Verhaftet 2015 und mit 19 Jahre Gefängnis bestraft – der Billionär Marcelo Odebrecht ist eine der mächtigsten Personen, die die brasilianische Justiz in den vergangenen Jahren festsetzte. Das Verfahren gegen ihn ist Teil der größten strafrechtlichen Untersuchung Brasiliens: die Operaçao Lava Jato (Operation Hochdruckreiniger).

Der 49-jährige Odebrecht wurde für Korruption, Geldwäsche und der Beteiligung an einer kriminellen Organisation bestraft. Der Hauptvorwurf: Der gelernte Bauingenieur, der zwischen 2008 und 2015 die Grupo Odebrecht repräsentierte, habe Politiker zugunsten seines Konzerns korrumpiert.

Die Verhaftung eines Geschäftsmannes seines Kalibers wäre undenkbar gewesen ohne die Kronzeugenregelung, ein relativ neues Mittel für die Untersuchung krimineller Vereinigungen.

Um das Strafmaß herabzusetzen, lieferten Marcelo Odebrecht und 78 weitere Manager seines Konzerns den Ermittlern Ende 2016 umfassend Informationen. Brasilianische Medien sprachen von "Ende-der-Welt-Denunziation" – der apokalyptische Name bezeichnet das Ausmaß der Enthüllung, die nach Monaten der Spekulation am Dienstag konkret bekannt wurde. Ein Richter am obersten Gerichtshof, Edson Fachin, veröffentlichte eine Liste von 98 Personen, die untersucht werden sollen. Mittlerweile kann sich jeder ein Bild machen: Die Videos der Vernehmungen sind veröffentlicht.

Auf der Liste zu finden sind die Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso von der sozialliberalen Partei PSDB, weiterhin Luis Inácio Lula da Silva oder Dilma Rousseff, die im August 2016 ihres Amtes enthoben worden war. Präsident Michel Temer war in den Schilderungen der Kronzeugen ebenfalls Thema. Gegen ihn wird aber nicht ermittelt. Denn er ist im Amt. Die vermeintlichen Straftaten liegen aber vor seiner Regierungszeit.

Auch gegen 8 Minister, 24 Senatoren und 39 Abgeordnete wird ermittelt. Die Ermittler könnten sie verhaften, sie könnten Telekommunikations- und Bankdaten anfordern.

Doppelt so hohes Wachstum

Dass eine derart weitreichende Enthüllung zustande kam, liegt auch an Odebrechts ökonomischem Erfolg. Der wiederum hängt mit der Regierung der Partido dos Trabalhadores zusammen. Die Mitte-Links-Partei führte von 2003 bis zur Amtsenthebung Dilma Rousseffs 2016 das Land. Zum Antritt der Regierung des Gewerkschafters Luís Inácio Lula da Silva 2003 war die Odebrecht-Gruppe schon eines der größten Unternehmen Brasiliens, mit einem Umsatz von umgerechnet 5,2 Milliarden Euro.

Seitdem ist der Konzern international expandiert: Ende 2015 setzte er 40 Milliarden Euro um. Er erzielte mit 769 Prozent seit 2003 das doppelte Wachstum wie die brasilianische Wirtschaft. Der Konzern wurde die größte Industriegruppe Brasiliens.

Laut Sérgio Lazzarini, Koautor eines Buchs über den brasilianischen Staatskapitalismus (Reinventing State Capitalism: Leviathanin Business, Brazil and Beyond) ist die staatliche Förderung dieses Gigantentums in Brasilien nicht selten. Die sogenannte public-champions-Politik sei in der Telekommunikation, der industriellen Fleischproduktion, dem Schiffsbau und -umbau zu finden. 

Leistungsfähiges Management

Staat und Konzerne sind dabei eng verflochten: Konzerne wie Odebrecht haben Verträge mit der Regierung geschlossen und Geld der BNDES (der Staatsbank für ökonomische und soziale Entwicklung) erhalten. Hinzu kommen Investitionsfonds, die die Regierung kontrolliert. In weniger als 15 Jahren hat die Grupo Odebrecht mit staatlichen Finanzierung das Maracanã-Stadium umgestaltet, einen Hafen in Kuba gebaut und einen der größten Stauseen Afrikas.

Begünstigt hat das nicht nur die public-champions-Politik, die Staat und Konzerne so eng verbindet. Auch das vergleichsweise leistungsfähige Management der Unternehmen habe dazu beigetragen, sagt Mario Schapiro, Experte der Fundação Getúlio Vargas. "Forschungen zeigen, dass Konzerne mit gutem Management selten sind in Schwellenländern." Daher sei es normal, dass der Konzern Teil eines "nationalen Entwicklungsprojekts" ist.

