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Irakische Soldaten sammeln sich kurz vor Mossul.

© AFP / Ahmad Al-Rubaye

Sturm auf Mossul: Wendepunkt im Kampf gegen den "Islamischen Staat" im Irak

Der Sturm auf die letzte Hochburg des IS im Irak hat begonnen. Es ist die größte Militäroperation gegen das „Kalifat“. Wird der IS jetzt besiegt?

Eine internationale Koalition, angeführt von der irakischen Armee, kämpft gegen die Dschihadisten vom „Islamischen Staats“ (IS). Der irakische Premier Haider al Abadi gab sich am Montag zuversichtlich, dass die Offensive erfolgreich sein werde: „Heute erkläre ich den Beginn dieser siegreichen Operation, um euch von der Gewalt und dem Terror zu befreien.“

Welche Bedeutung hat die Schlacht für die Region und den Kampf gegen den IS?

Die Bedeutung ist immens. Sowohl auf militärischer als auch auf symbolischer Ebene. Mossul ist die letzte Bastion der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak. Schon seit Monaten befindet sich der IS im Irak militärisch auf dem Rückzug. Sollte er erfolgreich aus Mossul vertrieben werden, wäre das vermutlich das Ende vom IS im Irak – zumindest in seiner bisherigen Form. Allerdings kontrolliert der IS in Syrien noch immer große Territorien. Mossul war der Ort, an dem Abu Bakr al Bagdadi vor gut zwei Jahren den „Islamischen Staat“ ausrief und sich selbst zum Kalifen ernannte. Die Vorstellung von einer Wiedergeburt des Kalifats trug entscheidend zur Popularität der Dschihadisten bei. Müssten die Extremisten Mossul aufgeben, wäre das nicht nur eine militärische Niederlage, sondern auch ein gigantischer Riss im Bild, dass die Dschihadisten vom IS gerne zeichnen: mit Gottes Hilfe unbesiegbar.

Wer kämpft in Mossul gegen den IS?

Die Operation wird von der irakischen Armee und der Polizei angeführt. An vorderster Front sollen Spezialeinheiten eingesetzt werden, die von den USA ausgebildet wurden und schon gegen den IS gekämpft haben. Unterstützung erhalten die staatlichen Kräfte vor allem von den Peschmerga. Die Kämpfer der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak kontrollieren große Teile des Umlands von Mossul. Sie sollen die Operation unterstützen, aber nicht in die Stadt selbst einrücken. Auch die von den USA geführte internationale Koalition ist mit Luftangriffen an der Schlacht beteiligt. Darüber hinaus nehmen auch Mitglieder sunnitischer Milizen und lokaler Stammesverbände an der Seite der Armee am Sturm auf Mossul teil. Insgesamt sollen geschätzt 3000 bis 4500 Islamisten rund 30 000 Kämpfern gegenüberstehen.

Allerdings zeichnen sich bereits die ersten Konflikte in der Anti-IS-Koalition ab: Am Montag verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan: „Wir werden bei der Operation dabei sein, wir werden am Tisch sitzen, es ist nicht möglich, dass wir außen vor bleiben.“ Doch der Irak lehnt das Engagement der Türkei strikt ab. Und auch Masud Barsani, der Präsident der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, erklärte am Montag: „Niemand kann an der Operation teilnehmen ohne die Genehmigung des irakischen Kommandostabs.“ Sollte die Türkei ernst machen, könnte der Angriff im Chaos enden. Denn auch Einheiten der militanten türkisch-kurdischen PKK stehen bereit, um in Mossul zu kämpfen. Das sagte ihr Anführer Murat Karayilan bereits am Wochenende. Damit gefährdet der türkisch-kurdische Konflikt die gesamte Operation in Mossul.

Außerdem ist noch nicht klar, wie die Bevölkerung auf die Eroberung reagiert. Experten warnen insbesondere davor, dass auch schiitische Milizen in Mossul einrücken. Mossul ist die zweitgrößte Stadt des Landes und wird hauptsächlich von Sunniten bewohnt. Sollten die Schiiten tatsächlich als Eroberer in Mossul auftreten, könnten die Befreier schnell als Besatzer wahrgenommen werden.

Wie wird sich der „Islamische Staat“ verteidigen?

Mit aller Kraft und allen Mitteln. Berichten aus Mossul zufolge haben sich die „Gotteskrieger“ regelrecht verschanzt, tiefe Gräben ausgehoben und zum Teil mit Öl gefüllt, um sie bei einem Angriff in Brand zu setzen. Auch soll es ein weitverzweigtes Tunnelsystem geben, das die Kämpfer zum Schutz und für Attacken aus dem Hinterhalt nutzen könnten. Als besonders gefährlich gelten die Sprengfallen. Ganze Straßenzüge und zahlreiche Gebäude sind vermutlich mit kleinen Bomben präpariert worden. Damit will man den Befreiern im bevorstehenden Häuserkampf große Verluste beibringen. Und auch das gehört zum perfiden Vorgehen der Fanatiker – sie missbrauchen Zivilisten gerne als menschliche Schutzschilde. Aber offenbar sind nicht alle IS-Mitglieder bereit, sich zu opfern. Immer wieder ist zu hören, dass Dschihadisten daran gehindert werden, aus Mossul zu fliehen.

