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This is not America! Oder doch?

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Wer braucht eine Halbzeitshow beim Fußball? Der Auftritt von Helene Fischer in Berlin hat die Diskussionen befeuert.
Wer braucht eine Halbzeitshow beim Fußball? Der Auftritt von Helene Fischer in Berlin hat die Diskussionen befeuert. © dpa

Was war das für ein Aufreger: Showeinlage beim DFB-Pokalfinale. Wir sind doch nicht beim Super Bowl! Die Deutschen wehren sich gegen die Amerikanisierung im Sport – doch hat ihn die nicht schon längst erfasst? Wir gehen zu Playoffs und diskutieren über Scouting, Coaching Staff und ob Draft und Salary Cap kommen sollen.

Wenn im American Football um den Super Bowl gespielt wird, ist das mit drei Fragen verbunden: Wo wird das große Finale ausgetragen, welche Teams erreichen es – und wer singt in der Pause?

Aus der künstlerischen Besetzung des Super Bowl ergeben sich die großen Geschichten: Janet Jackson ließ eine Brust aus dem Top rutschen („Nipplegate“), Bruce Springsteen war von seinem Auftritt so überwältigt, dass er beschloss, seine Biografie zu schreiben, und zuletzt war man auf Lady Gaga gespannt: Würde sie dem neuen US-Präsidenten Donald Trump von der Bühne aus die Leviten lesen? Manche messen dem Showact nicht weniger Bedeutung bei als dem amerikanischsten aller Spiele.

Das deutscheste aller Spiele ist der Fußball, sein nationales Hochamt wird beim DFB-Pokalfinale in Berlin zelebriert. The German Super Bowl. Warum nicht auch dort eine Halbzeitshow abziehen, fragte sich der DFB. Helene Fischer müsste passen, eine deutsche Rihanna, Taylor Swift, was auch immer. Ihr „Atemlos“ war ja auch zu einer Fußballhymne geworden – von der Nationalmannschaft bis zur Kreisliga.

Wie der Auftritt von Helene Fischer im Berliner Olympiastadion verlief, hat jeder mitbekommen: Die Sängerin wurde von Frankfurtern wie Dortmundern ausgepfiffen – wie vor ihr nur Peter Maffay, der in den 80er-Jahren fürs Vorprogramm der Rolling Stones gebucht worden war.

Der Unmut in Berlin, hieß es im Nachgang, habe nicht Helene Fischer gegolten, sondern vielmehr dem DFB für die Kommerzialisierung und Eventisierung des Fußballs. Nicht alles, was in Amerika gut ankomme wie eben ein Halbzeitkonzert, müsse auch bei uns funktionieren. This is not America! Deutschlands Kultur ist anders, Deutschlands Sport auch.

Ja, ist er das? Bisweilen jedenfalls ist uns Amerikanisierung nicht unwillkommen. Etwa, wenn wir Boxen schauen. Dann muss es auch in der Stadthalle Riesa so zugehen wie in Las Vegas. Mit einem Walk-In für die Boxer und idealerweise mit Michael Buffer als Ringsprecher. Um sein sattes Honorar abzuholen, muss er nicht mal auf Deutsch ansagen, wer sich gleich gegenüber steht. Alles soll authentisch-amerikanisch sein – bis zum Schlachtruf „Let’s get ready to rumble“.

Wie amerikanisch also ist unser Sport?

Die Show

Wir haben uns amerikanischen Standard zu eigen gemacht. Beim Eishockey laufen die Spieler durch geöffnete Tiermäuler (Panther, Tiger, Bären, Haie), dazu züngeln die Flammen. Ist beim Basketball das Spiel unterbrochen (und das ist es oft), laufen Maskottchen und Cheerleader aufs Feld – keine Sekunde des Abends soll ohne Bespaßung vergehen. Musik ist wichtig geworden bei allen Hallensportarten, wir lassen uns animieren. Wir wissen, wann wir zum Videowürfel und zur Kiss-Cam hochblicken müssen.

Die Vermarktung

Eine seiner ersten Exkursionen als junger Manager des FC Bayern München führte Uli Hoeneß nach Kalifornien. Es war eine Studienreise in den US-Profisport. Er wollte wissen: Wie funktioniert das mit dem Merchandising? Sind erwachsene Menschen bereit, ein Trikot-Imitat ihres Klubs zu tragen? Kaufen sie Schlüsselanhänger mit dem Teamlogo, Tassen, Stofftiere? Nach seiner Rückkehr aus der Welt des Basketballs und American Footballs war Hoeneß angefixt, er trieb das Geschäft mit den Fanartikeln (bis dahin gab es in Deutschland nur Vereinswimpel) voran.

