Nachdem ich heute meinen Computer hochgefahren und meinen Musikplayer geöffnet habe, hätte ich eigentlich eine Trauerfeier ausrichten müssen. Denn MP3, so stand es in den vergangenen Tagen an vielen Stellen im Netz, ist gestorben. Das Format werde "begraben", es sei das "Ende einer Ära", das "Ende einer deutschen Erfolgsgeschichte". MP3 – beendet, terminiert, verlassen, offiziell tot. Das sind alles Formulierungen aus Medienberichten. Aber stimmen sie überhaupt?

Anruf bei einem, der es wissen muss: Karlheinz Brandenburg ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie (IDMT). Ende der achtziger Jahre hatte er mit deutschen und amerikanischen Kollegen an einem Verfahren zur Kompression von Audiodaten gearbeitet. Das Ziel: möglichst hohe Audioqualität bei geringer Datenmenge zu erzeugen. Der Trick: Nur die für das menschliche Ohr gut hörbaren Frequenzen wurden betont, andere abgeschnitten, sodass sie keinen unnötigen Speicherplatz wegnehmen. 1995 bekam das sogenannte MPEG-1 Audio Layer III die Dateiendung .mp3 zugeteilt – MP3 war geboren.

Jetzt, 22 Jahre später, soll das Format tot sein. "Da haben Leute nicht verstanden, was eigentlich passiert ist", sagt Brandenburg im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Als er in den vergangenen Tagen so manche Schlagzeilen im Internet las, sei er schon reichlich irritiert gewesen. Denn MP3 ist seiner Meinung nach noch lange nicht am Ende. Sondern, ganz im Gegenteil, künftig zugänglicher denn je.

Patente laufen aus, so what?

Der Anstoß der Verwirrung ist ein kleiner Beitrag auf der Website des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen. Also dort, wo das MP3-Verfahren ursprünglich entwickelt wurde. "Am 23. April 2017, mit dem Ablauf einiger MP3-Patente, wurde das Lizenzprogramm von Technicolor und dem Fraunhofer IIS beendet", heißt es dort. Heutige Medien würden andere Verfahren nutzen, die eine "bessere Audioqualität bei viel geringeren Bitraten im Vergleich zum MP3-Format" bieten.

Das bedeutet zunächst nicht anderes, als dass Unternehmen, die etwa eigene Software zur Umwandlung oder zur Verteilung von MP3 anbieten, keine Lizenzgebühren mehr an Technicolor (und somit Fraunhofer) zahlen müssen. "MP3 erhält damit einen Status wie das Bildformat JPEG – jeder kann die ausgelaufenen Patente frei nutzen", sagt Brandenburg. Rechte gelten allerdings weiter für die Verwendung der Fraunhofer-Software und in Einzelfällen werden weiterhin Lizenzgebühren fällig, weshalb sich Unternehmen weiterhin informieren sollten. Prinzipiell sei MP3 nun aber freier denn je.

MP3 wird weiter unterstützt werden

"Für die Verbraucher dürfte sich gar nichts ändern", sagt Brandenburg, "MP3 bleibt ein Format, das nahezu überall abspielbar ist." Da der Standard nun frei verfügbar ist, gebe es sogar noch weniger Gründe, ihn nicht zu unterstützen. Tatsächlich haben die Entwickler der Linux-Distribution Fedora bereits angekündigt, in die kommende Version des Betriebssystems die Umwandlung von und in MP3-Formate integrieren zu wollen. Eben weil es keiner Lizenzen mehr bedarf.

Wer also Hunderte oder gleich mehrere Zehntausend MP3-Dateien auf der Festplatte hat, kann entspannt bleiben. Weil MP3 noch immer das am weitesten verbreitete Audioformat für Musik im Internet sein dürfte, wird es so schnell nicht obsolet werden. Kaum ein Hersteller eines Abspielgeräts könnte sich erlauben, die Dateien einfach nicht mehr zu unterstützen.