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Klassik: Die Natur der Empfindungen

...und das Gebet der Klänge: Zum 150. Geburtstag von Claude Debussy. Der französische Komponist war über 30, als sein erstes Meisterwerk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ uraufgeführt wurde. An seiner einzigen vollendeten Oper „Pelléas et Mélisande“ arbeitete er über zehn Jahre; die tumultuöse Generalprobe 1902 machte ihn endgültig berühmt.

Die heutige 150. Wiederkehr von Claude Debussys Geburtstag geht dem großen Jubiläum Richard Wagners (1813 bis 1883) im nächsten Jahr voraus. Die Musik des vielleicht bedeutendsten französischen Komponisten ist oft als explizit antiwagnerianisch verstanden worden, auch von Debussy selbst. Dabei wurzelt die Abneigung in einer frühen Nähe und Identifizierung: Debussys Kindheit und Jugend fallen mit dem sich in Frankreich ausbreitenden Wagnerkult zusammen. Und in den späten 1880er Jahren besuchte der junge Franzose zweimal Bayreuth, wo ihn die Opern des Deutschen tief beeindruckten.

Debussy musste Richard Wagner aus seiner Musik förmlich exorzieren. So beginnt der letzte Satz der Klaviersuite „Children’s Corner“, „Golliwogs Cakewalk“ betitelt als beschwingter Ragtime, bis ein chromatischer Aufgang im Mittelteil unvermittelt zum Zitat des berühmten Tristan-Akkords führt und sich die meistumrätselte Tonkombination der Musikgeschichte spielend leicht in einen Dur-Akkord auflöst. Es ist eine der ergreifendsten, wirkungsvollsten Wagnerkritiken,die je formuliert worden sind: Debussy tritt dem Widersacher ohne jede Aggressivität entgegen. Was bei Wagner zum Motto für fünf Stunden Musik und zwei Liebestode wird, verkleinert sich hier zum kurzen Anfall kindlicher Schwermut.

Debussy hat nie bestritten, dass er Wagner auch bewunderte. Dessen Ausleuchtung menschlicher Innenwelten und die Emanzipation der Klangfarben haben bei ihm denn auch Spuren hinterlassen. Aber die deutsche Musikgeschichte, in der ein Gigant dem anderen auf die Füße tritt, muss ihm wie ein klaustrophobischer Ort vorgekommen sein. Während Wagner griechische Tragödie, Shakespeare-Drama und die Sinfonik Beethovens zur Einheit bringen wollte, wirken Debussys Vorbilder heterogen: ein Romantiker (Schumann), ein Operettenkomponist (Jacques Offenbach), ein russischer Autodidakt (Mussorgski), ein nach Paris entkommener polnischer Emigrant (Chopin), dazu orientalische und spanische Folklore sowie der frühe Jazz. Man versteht auch nicht so recht, wie sich darin eine spezifisch französische Tradition erkennen lassen sollte, die Debussy später beschwor. Sein Widerstand richtete sich gegen das deutsche Systemdenken und ein Komponieren, das sich als Lösung von „Problemen“ versteht, wie die musikalische Tradition sie mit sich brachte. Folgerichtig hat Debussy den „Fall Wagner“ so zusammengefasst: Wagners Musik stelle eine „Abenddämmerung“ dar, die mit einem „Sonnenaufgang“ verwechselt wurde.

Claude Achille Debussy wurde am 22. August 1862 in eine kleinbürgerliche, wenig musische Familie hineingeboren. Der Vater war ein relativ erfolgloser Geschäftsmann, die Mutter soll herrschsüchtig und lieblos gewesen sein. Auf mehr Verständnis für sein künstlerisches Talent stieß er bei seinen Paten, einem Bankier und der Schwester seines Vaters. Dank deren Protektion konnte er schon ab dem zehnten Lebensjahr das Pariser Conservatoire besuchen. Die Hoffnung auf eine Karriere als Klaviervirtuose erfüllte sich jedoch nicht, so dass er früh die Komponistenlaufbahn anstrebte.

Den Akademismus in der Musik hat Debussy gerne auf die deutsche Tradition projiziert, auch wenn ihn in seinem Heimatland kennen und hassen lernte. Zwar gewann er den Prix de Rome bereits mit 22 Jahren, litt aber so stark unter den starren Vorgaben aus Paris, dass er den auf drei Jahre angelegten Aufenthalt in der italienischen Hauptstadt abbrach und nach Frankreich zurückkehrte, wo er fortan zurückgezogen lebte. Bizarr erscheint angesichts eines insgesamt nicht sehr spektakulären Lebens, dass sich im Abstand einiger Jahre ein dramatisches Ereignis fast identisch wiederholte: Sowohl Debussys langjährige Geliebte Gaby Dupont als auch seine erste Ehefrau Lily versuchten, sich mit einer Pistole das Leben zu nehmen, als sie neuen Liebesverhältnissen des Komponisten auf die Schliche gekommen waren. Der zweiten Episode folgte der Bruch mit nahezu allen engen Freunden, so dass Debussy die letzten Jahre vereinsamt, aber als glücklicher später Vater seiner Tochter Emma verbrachte.

Debussy war über 30, als sein erstes Meisterwerk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ uraufgeführt wurde. An seiner einzigen vollendeten Oper „Pelléas et Mélisande“ arbeitete er über zehn Jahre; die tumultuöse Generalprobe 1902 machte ihn endgültig berühmt. Die Oper teilt einige Handlungselemente mit Wagners „Tristan“, auch eine Variante der Leitmotivtechnik. Aber Welten trennen Debussys Oper von der für Wagner charakteristischen Dramaturgie von Anspannung und Entladung und seiner Harmonik, für die Schönberg die Formel vom „Triebleben der Klänge“ prägte. Bei Debussy ziehen Impressionen vorüber, die Figuren stehen ihren eigenen Empfindungen staunend gegenüber, als seien es Naturereignisse.

Viele Zeitgenossen nahmen Debussy als elitär wahr. Seine Ästhetik aber zielt auf ein schwaches Ich, seine Verehrung der Natur trägt religiöse Züge. Sie könnte bei einem Komponisten überraschen, der lange als Personifikation eines hochgezüchteten Geschmacks galt. Aber das Kultivierte und das Naturhafte liegen bei Debussy so dicht beieinander wie bei Schubert der Volkston und der allerindividuellste Ausdruck. Vermutlich hätte Debussy die starre Antithese von Natur und Kultur barbarisch gefunden.

Im Alter hat sich Claude de France doch noch zu nationalistischen Äußerungen verleiten lassen, mit denen er sich dem Frankreich-Hass Wagners fast ebenbürtig erwies. Seine Musik weiß von solchen Ressentiments nichts. Und für die Musikgeschichte sollte sich die die stille Revolution des Franzosen als ebenso folgenreich erwiesen wie diejenige Wagners.

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