Was passiert mit der Bevölkerung in Mossul?

In der wirtschaftlich und strategisch wichtigen Stadt leben noch schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen. Unter ihnen Christen, Kurden, Turkmenen und Jesiden. Die große Mehrheit bilden jedoch sunnitische Araber. Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass die Schlacht eine Massenflucht auslösen wird. Bis zu 700 000, vielleicht sogar eine Million Zivilisten könnten versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Und alle würden dringend auf Unterstützung angewiesen sein. Doch die Helfer warnen seit Langem, dass man auf einen derartigen Ansturm nicht vorbereitet ist. Die zentrale Frage lautet: Wohin mit den vielen Menschen? Denn es gibt bisher zu wenige Notaufnahmelager, und die wenigen sind schon jetzt völlig überlastet. Es mangelt an Unterkünften, Lebensmitteln, Trinkwasser und Medikamenten. In wenigen Wochen beginnt der Winter mit Regen, Schnee und eisigen Temperaturen.

Doch das UN-Flüchtlingshilfswerk hat nicht genügend Geld, um die Frauen, Kinder und Männer in der Region zu versorgen. 180 Millionen Euro werden benötigt, nur ein Drittel der Summe steht zur Verfügung. Und noch etwas bereitet den Helfern große Sorgen. Viele Menschen könnten auf der Flucht aus Mossul verletzt oder gar getötet werden. Denn es fehlen sichere Routen aus der Stadt. „Wir werden Menschen sehen, die in der Schusslinie festsitzen“, heißt es zum Beispiel beim Norwegian Refugee Council. Und dann ist da noch die Kontrolle der Flüchtenden. Berichten zufolge hat die irakische Regierung fünf Zonen ausgewiesen, in denen Männer und Jungen über 13 Jahre auf IS-Zugehörigkeit überprüft werden sollen. Die Hilfsorganisation Oxfam befürchtet, dass dadurch der Zugang zu sicheren Auffanglagern verzögert wird. Viele Menschen könnten gezwungen sein, längere Zeit ungeschützt in Kampfgebieten zu kampieren. Sollte es zu der erwarteten Massenflucht in Mossul kommen, würde damit das Heer der Heimatlosen nochmals anwachsen. Mehr als vier Millionen Iraker sind bereits heute Vertriebene im eigenen Land.

Was kommt nach der Rückeroberung Mossuls?

Die Zukunft Mossuls ist ungewiss. Aber vieles entscheidet sich in den kommenden Stunden und Tagen. Die Hoffnung ist, dass die Anti-IS-Koalition die Stadt schnell erobern kann. In dem Fall würde die Zentralregierung in Bagdad wieder die Macht übernehmen. Aber die Befürchtung ist: Je länger die Kämpfe dauern und je mehr Fraktionen sich daran beteiligen, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Eroberung der Stadt interne Machtkämpfe die Koalition zerreißen. Und so bedeutet selbst ein Sieg in Mossul nicht, dass Sicherheit und Stabilität in der Region zurückkehren.

Denn Mossul ist der Brennpunkt, in dem sich alle Konflikte der Region treffen. Russen und Amerikaner treffen aufeinander, Kurden und Türken, Sunniten und Schiiten, syrische Kurden und irakische Kurden, Iran und die Golfstaaten. Selbst Israel hat Interessen und Allianzen, die bis nach Mossul reichen. Noch sind alle Fraktionen im Kampf gegen den IS geeint. Aber sobald dieser erst militärisch besiegt ist, stellt sich die Frage nach der Zukunft des Landes und nach der Neuordnung der Region. Und es ist unwahrscheinlich, dass dieser Prozess friedlich ablaufen wird.

Ist das das Ende vom IS?

Das könnte das Ende vom IS als Staatsexperiment sein. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass die Terrormiliz als Ganzes am Ende ist. Noch kontrolliert der IS große Gebiete in Syrien. Und auch im Irak erfreue sich der IS in weiten Teilen der Bevölkerung großer Beliebtheit, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sowohl in Syrien als auch im Irak begünstige die derzeitige politische Situation die Aktivitäten des IS. Chaos, Instabilität und ein Machtvakuum sind der Nährboden der Dschihadisten. „Ich gehe davon aus, dass noch am ersten Tag nach der Eroberung von Mossul eine Welle von Anschlägen im Irak beginnt“, sagt Steinberg.

Viele Beobachter glauben zudem, dass der IS sich zukünftig stärker auf Anschläge in Europa konzentrieren werde. Das sei grundsätzlich nicht falsch, sagt Steinberg, aber erstens habe der IS die Entscheidung, Angriffe in Europa durchzuführen, schon lange vor Beginn der westlichen Luftschläge gefällt. Und zweitens sinke mit Verlust von sicherem Territorium die Kapazität zur Ausbildung von Kämpfern. Anschläge wie in Paris werden dadurch unwahrscheinlicher. Dafür steige das Risiko von kleineren Anschlägen. Es sei nie zu erwarten gewesen, dass der IS langfristig Territorium halten könnte, sagt Steinberg. Und dennoch: Trotz aller Einschränkung wäre ein Sieg über den IS in Mossul ein gewaltiger Schritt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach am Montag von einem „Wendepunkt“.

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