Wir warten gerade aufs Boarding, als ich meine achtjährige Tochter überreden kann, das Büchlein wenigstens einmal durchzublättern. "Okay", sagt Maya, obwohl sie gestern noch erklärt hatte, dass sie in den Ferien auf keinen Fall lesen werde. Aber der Titel hat ihr Interesse geweckt: Für Eltern verboten! Der cool verrückte Reiseführer ROM.    

Fünf Minuten später erzählt sie, welche Sehenswürdigkeit sie auf keinen Fall sehen möchte: La Bocca Della Verità. "Der Legende nach beißt diese Marmorskulptur jedem Lügner die Hand ab, der dumm genug ist, sie in die Öffnung des Mundes zu stecken", heißt es auf Seite 33. Daneben ist das bärtige Gesicht aus Stein abgebildet.

Für eine fünftägige Bildungsreise in die italienische Hauptstadt hatten meine Tochter und ich uns entschieden, weil das Römische Reich im Fach Sachkunde auf dem Lehrplan der Zweiten Klasse steht. Nachdem Maya ein Referat über halsbrecherische Wagenrennen, goldene Ohrringe und Gemeinschaftsklos in Badehäusern gehalten hatte, wollte sie mehr über das Leben im alten Rom wissen.

Kaum sind wir angekommen, gibt es ein Problem. "Wir haben gar keinen Stadtplan", sagt Maya. Stimmt, im Kinderreiseführer von National Geographic und Lonely Planet sind zwar viele Fotos und Infohäppchen in Sprechblasenform aber keine Karte. Wie man die interessanten Orte finden soll, bleibt ein Rätsel. Auch die Kapitel Wegewirrwar oder Vom Kapuziner zum Cappuccino sowie kleingedruckte Links helfen nicht wirklich weiter. Wie uncool! Jetzt muss die Erwachsene im Team also doch die Organisation übernehmen.

Dabei wäre es sinnvoll, dass Kinder lernen, wie sie sich in einer fremden Großstadt zurechtfinden und wie groß die Entfernungen sind. Sollen wir lieber den Bus oder die U-Bahn nehmen, lautet eine der Fragen? Oder lohnt es sich, zu Fuß zu laufen? "Mama, guck mal! Der geht bei Rot über die Straße", ruft Maya wenig später. Ein Hinweis auf das risikofreudige Verkehrsverhalten der Italiener fehlt im Reiseführer.

Meinen Vorschlag, eine Stadtrundfahrt im Doppeldeckerbus zu buchen, um einen Überblick zu bekommen, findet Maya super. Während sie sich über die rosa Kopfhörer und die geblümten Kleider in den Schaufenstern freut, genieße ich Sonne, Wind und das Geknatter der Vespas. Wenig später absorbiert ein etwa gleichaltriges Mädchen im Sitz vor uns mit rot geschminkten Lippen und bemalten Augenlidern ihr Interesse. Ruinen und Säulen gleiten unbemerkt an ihr vorbei. Erst als wir das Kolosseum passieren ist sie baff. "Das ist aber hoch", flüstert Maya. Kurz darauf fallen ihr die Augen zu. 

Kind im Siesta-Modus

Mit ihrem spontanen Mittagsschlaf hat sich das Kind perfekt dem südländischen Siesta-Rhythmus angepasst und ist, obwohl es schon dämmert, noch fit genug, um zur Spanischen Treppe zu schlendern. Steht doch im Reiseführer, dass im Jahr 2008 ein Witzbold eine halbe Million knallbunter Bälle in den Brunnen gekippt hat. Das findet Maya ziemlich lustig. Auf dem Rückweg zum Hotel entdecken wir zufällig eine Eisdiele mit 150 Sorten, davon allein 14 verschiedene Schokomixturen. Nach einer halben Ewigkeit entscheidet sich meine Tochter endlich für Frutti di Bosco und Crema di Caramello.

Im Kolosseum fächert Maya gegen die Hitze an. © Caroline Schmidt-Gross

Als wir am nächsten Tag bei hirnerweichender Hitze im Kolosseum stehen, rennt Maya, die gigantische Arena kaum eines Blickes würdigend, erst einmal in Richtung Souvenirshop. "Ich brauche noch ein Geschenk für Papa", ruft sie und ist im Getümmel verschwunden. Tief durchatmen, ermahne ich mich. Schließlich habe ich ihr meine Handynummer auf den Arm geschrieben, für den Fall, dass sie verloren geht. Der Tipp stammt nicht aus ihrem Reiseführer, sondern aus dem Internet.

Zwei Minuten später erblicke ich meine Tochter zwischen den Bücherregalen. Es gibt hier zum Thema Römer fast alles. Einen Stadtplan für Bambini, Comics, Klappbücher, Geschichten über Krieger und Götter. Maya kauft sich ein Stickerheft und ein Ausmalbuch. Aber darin sind fast nur Männer abgebildet: Kaiser, Gladiatoren, Fußballer und der Papst. "Wie haben eigentlich früher die Mädchen und Frauen gelebt", fragt meine Tochter.

Im Museum Palazzo Massimo alle Terme finden wir ein paar Hinweise, in den Vitrinen sind goldene Haarnetze, zierliche Ketten und antike Küchengeräte ausgestellt. Schwer beeindruckt ist meine Tochter vom türkisfarbenen Speisesaal von Kaiserin Livia, der Ehefrau von Augustus. "Das sieht aus wie im Märchen", sagt sie und zeigt auf die Vögel, die auf den blass bemalten Wänden zwischen Blumen und Farnen zu schweben scheinen.

Alter, wie lange haben die denn dafür gebraucht?

Am letzten Tag unserer Reise besuchen wir den Vatikan. Im Kapitel Weltrekorde liest Maya, dass der Petersdom die größte Kirche der Welt ist. Die muss sie natürlich sehen. 510 Stufen laufen wir hoch, bis wir unter der von Michelangelo verzierten Kuppel stehen. Die unzähligen Mosaiksteinchen versetzen Maya ins Staunen. "Alter", stöhnt sie, "wie lange haben die denn gebraucht, um die ganzen Bilder zu basteln?"

Im Flieger zurück nach Hamburg sind wir uns einig: Rom ist ein toller Ort für einen Familienurlaub. Der Kinderreiseführer war vor allem nützlich, um Maya auf die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten einzustimmen oder abends im Hotelbett ein Erlebnis noch einmal nachzulesen. Tagsüber ist man eher mit dem Smartphone unterwegs, mit Google Maps findet man den kürzesten Weg, und – ganz wichtig – die beste Trattoria in der Nähe. "In Rom durfte ich jeden Tag Nudeln oder Pizza essen", schwärmt Maya noch Wochen später. "Und auch noch ein Eis."