Es ist ein seltsames filmisches Universum, in dem Nicole Kidman und Veronica Ferres nebeneinander existieren. Die Stars des letzten und des aktuellen Spielfilms von Regie-Exzentriker Werner Herzog trennen Welten: Kidman spielte in Queen of the Desert die britische Arabien-Reisende Gertrude Bell als  Wüstenversteherin zwischen klassizistischem Glamour und marmorner Noblesse, die sie sich bereits in Darstellungen so entrückter Erscheinungen wie Grace Kelly anverwandelt hatte. Ferres verkörpert im neuen Herzog-Film Salt and Fire die Antithese zur ätherischen Aura Kidmans. Ihre Präsenz ist körperlicher, ihr Spiel emotionaler: Eigenschaften, für die im Deutschen der mäßig schmeichelhafte Begriff der Vollblutschauspielerin erfunden wurde.

Die Handlung von Salt and Fire lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Es ist allerdings auch fast ein bisschen egal, weil erzählerische Konventionen wie Dramaturgie oder Plot in den Spielfilmen des einzigen deutschen Kinokosmopoliten und -kosmologen früher oder später ohnehin auf die großen Menschheitsfragen zurückgeworfen werden. Ferres spielt die Wissenschaftlerin Laura Sommerfeld, die mit ihren Kollegen Dr. Cavani (Bernal) und Dr. Meier (Volker 'Zack' Michaelowski) nach Bolivien reist, um eine Umweltkatastrophe zu untersuchen. Die Machenschaften eines Industriekonzerns haben den fiktiven Salzsee Diablo Blanco am Fuße des Vulkans Uturunku in eine gigantische Salzwüste verwandelt.

Doch gleich nach der Landung verschleppen bewaffnete Milizen Sommerfeld und ihr Team. Hinter der Entführung, die Herzog mit souverän ausgestelltem Desinteresse an Spannung oder Action inszeniert (einer der Anführer sitzt im Rollstuhl), steckt der CEO des Konzerns, gespielt von Michael Shannon, der sich auf Büßertour befindet: Er verspricht, sich der Justiz zu stellen, wenn die Wissenschaftlerin dem Untersuchungsausschuss eine andere Sichtweise auf die Ökokatastrophe präsentiert als bloß "Massendaten und Vorhersagemodelle". Darum setzt er sie mit Proviant und zwei blinden Kindern, die nach Inka-Heiligen benannt sind, in der Salzwüste aus.

Ferres nun nach Kidman in Filmen von Werner Herzog bewundern zu dürfen, erweist sich nicht nur als interessante Studie des Faktors Starpower in diesem erratischen, immer wieder von verblüffenden Gedankengängen erleuchteten Autorenkino. Es verrät auch einiges über Herzogs Verständnis von Kino, das sich zunehmend als freies Spiel von Stimmungen, Mythen, Überwältigungsfantasien und dem geballten, mitunter verschütteten Weltwissen versteht. Sein System kennt keine Grenzen.

Die im Dienstleistungsbetrieb der deutschen Film- und Fernsehunterhaltung sozialisierte Ferres hat mit diesen ungewohnten Freiheiten anfänglich ihre Schwierigkeiten, worüber Herzog natürlich großzügig hinwegsehen kann. Vor seiner Chuzpe mussten schon Darsteller von ganz anderem Kaliber kapitulieren, allenfalls Egomanen wie Klaus Kinski oder Nicolas Cage sind ihm in dieser Hinsicht ebenbürtig. Darsteller fungieren bei Herzog meist als Katalysatoren großer Ideen. Es geht in Salt and Fire also nur zweitrangig darum, Ferres als verkannte Darstellerin aus der Mittelmäßigkeit deutscher Produktionsverhältnisse zu verhelfen. Ihr Ko-Star Gael García Bernal hat das Herzog-Prinzip sehr gut verstanden. Bernal schenkt dem Meister des irrlichternden Cameo-Auftritts (von den Simpsons bis zur selbstironischen Mockumentary Incident at Loch Ness hat sich Herzog inzwischen in so ziemlich jedem Popformat verewigt) selbst ein denkwürdiges Cameo, bei dem er sich mit der Ankündigung der "Mutter aller Durchfälle" wenig diskret aus dem Film verabschiedet.

