Porträt Günter Beier: Ein Leben voller Geschichten

Der Krefelder blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Der 89-Jährige ist in viele Länder gereist, er war passionierter Bergsteiger — und am Bau der letzten V2-Raketen beteiligt.

Krefeld. Das Leben schreibt die besten Geschichten, heißt es: Stoff für einen dicken Schmöker oder gleich mehrere Blockbuster liefert die Lebensgeschichte von Günter Beier. Wenn einer eine Reise tut, dann hat er viel zu erzählen. Und wenn einer 60 Länder auf fünf Kontinenten bereist hat, wie der 89-jährige Günter Beier, dann gehen die Geschichten nie aus. 8000 Dias, 10 999 Papierbilder und 16 000 Digital-Fotos kamen in den Jahren zusammen. Und als wenn das nicht genug wäre, kann sich der passionierte Bergsteiger auch noch 89 Bergbesteigungen in sechs Ländern auf die Fahne schreiben. Darunter etliche Viertausender und selbstverständlich sein persönliches „Kraxel“-Highlight: die Erklimmung des Mont Blanc.

Und so empfangen den Besucher beim Eintreten in Beiers Einfamilienhaus in Fischeln neben beeindruckenden Reisemitbringseln wie einer Kamelglockenkette aus dem Iran, auch Wände voller atemberaubender Schnappschüsse. Sie zeigen einen braun gebrannten Naturburschen, der sich mit Skiern durch die „weiße Hölle“, bis auf den Gipfel des Mont Blanc und das Piz Palü, kämpft. Das war Anfang der 60er Jahre. „Ich habe als Kind den Stummfilm ‚Die weiße Hölle vom Piz Palü’ gesehen und dachte: Das will ich auch mal sehen“, erzählt Beier.

Mit sieben Jahren bekommt er seine ersten Skier und düst damit zunächst im Eulengebirge in Niederschlesien und im Riesengebirge herum. Als Günter Beier zehn Jahre alt ist, zollt das NS-Regime seinen Tribut. Die Hitlerjugend nimmt ihn in ihre Fänge. „Keiner zwischen zehn und 18 blieb verschont“, sagt Beier. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist er elf. Sein großer Traum — das Segelfliegen — wird dennoch wahr, und das, obwohl der Jugendliche nicht das erforderliche Mindestgewicht von 45 Kilogramm mitbringt.

Kein wirkliches Hindernis für ihn. „Ich habe mir Blei besorgt und dieses in die Taschen der Knickerbocker meines Vaters gestopft“, erinnert sich Beier schmunzelnd. Mit großer Detailgenauigkeit erzählt er aber auch von traumatischen Erlebnissen, die sich heute kaum jemand vorstellen kann: Wie er als 16-Jähriger als Jugendführer an der Grenze zu Polen Panzer- und Schützengräben baute, die ganze Nacht durchmarschierte und irgendwann Anfang 1945 als 17-Jähriger in einem Gefangenenlager im Sudetenland landete.

„Nach der Entlassung sind wir herummarschiert und bis Schlesien gekommen. Auf einmal steht da eine polnische Militärstreife vor uns mit durchgeladenen Gewehren. Was man in so einem Moment empfindet, kann sich keiner vorstellen, der das nicht erlebt hat,“ sagt Günter Beier. Im Herbst 1945 ist Beier einmal mehr dabei, als Geschichte geschrieben wird: In einem Kalischacht wirkt er als Hilfselektriker an der Fertigung der letzten V2-Raketen mit. Beier erinnert sich: „Wir fragten in einem russischen Werk in Kleinbodungen um Arbeit. Dort wurden in einer unterirdischen Fabrik, die durch Häftlinge eines Konzentrationslagers gebaut worden war, die V1- und V2-Raketen sowie Düsenjäger gebaut.“

Beier sagt zu seiner damaligen Aufgabe: „Wir haben den Geräteraum in der Raketenspitze, wo die ganze Steuerung untergebracht war, montiert und an die 14 Meter hohe Rakete angeschlossen. Als 50 Raketen fertig waren, haben die Russen ein Fest gegeben.“ Später absolviert Günter Beier, der vor dem Krieg eine kaufmännische Ausbildung begann, im thüringischen Ilmenau ein Ingenieurs-Studium, Fachrichtung Elektro-Hochfrequenz und arbeitet im Funkwerk Erfurt. „Als ich von der Stasi angeworben werden sollte, bin ich aus der DDR abgehauen“, erzählt Beier.

Auf seinen vielen Reisen hat er sich besonders in Brasilien verliebt

1969 lässt sich Beier, der drei Söhne und drei Enkelkinder hat, mit seiner Familie in Krefeld nieder und bereist weiter die Welt. Noch vor zwei Jahren war der Senior, der bis zu seinem 84. Lebensjahr Ski in über 79 Ski-Gebieten gefahren ist, in Indien.

Das Lieblingsreiseziel des Globetrotters: Rio de Janeiro. „Vom 20. Stockwerk unseres Hotels hatte man einen sagenhaften Blick über die Copacabana“, schwärmt er.

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