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Die Rückkehr des Schätzchens. Uschi Glas gerät in die Fänge des Matriarchats von Bad Marein.

© Bildstörung

DVD "Die Weibchen" mit Uschi Glas: Macker im Fleischwolf

Schwüle Psychedelik: Die Pop-Art-Perle „Die Weibchen“ mit Uschi Glas ist endlich auf DVD und BluRay verfügbar.

Das Kino der alten Bundesrepublik – erschlossen, sortiert, verschlagwortet. Edgar Wallace, Karl May, Oberhausen, der Schulmädchenreport. Man meint das alles bereits zu kennen. Doch in jüngster Zeit wandelt sich diese Einschätzung. Zu verdanken ist das etwa der von Olaf Möller kuratierten Retrospektive für das Filmfest Locarno, die das Kino der Adenauerzeit neu perspektivierte. Oder den leidenschaftlichen Online-Cinephilen, die in Blogs wie „Eskalierende Träume“ den Diskurs um filmarchäologische Ausgrabungen beleben, die lange nur als schäbige VHS-Kopien kursierten.

Wieder ans Tageslicht kommen dabei vergessene Querschläger, Grenzgänger und Sumpfblüten, die es im BRD-Kino nach gängiger Auffassung eigentlich nicht geben dürfte, etwa die deutsch-italienische Koproduktion „Die Weibchen“ des 1995 verstorbenen Kino-Ekstatikers Zbynek Brynych (sprich: Sbinjeck Brinnich). In dem wilden Pop-Art-Movie gerät Uschi Glas in die Fänge einer krypto-feministischen Frauensekte, Verfechterinnen von Valerie Solanas satirischem „SCUM-Manifest zur Vernichtung der Männer“.

Winnetou, Paukerfilme und Schwabinger Boheme

Was heute skurril wirkt, war 1970 für den Münchner Produzenten Luggi Waldleitner mit handfesten kommerziellen Absichten verbunden. Die feministische Revolte lag in der Luft. Uschi Glas pendelte damals schon zwischen Winnetou, Paukerkino und Schwabinger „Schätzchen“-Boheme, sie versprach sich von der Zusammenarbeit mit dem tschechischen Regisseur den Sprung ins Ausland. Mit dabei war auch Soundtüftler Peter Thomas, dessen hektische Big-Band-Beats den Film mit der gängigen musikalischen Signatur des deutschen Unterhaltungskinos unterlegten.

Damals geriet diese Obskurität zum wirtschaftlichen Fiasko, jetzt kann man sie endlich wiederentdecken: auf einer liebevoll vom Kölner Spezialistenlabel Bildstörung kuratierten Blu-Ray. Das Szenario orientiert sich an einem alten Horrorstandard: einer Stadt, mit deren Bewohnern etwas gründlich nicht in Ordnung ist. Im Kurort Bad Marein, wo sich die nervenkranke Eve (Uschi Glas) einer Behandlung unterzieht, haben die Frauen ein Matriarchat errichtet. Die wenigen Männer des Ortes stehen unter ihrer Fuchtel, darunter ein saufender Kommissar und der grobschlächtige Gärtner der Klinik. Drei Playboys, die eine Autopanne an den Kurort verschlägt, bringen Unruhe in das Regime der Frauen – bis einer nach dem anderen verschwindet. Eves Verdacht wird bald zur Gewissheit: Die Frauen von Bad Marein verarbeiten die Männer zu Hack.

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Ein Horrorfilm ist Brynychs grelle, politisch schwer greifbare Zeitgeist-Satire dann aber doch nicht, was vor allem am sommerlichen Kurstadtflair und den psychedelischen Siebziger-Interieurs liegt – sowie an der spöttischen Art, mit der Brynych seinen Film in Szene setzt. Gleich ab der ersten, kreisrunden Fischaugen-Einstellung, gefilmt vom unbesungenen Charly Steinberger, deliriert „Die Weibchen“ von einer irrsinnigen Kapriole zur nächsten. Die wendige Kamera ist dabei ein Akteur eigenen Rechts: Sie scharwenzelt um die Figuren, umtaumelt sie, sucht stets neue, waghalsige Perspektiven. Einmal tollt sie mit den Frauen sogar über eine Wiese.

Diese tänzerisch-entgrenzte Ästhetik hat einen Hintersinn. An seinen Figuren interessiert Brynych nicht die Makellosigkeit, sondern das Vulgäre und Entgleisende, das Grobe und Exzessive. Seine Bilder exerzieren eine liebevolle Bloßstellung. Für Brynych sind Menschen wunderliche Wesen, deren Absurdität er mit Heiterkeit zur Kenntnis nimmt.

Fremdes Land Bundesrepublik

Vielleicht galt dieses amüsierte Befremden aber auch in erster Linie der alten Bundesrepublik. Als 1927 geborener Tscheche unter Deutschen hatte Brynych wohl gute Gründe, ihnen ähnlich skeptisch zu begegnen wie die schlafwandelnde Uschi Glas den Frauen von Bad Marein. Brynych, der zunächst im Dunstkreis der tschechischen Nouvelle Vague für Aufsehen sorgte, warf in seinen drei 1970 entstandenen Kinofilmen einen sehr speziellen Blick auf Nachkriegsdeutschland. Bei ihm wirkten die Deutschen immer ein wenig, als hätten sie alle Hände voll zu tun, ihren Triebhaushalt samt nervöser Ticks und Überschüssen im Zaum zu halten; sie schienen regelrecht in neurotischen Wiederholungszwängen zu stecken. Davon zeugten auch die gellenden, oft endlos wiederholten Schlagersongs, mit denen Brynych seine Arbeiten gerne rhythmisierte.

In seinen Regiearbeiten für „Der Kommissar“, „Derrick“ und „Der Alte“, an deren Formatbeschränkungen er sich mit surreal-widerborstigen Inszenierungsideen rieb, setzte er dieses Projekt fort – und hielt der Fernsehnation in ihren Wohnzimmern einen famosen Zerrspiegel vor: So unidealisiert verschwitzt, verkniffen bösartig, aber auch so vital und ekstatisch erblickte sich Deutschland im Werk keines zweiten Regisseurs.

Im Rückblick ist diese Durchlässigkeit – von der tschechischen Filmkunst über das deutsche Bahnhofskino bis zur Sozial-Vignette im Fernsehkrimi – mehr als erstaunlich. Sie gestattete im Schatten des Unterhaltungsbetriebs Raum für das subversive Werk eines heiteren Spötters wie Zbynek Brynych. Man darf gespannt sein, welche verblüffenden Schätze in den Faltenwürfen des deutschen Nachkriegskinos noch zu entdecken sind.

Die Weibchen (DVD/Blu-Ray bei Bildstörung)

Thomas Groh

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