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Unten ist die Zielscheibe. Die olympischen Ringe prangen überdimensional über dem Sambodromo.

© REUTERS

Olympia 2016 in Rio: Bogenschießen in der Karnevalszone

Bei Olympia ist Bogenschießen kein Publikumsmagnet. Dabei ist die Sportstätte in Rio, das Sambodromo, eine beeindruckende Location.

Der Weg in den Sherwood Forest von Brasilien führt über die bekannteste Tanzmeile der Welt. Über den Karneval von Rio, der hier Jahr für Jahr durchgefeiert wird, verfolgt von knapp 100  000 Partygästen auf den Tribünen und Millionen von Zuschauern vor den Fernsehgeräten. Im Sambodromo herrscht dann der geplante Ausnahmezustand, was schon ein erheblicher Kontrast ist zum olympischen Turnier der Bogenschützen. Robin Hoods Nachfahren lassen es ein wenig ruhiger angehen. Um die 500 Zuschauer verirren sich zu den Vorausscheidungen, und weil das die Kapazitäten nicht ganz auslastet, haben die Organisatoren nur das letzte Drittel abgezwackt. Zwei von zwölf Tribünengebäuden, deren Beton nach 30 Jahren auch schon ein wenig bröselt.

Das Sambodromo liegt unweit der Praça Onçe im Zentrum von Rio. Links und rechts klettern Favelas die Hügel hinauf, aber schon der Anmarsch ist den Besuch wert. Vorbei an den steil aufragenden Tribünen, auf denen sonst die meist brasilianischen Zuschauer tanzen und singen, als wären sie Teil des Karnevals, und wer von ihnen hat nicht schon mal davon geträumt, aus diesem Anlass durch das Sambodromo zu ziehen.

„Ist schon eine coole Location“, sagt Florian Floto, „aber glauben Sie mal nicht, dass wir dafür beim Wettkampf ein Auge haben. Da siehst du nur die Zielscheibe und kämpfst mit deinen Nerven, dass du den nächsten Pfeil richtig setzt.“ Florian Floto, 28, ist ein Baum von einem Kerl, 188 Zentimeter lang, mit breitem Kreuz, und man kann sich eigentlich schwer vorstellen, dass er irgendwann mal mit seinen Nerven kämpfen muss.

Der Braunschweiger Florian Floto geht einem sensiblen Handwerk nach.
Der Braunschweiger Florian Floto geht einem sensiblen Handwerk nach.

© REUTERS

Aber Bogenschießen ist ein sensibles Unterfangen, ein auf Millimeter austariertes Präzisionshandwerk, bei dem ein für eine Zehntelsekunde nicht exakt ausgestreckter Arm den Schützen ins Verderben führen kann. Gute Nerven sind alles, und in Rio müssen sie noch ein bisschen mehr aushalten als sonst.

Links vom Sambodromo ertastet sich die Autobahn auf Stelzen ihren Weg zum Flughafen, oben knattern die Rotoren eines Hubschraubers, von dem keiner so genau weiß, ob der Pilot nun zur Terrorabwehr patrouilliert oder nur einen besonders schönen Blick auf den Wettbewerb haben will. Das Sambodromo ist ein Werk von Oscar Niemeyer, dem brasilianischen Jahrhundert-Architekten, dessen Genie niemand ernsthaft anzweifelt, aber seine Werke sprechen auch nicht jeden an.

Niemeyer hat sich frühzeitig auf Stahl und Beton als seligmachende Baustoffe festgelegt. Das ist konsequent, aber schon die von ihm konzipierte brasilianische Planhauptstadt Brasília findet nicht überall Bewunderer, das Niemeyer-Haus im Hansa-Viertel von Berlin würde heute wahrscheinlich nicht mehr so gebaut. Das Sambodromo mit seiner schlichten und bröckelnden Fassade wird nicht zu seinen gelungensten Werken gerechnet.

Ein enervierendes Plop-Plop-Plop durchdringt das Sambodromo

Aber es erfüllt seinen Zweck. Beim Karneval im März und September, und auch beim olympischen Bogenschießen veranstalten die brasilianischen Zuschauer einen Lärm, wie er beim Bogenschießen wohl nur in Rio vorstellbar ist. Besonders laut wird es, wenn ein brasilianischer Schütze auftritt. Zum Beispiel Daniel Xavier, ein hoch aufgeschossener Schlacks mit schwarzem Basecap, an seiner linken Hand baumelt ein Freundschaftsband so tief hinab, dass man Angst hat, es könnte sich in der Sehne seines Bogens verfangen.

Daniel Xavier schlägt sich ganz anständig, aber er hat das Pech, dass es gegen einen Südkoreaner geht, der seelenruhig eine Zehn nach der anderen schießt, was wiederum die südkoreanische Kolonie dazu animiert, ihre aus Plastik gefertigte Antwort auf die deutsche Klatschpappe zu malträtieren. Ein enervierendes Plop-Plop-Plop durchdringt das Sambodromo.

Seit Robin Hoods Zeiten hat sich einiges geändert

Es treten immer zwei Schützen gegeneinander an. Wie früher im Sherwood Forest tragen sie ihre Pfeile in einem Köcher, er schwingt sich aber nicht über die Schulter, sondern baumelt lässig über der Hüfte. Auch sonst hat sich einiges geändert seit Robin Hoods Zeiten. Die Bögen der Neuzeit sind keine geschnitzten Weidenruten, sondern technologisch hoch entwickelte Sportgeräte aus laminierten Glas- und Kohlenstofffasern. Aber wie in alten Abenteuerfilmen ziehen die Schützen die Sehne beim Anspannen zurück ins Gesicht, an einen Punkt irgendwo zwischen Nase und Mund, den jeder für sich selbst definiert. Dann schnappt die Sehne und die Pfeile schwirren los auf ihrem 70 Meter langen Weg, niemand auf den Tribünen des Sambodromo kann sie sehen, aber dann blendet die Kamera auf die Zielscheibe und der Conferencier ruft in sein Mikrofon: „Zehn!“ „Neun!“ Oder, eher selten, „Acht!“, es ist schließlich die Weltelite am Start.

Direkt über den Zielscheiben hängen die überdimensionalen olympischen Ringe, und es wäre mal lustig, wenn sich doch mal ein Pfeil dorthin verirren würde. Schade eigentlich, dass alle Schützen dieser Versuchung widerstehen. Aber es ist ja noch ein bisschen Zeit bis zum Finale am Freitag.

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