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Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Trainer Tayfun Korkut scheint klar geworden zu sein, wie schwer seine Mission bei Bayer Leverkusen werden könnte.

© Marius Becker/dpa

Bayer Leverkusen bei Atletico Madrid: Große Reise ohne Kompass

Bayer Leverkusen wirkt vor dem Champions-League-Rückspiel bei Atletico Madrid trotz des Trainerwechsels orientierungslos.

Eine sportliche Krise ist immer dann bestens zu erkennen, wenn sich die Beteiligten in Durchhalteparolen retten. Bayer Leverkusen ist derzeit so ein Fall. Die Schmerzen einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt sind auch nicht viel unangenehmer als die jüngsten Auftritte der Werkself auf dem Platz. „Wir müssen das Gute mitnehmen und das Schlechte verbessern“, fabulierte zuletzt etwa Verteidiger Ömer Toprak.

Dass sich die Leverkusener am Mittwochabend (20.45 Uhr/ZDF) ausgerechnet im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Atletico Madrid beweisen müssen, kommt ihnen deshalb auch äußerst ungelegen. Zumal das Hinspiel zu Hause mit 2:4 verloren ging und es im Stadion Vicente Calderon eines mittleren Fußballwunders bedarf, damit es die Leverkusener noch in die nächste Runde schaffen. „Die Ausgangslage ist schwierig, aber wir haben im Fußball schon viel erlebt“, sagt Sportdirektor Rudi Völler.

Mitten drin in dieser kollektiven Schmerzerfahrung ist neuerdings auch Tayfun Korkut. Der 42-Jährige war vor gut einer Woche überraschend als Nachfolger des beurlaubten Trainers Roger Schmidt vorgestellt worden und soll dem gesamten Klub nun möglichst schnell wieder ein Wohlfühl-Programm verschreiben. „Wir arbeiten daran, dass Bayer 04 seine Ziele erreichen wird“, hatte Korkut spontan verkündet. Vor ein paar Tagen war er wohl noch davon ausgegangen, dass er die zuletzt verschütteten Qualitäten der hochtalentierten Spieler wie Julian Brandt, Karim Bellarabi oder auch Kai Havertz nur wieder freilegen müsste. Mit „Ehrlichkeit, Authentizität und Nähe“ wollte der Trainer seine Aufgabe angehen.

Jetzt, gut eine Woche später, dürfte der Deutsch-Türke, der mit Hannover 96 und dem 1. FC Kaiserslautern überhaupt erst zwei Trainerstationen hinter sich gebracht hat, nicht nur ahnen, dass seine Aufgabe komplexer sein wird, als ursprünglich angenommen. Sein erstes Spiel, das enttäuschende 1:1 gegen Werder Bremen in der Bundesliga, machte deutlich, wie groß die Orientierungslosigkeit seines Teams derzeit ist. Allein neue Motivationsmethoden werden dafür jedenfalls nicht ausreichen. „Wir werden den Kopf hochheben und weiterarbeiten“, sagte Korkut desillusioniert.

Es liegt viel im Argen bei der Werkself

Der Kompass auf dem Spielfeld war den Spielern unter Schmidt abhanden gekommen. Dessen radikales Pressing, das er in seinen ersten beiden Jahren bei Bayer kompromisslos praktizieren ließ, verwässerte zunehmend. Die Spieler wussten zuletzt nicht mehr, ob sie weiterhin attackieren oder doch lieber abwartend agieren sollen, was zu einer großen Anfälligkeit in der Defensive führte. Korkut hatte mit einer seiner ersten Anweisungen deshalb auch gleich versucht, die Zeiten der Balljagd zu verkürzen und seinen Profis mehr Ballkontrolle zu verordnen. Dadurch sollte sich die Abwehr gegen die Bremer stabilisieren – was die kollektive Konfusion offenbar nur noch vergrößerte.

Korkut bewegte sich an der Außenlinie mehr als mancher Profi auf dem Spielfeld. Seine rotierenden Arme und seine emotional vorgetragenen Korrekturen während der 90 Minuten wirkten wie der äußerst mühsame Versuch einer erzwungenen Annäherung. „Wir werden eine Struktur aufbauen, in der sich alle Spieler wohlfühlen und mutig sein dürfen“, sagte Korkut vor der Partie in Madrid. Offenbar benötigt das Leverkusener Team einen völlig neuen Leitfaden, an dem es sich orientieren kann.

Es liegt viel im Argen bei der Werkself. Umso schwieriger wird es für den Trainer sein, einen Neuaufbau zu gestalten und gleichzeitig gute Ergebnisse zu erzielen. Dass auch noch die Stammverteidiger Toprak (Bänderriss), Benjamin Henrichs (Gelbsperre) und auch Jonathan Tah ausfallen, lässt die Hoffnungen auf ein Fußballwunder nicht gerade wachsen. Vielmehr erhoffen sich die Leverkusener, dass sie ein neuerliches Debakel gegen Atletico verhindern und sich neue Schmerzen ersparen zu können.

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