Che Guevara selbst hätte seine Fans als "hasenfüßige Individualisten" beschimpft. So nannte er einmal alle, die sich "gemäßigt" politisch engagieren, statt sich wie er mit dem Maschinengewehr in die Schlacht zu stürzen. Mit seinen jungen Bewunderern hatte Guevara nichts gemeinsam, seine Vorstellung eines gelungenen Staates war Kim Il-Sungs totalitäres Nordkorea, und nicht Rot-Rot-Grün im Bundestag.

Trotzdem wurde der Kämpfer mit den hohen Wangenknochen erst zum Idol der 68er-Bewegung und später zur linken Popikone: Heute wird Che auf T-Shirts und Poster gedruckt, auf die Haut von Madonna tätowiert, auf Hauswände gesprüht und er blickte bereits als Bikini-Che von Gisele Bündchens Brüsten.

Aber wie wurde Che Guevara vom Revolutionär zum Modeaccessoire? Und warum hält seine Berühmtheit bis heute, 50 Jahre nach seinem Tod? Wissen seine Fans überhaupt, wer ihr Idol wirklich war?

"Wir waren damals alle in Che verliebt"

Juan Guevara, Ches jüngerer Bruder, will es an einem Dienstagabend Anfang Mai in Berlin bei einer Lesung erzählen. Jahrelang schwieg er, nun hat er eine Biografie über ihn geschrieben: Mein Bruder Che. Das Publikum der Lesung hat seine revolutionäre Phase aber bereits 1968 abgehakt: Die meisten sind im Rentenalter und sehen mehr nach Bausparvertrag als Antifa aus. Aber der Eindruck täuscht. "Wir waren damals ja alle in Che verliebt", erzählt eine blonde Dame mit Bob-Haarschnitt, die im Foyer wartet. Sie stellt sich als Ute vor. Hier ist man sofort beim Du, das ist geblieben aus der wilden Zeit. "Che war der Held unserer Studienzeit. Ich vermute, er war der erste Schwarm aller Mädchen."

"Nicht nur aller Mädchen", mischt sich Hank ein, ein weiterer Lesungsbesucher, der zufällig mitgehört hat. Auch für ihn war Che Guevara ein Jugendidol. Er fing 1968 mit 18 in den Niederlanden an zu studieren: Er zog nach Amsterdam, sobald er die Chance dazu hatte, bloß weg vom Elternhaus, schloss sich an der Uni dem Vietnam-Komitee an, besuchte die Friedensproteste in Paris und verbrachte mehr Zeit mit Reisen, Diskutieren und Protestieren als mit seinem Psychologiestudium. Wie man sich für einen studentischen Revolutionär und 68er eben vorstellt. Ein großes Vorbild: Che Guevara. "Wir wollten alle sein wie er. Wer seine Tagebücher nicht gelesen hatte, gehörte damals nicht dazu", sagt er. "Eigentlich gefiel uns vor allem das schöne Plakat. Wer Che Guevara war und was in Kuba passierte, hat uns erst später interessiert. Für uns war er vor allem ein abstraktes Symbol. Che stand für Freiheit."

Heute Abend ist er zur Lesung gekommen, um den Bruder seines Jugendidols zu hören. Juan Guevara passt mit seinem sympathisch-harmlosen Aussehen optisch gut zu seinem Publikum: Lachfalten, Schnauzer und eine dezente Brille. Seinem älteren Bruder sieht er erst auf den zweiten Blick ähnlich, und auch dann nur ein bisschen.

"Che hätte darauf gespuckt, zum Idol zu werden."
Juan Guavara

Juan Guevara will, dass aus der Ikone wieder ein Mensch wird, dass Che wieder zu Ernesto wird, beziehungsweise zu "Ernestito", wie sein Spitzname in der Familie lautete. Im ersten Kapitel seines Buchs schreibt er: "Ernesto war ein Mensch. Man muss ihn von diesem Podest herunterholen, muss diese zur Bronzestatue erstarrte Figur wieder mit Leben füllen, damit seine Botschaft lebendig bleibt. Che hätte darauf gespuckt, zum Idol zu werden."

Um gegen den Mythos zu arbeiten, erzählt Juan Guevara Details aus dem Familienleben der Guevaras: Ernesto, der Älteste von vier Kindern und ein Mamakind, verschlang Bücher und kritzelte sie mit Randnotizen voll, als führe er eine Unterhaltung mit dem Autor. Manchmal nahm er sie stundenlang mit aufs Klo. Wenn jemand wütend an der Klotür hämmerte, begann er, laut aus dem Buch zu zitieren. Die Kinder spielten oft ein Spiel, bei dem gewinnt, wer sich am längsten an einem Ast festhalten und baumeln lassen kann. Fast immer gewann Ernesto.

Doch so sehr Juan Guevara den Kult um "Che" verabscheut, kann er sich der Bewunderung doch nicht entziehen. Auch er stellt seinen Bruder auf ein Podest und erzählt nur Geschichten, in denen Che der Held ist. Dabei würden viele andere mit Che Guevara eher die Rolle des Bösewichts besetzen. Wer sein Porträt auf der Brust trägt, muss sich auf wütende Blicke und die Frage gefasst machen: "Weißt du eigentlich, dass du da einen Massenmörder verherrlichst?"