Das kindliche Staunen des Werner Herzog

Das Tolle an Veronica Ferres wiederum ist, wie ernsthaft sie – je länger Salt and Fire frei assoziierend vor sich hin mäandert – Herzogs Herausforderung anzunehmen scheint. Sukzessiv weicht ihre Sat1-erprobte Eventmovie-Melodramatik einer Neugier und Offenheit, die dem kindlichen Staunen Herzogs über die Wunder der menschlichen Schöpfungs- und Vorstellungskraft (ein tanzender Löffel, historische Schriftstücke über Gerichtsverhandlungen mit Tieren) in nichts nachsteht.

In der offenen Landschaft der zweiten Filmhälfte fühlt sich der Großfilmer Herzog dann auch merklich wohler als in geschlossenen Räumen. Der Ortswechsel beschert der lustvoll ziellosen Regie ein völlig neues Zeitgefühl – und eine Sinnlichkeit, die sich aus Herzogs eigener Faszination an der Allmacht der Natur speist. Ferres’ schweifender Blick in die Ferne geht in überwältigenden Landschaftstotalen der Salzwüste auf, die in der Salar de Uyuni entstanden. Am Horizont zeichnen sich die Umrisse des schlummernden Vulkans ab. Salz und Feuer sind an diesem gottverlassenen Ort die Triebkräfte der Erdgeschichte. Selbst die Messgeräte der Satelliten, erklärt einer der Wissenschaftler, werden an dieser strahlend weißen Ebene kalibriert.

Hier sind Prozesse am Werk, die die menschliche Vorstellung übertreffen. Und wie zum Beweis legt Ferres ihr Ohr an die vibrierende Salzoberfläche der Wüste, um dem Herzschlag der Erde zu lauschen. "Wahrheit ist die einzige Tochter der Zeit", philosophiert Shannons CEO einmal. Man mag über solch esoterisches Gedöhns lächeln, aber die Ernsthaftigkeit, mit der Herzog seinem Staunen Ausdruck verleiht – denn natürlich ist auch er kein Anhänger der Ratio, sondern ein ausgemachter Vitalist –, entschädigt für manchen dramaturgischen Schlenker, der Salt and Fire gelegentlich auf Seitenwege führt. Und auch Ferres geht in der Rolle der Mutter Natur auf, die unter Herzogs Regie so viel erstrebenswerter scheint als bloß die Rolle der Mutter der Fernsehnation.

Salt and Fire folgt dem Trend jüngster Herzog-Filme, kompromisslos Nischeninteressen zu verfolgen. Gleichzeitig wird es zunehmend schwieriger, im prallen Oeuvre Herzogs noch zwischen Haupt- und Nebenwerken zu unterscheiden. Salt and Fire greift Themen und Weltanschauungen auf, die sich seit Aguirre, der Zorn Gottes durch seine Arbeiten ziehen. Sie verändern je nach Sichtweise ihre Form und Geschichte. Darin ähneln sie dem Heiligenbildnis im Kreuzgang des römischen Klosters Santissima Trinita, dem im Film eine zentrale Bedeutung zukommt. Beim Gang durch die Säulen verwandelt sich der Mantel des Heiligen in eine in Falten geworfene Landschaft. Ein treffliches Bild für die ebenfalls anamorph wirkende Dramaturgie von Salt and Fire: auch sie verweigert sich einer Zentralperspektive. Ach was, im Grunde kann man sagen, dass Werner Herzogs Gesamtwerk nach jedem Film neu kalibriert werden muss.