein unverfremdetes Eidinger-Gesicht zur Schau trägt. Bestimmt das Bewusstsein also das Sein?

Marius von Mayenburg sitzt im Schaubühnen-Café, schaut tief in sein Mineralwasserglas und überlegt. „Das sind so Thesen, über die ich gar nicht nachdenke beim Schreiben“, sagt er schließlich. „Für mich war das mit dem unveränderten Gesicht primär der Rückgriff auf eine Theatertechnik. Das Theater lebt von solchen Verabredungen, davon, dass wir festlegen: Das ist jetzt der König. Oder die Frau, die alle wollen. Oder eben: der Hässliche. Und diese Möglichkeiten auszuloten hat mir einfach Spaß gemacht.“ Tatsächlich ist Mayenburgs Stück eine quietschvergnügte, bewusst stereotypisierende Farce, die keinen philosophischen Tiefgangspokal anstrebt. Und auch nicht davor zurückschreckt, aus „en detail“ in schummrigen Hotelzimmern vorgeführten „Steckern“ und „Steckverbindungen“ schlüpfriges Pointenkapital zu schlagen.

Trotzdem wäre es bei einem eher nachdenklichen Dramatiker wie Marius von Mayenburg – man denke an Stücke wie „Feuergesicht“, „Das kalte Kind“ oder „Augenlicht“, die bei allem Verbalwitz immer um deformierte Kindheiten, um extrem konfliktträchtige Biografien bis zum körperlich veräußerlichten Defekt kreisen – einigermaßen überraschend, wenn er nicht spätestens drei Mineralwasserschlucke später doch mit einer handfesten These aufwartete.

„Ich glaube, dass alle schönen Menschen sich mehr oder weniger ähnlich sehen, aber die hässlichen extrem individuell hässlich sind. Zum Beispiel Sartre: Was man bei dessen ganzer Schieläugigkeit schätzt, ist das Unverwechselbare. So, als hätte sich ein einzigartiges Gehirn auch eine einzigartige Fassade geschaffen.“ Wogegen die wohlfeile Fassade des Steckerbastlers im „Hässlichen“ folgerichtig bald in Serie geht.

Natürlich erzählt dieser lustige Kommentar zu Uniformierung und Attraktivitätsdiktat vor allem viel über jenen professionellen Vermarktungszwang, der den Steckerbastler mit dem Bäcker, dem Journalisten oder eben dem Dramatiker eint. „Ich selbst tue mich mit öffentlichen Auftritten schwer“, gesteht von Mayenburg, „ich bin beklommen, wenn ich vor einem Mikrofon sitze. Die intelligentesten Sachen fallen mir meist auf dem Nachhauseweg ein.“ Und wenn er jetzt Kollegen seine tiefste Bewunderung zollt, die beim Reden übers eigene Werk immer so extrem „schnell im Kopf“ sind, klingt das nicht kokett. Tatsächlich überlegt Marius von Mayenburg genau, bevor er antwortet, dreht jedes Sujet sorgfältig hin und her, bis er sich ihm aus mindestens zwei Einerseits- und zwei Andererseits-Perspektiven genähert hat. Was der Dramatiker als beklommen bezeichnet, wirkt im Zeitalter der munteren Kurzdenker und Schnellschussredner eher sympathisch.

Als Umkreisen von Fragen beschreibt Marius von Mayenburg auch seine dramatische Methode: „Ich will ja keine Beweisführungen liefern.“ Nach Moralkeulen sucht man in seinen Texten vergeblich; von Moralkeulen zur plastischen Chirurgie ganz zu schweigen. Sein Ausgangspunkt sei immer eine Frage, ein Punkt, den er nicht verstehe. „In dem Moment, in dem ich die Antwort habe oder reflektiert darüber nachdenken kann, interessiert es mich nicht mehr als Schreibthema.“ Den Schauspielern gegenüber schwört der Dramatiker denn auch Stein und Bein, selbst keine Silbe mehr zu wissen, als auf dem Papier steht, wenn er – wie jetzt beim „Hässlichen“ – in Proben seiner Stücke sitzt.

Und das passiert notwendigerweise oft. Schließlich kam er im Jahr 2000 mit der Leitungsübernahme von Thomas Ostermeier, den er noch aus Baracken-Zeiten kennt, und Sasha Waltz nicht nur als Autor, sondern auch als Dramaturg an die Schaubühne. Eine Berufskombination, die, zumal bei eigenen Texten, nicht ohne Konflikte und Überzeugungskämpfe abgeht. Es soll ja vorkommen, dass Regisseuren komplett andere Wege vorschweben als Dramaturgen. „Aber letzten Endes ist es für mich eher fruchtbar“, sagt Mayenburg, „weil ich etwas erfahre über meinen Text, womit ich nicht unbedingt gerechnet hätte.“

Der 1972 in München geborene Dramatiker hatte einiges einzustecken im Laufe seiner Karriere, die 1998 nach einigen Semestern Altgermanistik und dem Studium des szenischen Schreibens an der Berliner Universität der Künste mit „Feuergesicht“ begann. Das mittlerweile in viele Sprachen übersetzte und gespielte Werk katapultierte ihn umgehend zum Jungdramatiker-Star. Seither, lacht er, „habe ich für alles Mögliche schlechte Kritiken bekommen: Für mein Aussehen, für meinen Namen, für meine Herkunft aus Bayern – und für die Stücke sowieso.“

Bei Texten wie „Feuergesicht“, jener Inzest-, Elternmord- und Pyromanie-Geschichte in gutbürgerlichen Verhältnissen, war es beispielsweise die Verengung des Blicks aufs Nächstliegende: die pubertierende Generation in der bürgerlichen Familienhölle. Und vorletztes Jahr, bei „Turista“, wo der Dramatiker tadelsfrei über den Wohlstandsfamilientellerrand blickte und seine Perspektive in die europäische Geschichte und Gegenwart zu weiten suchte, die vermeintliche Sprach- und Konstruktionsglätte nach dem „Creative-Writing“-Baukastenprinzip, die mehreren Rezensenten missfiel. „Am Anfang hat mich das schon überrascht“, gesteht der Dramatiker. „Manchmal schlägt einem da ein Hass entgegen, wo ich denke: Ich hab’ ja jetzt nicht den Irak-Krieg angefangen.“

Und er fährt fort: „Ich denke, es ändern sich weniger die Themen als vielmehr die Perspektiven darauf – Letzteres hoffe ich zumindest.“ Er selbst könne jedenfalls keine definitive dramatische Vorliebenverschiebung feststellen: „Theater packt mich immer dann, wenn mich Figuren Dinge erleben lassen, die ich selbst nicht oder nur im Ansatz erlebe. Wenn sie also für mich Erfahrungen machen, die ich in meinem eigenen Leben versuche zu vermeiden.“ Seien es Inzestgeschichten, Campingplätze oder Schönheitsoperationen.

„Der Hässliche“ von Marius von Mayenburg hat heute um 20 Uhr in der Schaubühne Premiere.

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