Heute betreibt Deutschland das Merchandising radikaler als der Ursprungsmarkt Nordamerika. In den US-Profiligen ist das Design eines Trikots heilig, es verändert sich über Jahrzehnte nicht. Bei uns wird jede Saison eine neue Variante auf den Markt geworfen und auch mal die Farbe geändert – um die Fans sanft zur ständigen Neuanschaffung zu bewegen.

Die Zuschauer

Geht es um etwas? Das war in Deutschland über Jahrzehnte die Motivlage, wenn man entscheiden musste, ob es sich lohnt, einem Spiel beizuwohnen. Das Verhalten ist längst nicht mehr so selektiv – vor allem im Fußball mit seinen konstant hohen Zuschauerzahlen nicht. So gut wie durchgesetzt hat sich der amerikanische Gedanke, dass man Stadion oder Arena ungeachtet der sportlichen Wertigkeit einer Partie aufsucht. Die Sportstätte als gesellschaftlicher – und geschäftlicher – Treffpunkt.

Aus den USA kommen natürlich auch Logen und Business Seats. Für die betuchtere Kundschaft. In der Münchner Allianz Arena ist fast jeder zehnte Platz einer mit einem Hospitality-Paket. Rund ums Spiel wird gegessen, getrunken, netzgewerkt.

Eine Eigenart, die das europäisch-deutsche Sportpublikum sich erhalten hat: Es ist laut. Darüber staunen amerikanische und kanadische Basketballer und Eishockeycracks – auch wenn sie in ihren Ländern höchstklassig gespielt haben und auf eine erfahrungsreiche Karriere zurückblicken.

Leute, die aufspringen, toben, schimpfen gibt es auch in nordamerikanischen Arenen – bei uns ist die Fankultur direkter, rauer, die Identifikation mit einem Klub tiefergehend. Das Kernpublikum in deutschen Stadien steht. Wie lange halt noch? Die Innenminister der Länder stellen immer wieder mal die Abschaffung von Stehplätzen in den Raum, Fan-Initiativen kämpfen für den Erhalt. Und genauso leidenschaftlich gegen alles, was unter Verdacht steht, Fan-Kultur von außen zu choreografieren (wie etwa Klatschpappen).

Die Organisation

Die Amerikaner sprechen nicht von Vereinen – sondern von einer „organisation“, der sie anhängen. Die „organisation“ wiederum sieht sich als Teil eines Gemeinschaftsprodukts, einer Liga wie NBA (Basketball), NFL (American Football), NHL (Eishockey), MLB (Baseball) und neuerdings MLS (Soccer – Fußball). Verbände haben da nichts zu sagen, die Ligen sind selbstverwaltet. Im deutschen Sport hat die Loslösung von der absoluten Verbandshoheit erst in den 90er-Jahren begonnen. Vorreiter: die Deutsche Eishockey-Liga (DEL), die keinesfalls dem Verband DEB die Taschen vollspielen wollte.

Ein Klub ist eine „Franchise“, ein Lizenznehmer der Liga. Als die DEL 1994 eingeführt wurde, hieß es, man solle die Liga wahrnehmen wie den Konzernsitz von McDonald’s – und die Vereine als Filialen.

Und jede Filiale hat eine Sub-Filiale. Ein Farmteam. Voll zur Organisation gehörig. Hat sich in Deutschland nicht durchgesetzt. Über wechselnde Kooperationen mit Klubs aus einer tieferen Liga kam man nie hinaus.

Eine Regelung wie 50+1 im deutschen Profifußball kennt der US-Sport nicht. Hundertprozentige Besitzerschaft einer Franchise ist möglich. Und die Norm. Beispiel: Dem deutschen Milliardär Hasso Plattner, neben Dietmar Hopp einer der Mitbegründer von SAP, gehört der Eishockey-Klub San Jose Sharks.

Das Ligensystem

Hier tun sich riesige Unterschiede auf – wobei die Nordamerikaner schon Jahrzehnte vor den Europäern mit der Professionalisierung ihres Sports begannen. Standard ist die geschlossene Liga, aus der man nicht ab- und in die man nicht aufsteigt. Aufnahme ist nur möglich, indem eine Franchise den Standort wechselt – oder eine neue aufgenommen wird wie nun im NHL-Eishockey als 31. Teilnehmer Las Vegas. Die Liga vergibt eine neue Lizenz auch erst nach einer ausführlichen Marktanalyse: Wo könnte Bedarf bestehen an einem Profiteam im Fußball oder Eishockey? Typisch die Expansion der NHL: zuerst in die Sonnenstaaten (Kalifornien, Florida), später in eishockeyferne Gegenden wie Nashville und Atlanta.

Die deutsche Sportlandschaft tut sich schwer mit dem Ansatz des Nicht-Abstiegs. Das deutsche Eishockey hat ihn für seinen Profibereich übernommen und wird dafür heftig kritisiert.

