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Kultur: Gebt uns Körper!

Fleisch & Faser: Junge israelische Bildhauerkunst im Georg-Kolbe-Museum.

Höchst ungewöhnlich, diese Anmutung eines Soldaten – nackt, nur mit Helm auf dem Kopf. So aber hatte Bildhauer Georg Kolbe sich das für sein Gefallenendenkmal gedacht: Ein Nackter gleitet aus den Armen eines Engels, das schwere Schwert ist bereits auf den Boden gesunken. „Der Herr Kriegsminister hat sich dahin geäußert, dass er den Entwurf als zu zeitlos ablehne und mit Rücksicht auf die Zweckbestimmung vielmehr eine Darstellung des deutschen Kriegers der Jetztzeit für geboten erachte“, schrieb man ihm 1918 von offizieller Seite. Die Nachricht war niederschmetternd für Georg Kolbe. Eine Uniform, die den Soldaten als gefallenen deutschen Matrosen auszeichnen würde, interessierte ihn nicht. Stattdessen die Anatomie eines gebogenen, schlaffen Leibes.

Umso kontrastreicher prallen nun zwei Ausstellungen im Georg-Kolbe-Museum aufeinander, im ehemaligen Wohn- und Atelierhaus des Künstlers in Charlottenburg. Zum einen wird da dessen Aufenthalt in Istanbul während des Ersten Weltkriegs zwischen 1917 und 1918 beleuchtet – ein Abschnitt in seiner Biografie, der bisher kaum bekannt war und von der Leiterin des Museums, Ursel Berger, sehr sorgfältig erforscht wurde. Kolbe war an den Musenhof des deutschen Botschafters gerufen worden, damit er von der Front verschont bleiben konnte. In jener Zeit schuf er allerhand Figürliches – neben Büsten von deutschen Militärs und Brunnenfiguren für Parkanlagen auch das beschriebene Ehrendenkmal für gefallene Matrosen, das schließlich doch so realisiert worden war, wie Kolbe es sich gewünscht hatte.

Zeitgleich widmet sich die Schau „Body without Body“ der zeitgenössischen Kunst aus Israel. Der Titel verrät bereits: Der Körper ist in den Arbeiten der zwölf Künstler nur noch Idee und Zitat. Abwesend. Da geht es nicht mehr um fehlende Uniformen. Fleisch, Kurven, Muskeln aus Stein und Bronze sind passé. Pathos, wie man ihm bei Kolbe noch begegnet, wird konsequent unterlaufen. Danny Yahav-Brown zum Beispiel hat ein angebissenes Täfelchen Schokolade an die Wand gehängt, die Zähne haben in einer Ecke einen Abdruck hinterlassen. Plastiken können eben auch mit anderen Körperteilen als mit den Händen entstehen.

Gil Yefman, er lebt in Tel Aviv, macht Strickkunst, riesige Figuren aus Tausenden von Maschen. Seine „Medusa“ ist ein abstraktes, von der Decke baumelndes groteskes Mischwesen, eine orientalische Qualle-Euter-Brüste-Plazenta mit Troddeln. Ariel Schlesinger, der einer der auserwählten Künstler in der „Based in Berlin“-Schau im Sommer war, hat sich für einen minimalistischen Ansatz entschieden: Zwei Neonleuchten liegen nebeneinander, die Röhren sind zueinander verbogen, wie Lippen oder wie die Taille eines überstreckten Körpers. Varda Getzow ist die Älteste der teilnehmenden Künstler, geboren 1953. Sie beschwört die Aura des Leibes mit getragener Kleidung herauf. Ähnlich wie bei Christian Boltanski ist auch hier der Geruch des Todes nicht fern, die Erinnerung an den Holocaust. Kleidung ist eine leere Hülle. Dieses Mal hat Getzow im Kolbe-Museum Damenstrumpfhosen zu einer Hügellandschaft aufgeschichtet.

Manche Arbeit dreht und wendet einfach nur den Gedanken über Figürlichkeit. Nicht so die Installation des 33-jährigen Amir Fattal. Auf einem Seziertisch ergießt sich eine fleischfarbene zerklüftete Hülle, die Reste einer Häutung. Es ist die wabbelige Silikon-Gussform eines figürlichen Stuckelements des Berliner Schlosses, die schon in großer Zahl für die zukünftige, historische Fassade reproduziert werden. Fattal krönt diese OP-Szenerie mit einer Leuchte aus Erichs Lampenladen aus dem Palast der Republik und verschränkt so die Zeiten und Bauwerke miteinander. In ihrer aseptischen Kühle ekelt die Installation den Betrachter an. Und sendet eine klare Botschaft: Fattal hält nicht viel vom Schlossaufbau, für ihn ist das ein Horrorszenario. Der UdK-Absolvent lebt, wie viele andere seiner Landsleute, denen Israel zu eng und New York zu teuer geworden ist, in Berlin.

Und so wird neben Werken, die die israelische Herkunft, Religion und Tradition thematisieren, auch hauptstädtisches Lokalkolorit geboten. Der Kurator Liav Mizrahi entgeht der Gefahr, Klischees über sein eigenes Land zu reproduzieren. Er setzt vor allem auf ein amüsantes Spiel mit Assoziationen. Das funktioniert. Wie sehr sich doch das Auge in alle möglichen abstrakten Formen einsieht! Wie sehr man als Betrachter den Zwang verspürt, überall Körper zu entdecken! Wir können offenbar nicht anders.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 19. Ferbuar; Di–So 10–18 Uhr.

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