Bloss nicht hinsehen!

Die erste Staffel von «Lemony Snicket's A Series of Unfortunate Events» ist der Anfang vom Ende mit Schrecken: Morbide, schrill, selbstreferenziell.

Tobias Sedlmaier
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Drei Kinder auf Abwegen, nur der Erzähler (Patrick Warburton) weiss, wohin ihre unheilvolle Reise gehen wird. (Bild: Netflix)

Drei Kinder auf Abwegen, nur der Erzähler (Patrick Warburton) weiss, wohin ihre unheilvolle Reise gehen wird. (Bild: Netflix)

Ob eine Serie wirklich für Kinder gemacht und gedacht ist, erkennt man nur bedingt am Alter ihrer Protagonisten. Häufig weisen kindliche Figuren über ihre eigene Infantilität hinaus, werden zum Spiegelbild und zur Reflexion einer verzerrten Erwachsenenwelt. So auch im Fall der Serie «Lemony Snicket's A Series of Unfortunate Events», deren erste Staffel seit Mitte Januar auf Netflix zur Verfügung steht.

Das Ausgangsmaterial bildet die gleichnamige, in den USA sehr populäre Kinderbuchreihe, in der drei Waisen nach dem tragischen Tod ihrer Eltern von einem Vormund zum nächsten geschickt werden. Grund ihrer Odyssee sind nicht nur elterliche Verstrickungen mit einer Geheimorganisation, sondern auch eine bizarre Figur namens Count Olaf. Der zwielichtige Schauspieler ist zusammen mit seiner ebenso durchtriebenen Theatertruppe hinter dem Erbe der Baudelaire-Geschwister her und lässt keine noch so alberne Verkleidung aus, um seine Konkurrenz zu beseitigen und Vormund der Kinder zu werden. Die Erwachsenen lassen sich dabei allzu bereitwillig hinters Licht führen – im Gegensatz zu den Kindern, die sich ständig tödlichen Gefahren ausgesetzt sehen.

Kommunikative Unordnung

«Lemony Snicket's A Series of Unfortunate Events» ist nicht nur der morbide Zusammenprall zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt, sondern eine fast schon brechtsche Parabel über Spiel und Ernst, Wirklichkeit und Täuschung, Verständigung und Missverständnisse. Wie im epischen Theater schiebt sich immer wieder ein auktorialer Erzähler in die Handlung. Sein Name: Lemony Snicket, Alter Ego von Daniel Handler, dem realen Autor von Buch und Serie, gespielt vom Schauspieler Patrick Warburton. Zusammen mit dem seemännisch gesungenen Titellied «Look Away» macht der Erzähler deutlich, wohin die Reise der drei Baudelaires Violet, Klaus und Sunny (ein Baby mit Super-Beisszähnen) geht: zu immer weiteren absurden Unglücksfällen.

Neil Patrick Harris darf sich mal wieder kostümiert austoben. (Bild: Netflix)

Neil Patrick Harris darf sich mal wieder kostümiert austoben. (Bild: Netflix)

Der Look der Serie ist künstlich und kulissenhaft gehalten, ein Kontrast zur kommunikativen Unordnung der Erwachsenen. Die erdreisten sich nicht nur, den viel beleseneren Kindern Fremdwörter erklären zu wollen, sondern verheddern sich ständig in unfreiwilligen Wortwitzen und Kalauern. Die erwachsenen Autoritäten sind so sehr in ihr scheinbar wichtiges Arbeits- und Alltagskorsett eingespannt, dass sie gar nicht bemerken, wie wenig sie unter Kontrolle haben. Nebenbei nimmt «A Series of Unfortunate Events» auch sich selbst, sein serielles Format und seinen Produzenten Netflix selbstreferenziell aufs Korn.

Schrille Verkleidungen

Der Stoff wurde bereits 2004 fürs Kino starbesetzt verfilmt, unter anderem mit Jude Law, Meryl Streep und Grimassen-Guru Jim Carrey in der Rolle des Count Olaf. Dessen irren Blick und exaltierten Ausdruck übernimmt und übersteigert der neue Darsteller des Schurken, Neil Patrick Harris, der bereits in der Sitcom «How I Met your Mother» ein Faible für schrille Verkleidungen ausleben konnte. Während der etwas weniger düstere Kinofilm nur die ersten drei Bände der Buchreihe behandelte, ist für die Netflix-Serie bereits eine Fortsetzung angekündigt; das Ende mit Schrecken hat also gerade erst begonnen.