Allerdings haben wir klare Leistungsstrukturen: mit Ligen von oben nach unten. In Nordamerika sind die Minor Leagues nicht nach Leistung gestaffelt. Sie leben nebeneinander her.

Der Sport

Ihn haben die Amis immer schon mit höchstem personellen und technischen Aufwand betrieben. Wo auf deutschen Bänken noch ein Trainer alleine regierte, griffen US-Organisationen auf einen kompletten „Coaching Staff“ zurück. Da konnte ein Mitglied auch von erhöhter Warte aus das Spiel beobachten und seine Erkenntnisse per Funk nach unten übermitteln. Auch der Videocoach ist eine amerikanische Erfindung.

Nordamerika ist zudem ein Daten-Paradies. Im Baseball gab es bereits in den 20er-Jahren umfassende Statistik-Bücher. In Deutschland war Statistik lange was für Freaks – heute fehlt sie in keiner Fan-Diskussion. Die Verwissenschaftlichung des Sports, zu dem auch ein gewissenhaftes Scouting (langfristiges Beobachten der Entwicklung von Talenten) gehört – beeinflusst durch die Amerikaner.

Der Wettbewerb

Wird in Nordamerika nicht sich selbst überlassen, wie es marktwirtschaftlichen Gepflogenheiten entspräche, sondern reguliert. Das Ziel: Eine Liga soll wettbewerbsfähig bleiben – dafür muss man dem kleinen Klub helfen und den großen ausbremsen. Die US-Profiligen sind da ziemlich sozialistisch eingestellt – es ist ihre Art, den Kapitalismus zu fördern.

Am krassesten ist das Draft-System. Sportlich schwache Franchises dürfen sich zuerst unter den Top-Talenten des Landes bedienen – das gibt ihnen die Chance, etwas aufzubauen. Die starken Teams werden dadurch gehandicapt, dass sie an die Jahrgangsbesten erst sehr viel später rankommen – und auch nur im Tausch gegen andere Spieler. Denn der Kauf/Verkauf über Ablösesumme ist im US-Sport nicht der übliche Handelsweg, sondern: Man tauscht Spieler.

Übertragen auf den Fußball würde das bedeuten: Joshua Kimmich hätte nicht zum FC Bayern gehen dürfen, sondern wäre bei Darmstadt 98 gelandet. Wenn die Bayern ihn in ein paar Jahren haben wollten, müssten sie dem SV 98 dafür im Gegenzug vielleicht Thomas Müller und Jerome Boateng überlassen.

Wolfgang Holzhäuser, ehemaliger und einflussreicher Fußballfunktionär (DFB, DFL, Bayer Leverkusen), hat angeregt, über ein Draft-System in Deutschland nachzudenken – wohlwissend, dass dafür die rechtlichen Grundlagen fehlen würden. Doch der Visionär Holzhäuser („Ich habe den Eindruck, wir haben es im Fußball mit der Kommerzialisierung übertrieben – die Verbände müssten sich was einfallen lassen“) will darauf aufmerksam machen, dass der Wettbewerb im deutschen Fußball an der Spitze nicht mehr funktioniert. Deshalb hat er auch den Begriff „Playoffs“ in die Debatte geworfen. Wenn ein solches Format käme, wäre die Meisterschaft nach 34 Spieltagen Bundesliga noch nicht entscheiden. Es ginge erst los.

Im Fußball mag man es sich nicht vorstellen, in den meisten anderen Teamsportarten sind Playoffs seit über drei Jahrzehnten gang und gäbe. Und gelten als die attraktivste Zeit des Jahres.

Was in Amerika zu einem spannenderen Wettbewerb führt, ist auch der „Salary Cap“. Die Liga legt fest, was jeder Klub für die Gehälter aufwenden darf (die werden auch veröffentlicht) – dabei orientiert man sich an TV-Einnahmen, Merchandising-Kraft, Ticketverkauf. Beispiel NHL: Zwischen 45 (Carolina) und 73 Millionen Dollar (Chicago) dürfen die Kader kosten. In der Fußball-Bundesliga hat der Dominator FC Bayern das Zehnfache des finanzschwächsten Teilnehmers zur Verfügung. Bei RB in Leipzig wird der Begriff „salary cap“ häufig verwendet, im Sinne von „Gehaltsobergrenze“ (von drei Millionen Euro) - hat mit dem amerikanischen Modell aber nichts zu tun.

Würde es umgesetzt, hätte der FC Bayern von seiner wirtschaftlichen Ausnahmestellung nicht mehr viel – denn er dürfte sich die teuren Stars nicht mehr leisten.

Und das würde wohl auch die verstören, die sich ein Ende der ewigen Bayern-Herrschaft wünschen.

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