Wir
waren Punks oder Indierocker, Goths oder Hip-Hopper. Noch vor Kurzem
haben uns Musik und die entsprechende Mode dabei geholfen, zu uns
selbst zu finden, uns mitzuteilen und uns von der Generation unserer
Eltern abzugrenzen. Die Subkulturen des 20. Jahrhunderts waren fest
in der Popmusik verwurzelt, wollten sich der veralteten Gesellschaft
verweigern, zeigten Bruchstellen auf und machten uns zu Individuen.
Heute kombinieren wir Mode und Musik jeden Tag neu miteinander, eine Haltung zur Welt kann man uns nicht mehr ansehen. Algorithmen nehmen uns die Suche nach dem Besonderen ab. Wir sind abgedriftet in ein generisches Hipster-Dasein, das sich aus allem Populären speist und Stile miteinander remixt. Die Älteren haben uns vorgeworfen, ideenlos, brav und zu wenig radikal, simpel konsumorientiert, schlapp und unentschlossen zu sein. Wir Jungen sind uns seit Längerem auch nicht mehr so sicher, ob das gut so ist. Wir wünschen uns, Teil einer Jugendbewegung zu sein, so wie wir sie noch aus Zeitschriften und arbeiterbewegten Songs kennen.
Wo
sind die neuen Proteste, die Teenage-Angst und die Absagen an das
Alte? Heute scheint alles zusammenzupassen, jeder kann in seiner
Streaming-Playlist Punk und
Indierock und
Goth und
Hip-Hop mischen. Szenen und Stile greifen ineinander. Es geht nicht
mehr darum, welcher Subkultur du angehörst. Aus dem "Kennst du
schon?" ist ein "Hast du schon?" geworden.
Reichweitenversprechen
nennt der Soziologe Hartmut Rosa das Phänomen: Wir können uns nicht
mehr alles leisten, was wir konsumieren wollen; stattdessen bieten
uns Abonnements an, jede erdenkliche Art von Gütern auf Halde zu
lagern. Film-, Kleidungs-, Kosmetik-, Gemüse-, Auto-, Mofa- oder
Musikabos erlauben uns permanenten Zugriff auf das, was wir eventuell
mal gebrauchen wollen.
Ernährung ist jetzt Pop
"Oft sind es die irdischen Dinge, die den Bürger schockieren: eine Sicherheitsnadel, spitze Schuhe, eine Lederjacke oder eine Haartolle. Denn der Gebrauch verleiht ihnen Bedeutung", schrieb der britische Poptheoretiker Dick Hebdige 1986. Er zeigte, wie Musik nicht zuletzt durch Kleidung die Durchschlagskraft einer politischen Bewegung hatte. Im 21. Jahrhundert hat Musik im Alltag ihren Körper verloren, wir besitzen und tragen sie nicht mehr. Inzwischen sind andere Gegenständlichkeiten in den Darstellungsmittelpunkt getreten, das Analoge schlechthin: Essen. Ernährung ist jetzt Pop. Auf der rein stofflichen Ebene ist es schon lange klar: Essen formt unseren Körper stärker, als es ein Song, eine Lederjacke, ein Eyeliner oder ein Shirt jemals können.
Früher
haben wir uns Poster von Joy Division, Patti Smith oder
Run DMC an die Jugendzimmerwand geklebt, jetzt nageln wir Bilder von
perfekt gegarten Brokkoliröschen auf Instagram fest. Freilich hat
sich auch dazu längst eine Gegenkultur geformt. So dokumentiert zum
Beispiel der Fotograf Martin Paar mit seinem Buch Real
Food
das Essgeschehen in all seiner Unappetitlichkeit. Leben hier die
alten Kämpfe wieder auf, die konsumkritische Punks und aufbegehrende
Mods gegen die hedonistischen Popper geführt haben?
Ich-Performance auf dem Teller
Früher haben wir die veganen Straight-Edge-Emopunks für ihren kulinarischen Starrsinn belächelt – sie waren eine der ersten Szenegruppierungen, die sich sowohl über ihre Ernährung, wie über Musik definierten. Heute gehen wir selbst in lederfreien Schuhen zum Yoga und schwärmen von den jüngsten veganen Superfood-Entdeckungen, im Hintergrund plätschert Musik als reine Raumbeschallung vor sich hin.
Gegenwärtige, oft elitäre Food-Trends wie Clean Food, Authentic Food, der Wunsch nach Biosiegeln, besonderer Nachhaltigkeit oder Regionalität scheinen wie Punk eine neue Form von Protestbewegung in der digitalen Überflussgesellschaft zu sein. Glutenfreiheit und Wechseljuicism sind die Genres für die Ich-Performance auf dem Teller.
Essen ist ästhetisch, politisch, moralisch, sexuell, quasi-religiös. Aus der Übersättigung heraus haben wir ganz neue Regeln der Nahrungsbeschränkung entwickelt – die Suche nach dem "richtigen" Essen wurde schwieriger und das Denken darüber komplexer. Was in unserer Völlegefühl auslösenden Warenwelt noch provoziert, sind Formen von Enthaltsamkeit. Das Low, Slow und No sind die neuen Protestbewegungen. Die intensive Beschäftigung damit bringt allerdings auch dunkle Seiten mit sich: Immer mehr Menschen leiden unter Orthorexie, dem pathologisch fehlgeleiteten Streben nach gesunder Ernährung.
Wir
waren Punks oder Indierocker, Goths oder Hip-Hopper. Noch vor Kurzem
haben uns Musik und die entsprechende Mode dabei geholfen, zu uns
selbst zu finden, uns mitzuteilen und uns von der Generation unserer
Eltern abzugrenzen. Die Subkulturen des 20. Jahrhunderts waren fest
in der Popmusik verwurzelt, wollten sich der veralteten Gesellschaft
verweigern, zeigten Bruchstellen auf und machten uns zu Individuen.
Heute kombinieren wir Mode und Musik jeden Tag neu miteinander, eine Haltung zur Welt kann man uns nicht mehr ansehen. Algorithmen nehmen uns die Suche nach dem Besonderen ab. Wir sind abgedriftet in ein generisches Hipster-Dasein, das sich aus allem Populären speist und Stile miteinander remixt. Die Älteren haben uns vorgeworfen, ideenlos, brav und zu wenig radikal, simpel konsumorientiert, schlapp und unentschlossen zu sein. Wir Jungen sind uns seit Längerem auch nicht mehr so sicher, ob das gut so ist. Wir wünschen uns, Teil einer Jugendbewegung zu sein, so wie wir sie noch aus Zeitschriften und arbeiterbewegten Songs kennen.