Anzeichen von Korruption

Die Geldflüsse an die großen Konzerne haben aber die Korruption wachsen lassen. Besonders die Mitte-links-Regierungen, zuletzt geführt von Dilma Rousseff, erhöhten die staatlichen Zuschüsse an private Projekte. "Die PT Regierungen haben den Kapitalhahn aufgedreht und damit die bereits grassierende Korruption weiter verstärkt", sagt Schapiro.

Ein großer Teil des ökonomischen Erfolgs von Odebrecht stammt aus Projekten für Petrobras, dem staatlichen Ölkonzern, gegen den sich ebenfalls die Ermittlungen der Justiz richten. Nach Informationen der Zeitung O Estado de São Paulo zeigten interne Buchprüfungen von Petrobras, dass die Odebrecht-Gruppe etwa 2,1 Milliarden Euro veruntreut hatte. Anzeichen von Korruption seien in Comperj (der petrochemischen Industrieanlage Rio de Janeiros) und beim Bau des Hauptquartiers von Petrobras gefunden worden.

Die Lula- und die Rousseff-Regierungen haben auch versucht, den ökonomischen Schwung Brasiliens bis 2011 in diplomatische Macht umzuwandeln. Mit der Brasil-Maior- (Größer-Brasilien)-Politik versuchten die Regierungen, den Einfluss Brasiliens in Lateinamerika und Afrika zu stärken.

Korruption geduldet

Teil dieses Programms waren auch Anleihen für Infrastrukturprojekte. Laut einem 2016 veröffentlichten Report der Regierung flossen zwischen 2005 und 2014 insgesamt 14,4 Milliarden Anleihen der Staatsbank BNDES für Projekte in Afrika und in anderen lateinamerikanischen Staaten, darunter Angola, Mosambique, Argentinien, Peru, Equador, Venezuela, Guatemala, die Dominikanische Republik und Kuba. 81,8 Prozent dieses Geldes erhielt Odebrecht. Derzeit ist Odebrecht Nummer zwölf im Ranking der Zeitschrift Engineering News Record der Gesellschaften, die große Summen außerhalb ihrer Stammländer investiert haben.

Der Konzern konnte dabei auch auf politische und diplomatische Unterstützung des ehemaligen Präsidenten Lulas zählen. Im Oktober 2016 warf ihm die Bundesstaatsanwaltschaft vor, er habe Korruption geduldet, um Odebrecht in Angola zu unterstützen. Zwischen 2011 und 2015, als er schon nicht mehr Präsident war, wurde Lula von Odebrecht mehrmals gegen Geld beschäftigt.

"Schmiergeldabteilung"

Die Staatsanwaltschaft sieht aber eine Übereinstimmung zwischen den Reisen des ehemaligen Präsidenten und den Anleihen der Staatsbank BNDES. Laut der Ermittler hat Lula seinen Einfluss über die Partei Partido dos Trabalhadores und über Regierungsbeamte genutzt, um Odebrecht zu unterstützen. Lula behauptet dagegen, er sei bezahlt worden, um das Image Brasiliens im Ausland zu verbessern – ebenso wie andere Präsidenten.

Der Untersuchungen nach hat Odebrecht sogar eine Abteilung für Korruption in Brasilien und im Ausland gebildet, der Strukturierte Operationen Sektor. Die Ermittler nennen ihn die "Schmiergeldabteilung". Mithilfe dieser Abteilung habe Odebrecht die Korruption internationalisiert. Hilberto Mascarenhas, ein ehemaliger Angestellter des Strukturierte Operationen Sektor, sagte Ermittlern, die Abteilung habe zwischen 2006 und 2014 insgesamt 3,39 Milliarden US-Dollar Schmiergeld innerhalb und außerhalb Brasiliens gezahlt.  

Schmiergeld Odebrechts könnte sogar den kolumbianischen Wahlkampf 2010 beeinflusst haben. Roberto Prieto, der Wahlkampfleiter der Kampagne des heutigen Präsidenten Juan Manuel Santos, hat zugegeben, dass er nicht verbuchtes Geld von Odebrecht erhielt. Santos selbst hat sich dieses Fehlverhaltens beschuldigt. Er behauptete jedoch, er sei erst vor Kurzem über die Umstände informiert worden.

Prietos Aussagen dürften ähnliche Untersuchungen in Brasilien und in anderen Ländern nach sich ziehen.